Missbrauch – zwischen Drang und Verdrängung

6.4.2010, 00:00 Uhr
Missbrauch – zwischen Drang und Verdrängung

© Kirch

Seit der 61-Jährige von seinem Bischof in den vorzeitigen Ruhestand entlassen wurde, kommt er aus dem Grübeln nicht heraus. Es gibt Vorwürfe gegen ihn wegen des Missbrauchs an Kindern.

Sturmius Wagner kann sich exakt nur an einen Fall erinnern, der aktenkundig ist. Danach hat der damals 22-jährige Student als Präfekt im Internat der Regensburger Domspatzen einem Buben gegenüber nicht die nötige Distanz gewahrt. Die Mutter hatte das gemeldet. 1972 beendete Sturmius Wagner seine Arbeit dort. Ob noch etwas anderes vorgefallen ist? Der »Stern» war auf den Namen Wagners gestoßen, weil in den vergangenen Wochen ein ehemaliger Internatsschüler, der bis dato geschwiegen hatte, schwere Vorwürfe gegen ihn erhob.

Wagner, bis dato Pfarrer in Dietenhofen, bekam am 15. März gegen Abend einen Anruf: »Sind Sie Sturmius Wagner?» Er bejaht, »Waren Sie bei den Domspatzen?" Er bejaht erneut. »War das 1971?» Wagner räumt das ein und fragt, warum. Daraufhin legt der Anrufer auf.

Am nächsten Tag wird Wagner ins Generalvikariat nach Eichstätt einbestellt. Er räumt sofort ein, dass sein Abschied in Regensburg durch einen Vorfall überschattet war, bei dem es zu einer unsittlichen Berührung gekommen ist. Gleichzeitig erklärt er den Verzicht auf die Pfarrstelle mit sofortiger Wirkung.

Das Ordinariat in Eichstätt reagiert schnell; es bestellt einen Pfarrverweser für Dietenhofen/Großhabersdorf. Denn die Doppelgemeinde ist Kummer gewohnt. Dort hatte Bernhard Kroll gewirkt, der nach einer Abendmahlseinladung an die evangelischen Christen beim ersten Ökumenischen Kirchentag in Berlin 2003 vom damaligen Eichstätter Bischof Walter Mixa abberufen worden war.

Der »Stern» hatte Mitte März über den neuen Fall berichtet, von dem niemand anderes als Alexander Probst aus Dietfurth und dessen Eltern etwas wussten. Wagner will/kann sich daran nicht erinnern, so behauptet er. Alexander Probst berichtet von nächtlichen Besuchen des Präfekten am Bett, von Berührungen, von Sexheftchen und Sexfilmen, die Wagner in seinem Privatzimmer gezeigt habe. Als sich der damals Elfjährige seinem Vater offenbarte, habe der ihn 1971 sofort von der Schule genommen.

Nachdem Alexander Probst seine Geschichte mittlerweile auch bei »Stern-TV» erzählt hatte, meldete sich nach einem Bericht der Nürnberger Nachrichten ein Mann aus Wemding, der angab, 1983 vom damaligen Kaplan in Wemding missbraucht worden zu sein, und zwar im Haus der Eltern. Wagner war nach eigenen Angaben Wallfahrtseelsorger im schwäbischen Maria Brünnlein.

Auch daran hat Sturmius Wagner keine Erinnerung. Er kämpft um seinen guten Ruf, den er sich in einigen Pfarrstellen als Kaplan und später als Pfarrer, sogar als stellvertretender Dekan von Herrieden, erworben hat. Er ist ein kunstsinniger Mensch und beliebter Prediger. Als er 1995 an einem Hirntumor operiert wird, erwägt er, ob er sich nicht aus dem Beruf zurückziehen soll. Doch dann stürzt er sich doch wieder in die Arbeit, wird im Fall Dietenhofen sogar als Feuerwehr eingesetzt. Was er am wenigsten will, ist, dass nun eine ganze Gemeinde in die Haftung genommen wird.

Zum Gespräch mit der NZ hat er sich gut vorbereitet. Seine Ansichten in ein Schulheft geschrieben, aus dem er immer wieder zitiert.

Zum Beispiel, dass er ein »Kind der 68er Jahre» ist. Man habe damals die Gesellschaft und eine verklemmte Kirche verändern wollen. Kindern mit Zuwendung und Zärtlichkeit zu begegnen sei das eine; Pädophilie das andere. Letztere gehöre bestraft und therapiert. Und er wirbt für Verständnis: Wer heute versuche, »seine Gefühle auszudrücken, Tränen zu trocknen und zu trösten», der dürfe nicht gleich mit Missbrauchern verglichen werden.

Nicht gut zu sprechen ist Wagner auf einen Journalismus, der seinen guten Namen in Verruf gebracht habe: »Ich kann mir jetzt gut vorstellen, wie es einem ergeht, der aus dem Knast kommt, resozialisiert ist und ertragen muss, wie die alten Geschichten aufgewärmt werden.»

Damit wird Sturmius Wagner leben müssen. Er hat einen Anwalt eingeschaltet; würde sich am liebsten beim Deutschen Presserat beschweren.

Andererseits will er das Gespräch suchen. Einen Brief an Alexander Probst hat er bereits aufgesetzt. Vielleicht will er ihn auch persönlich noch besuchen. Ein bisschen spät vielleicht, aber nicht zu spät.

Und wenn eines Tages wieder Ruhe eingekehrt ist, würde er sich gern mit einem Gottesdienst von seiner Gemeinde in Dietenhofen verabschieden.

Dort steht eine brandneue moderne Kirche, deren Bau er maßgeblich mit vorangetrieben hat. Bis dahin muss er jedoch erst noch lernen, sich im ganz normalen Leben zurechtzufinden.

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