Weihnachten bei Liebels: "Streicher schoss die Kugeln vom Baum"

20.8.2018, 14:55 Uhr
Weihnachten bei Liebels:

© Eduard Weigert

Buchautor Matthias Klaus Braun lobt die Recherche unserer Redaktion: "Rosemaries Erzählungen sind ein erneuter Beweis dafür, dass die NS-Größen direkt aus der deutschen Gesellschaft kamen. Sie waren einerseits liebevolle Familienväter oder -mütter, andererseits brutale Täter, die Menschen gnadenlos in den Tod trieben. Diese Erkenntnis", so Braun, "ist gerade an der Schwelle unserer bundesdeutschen Erinnerungskultur hinsichtlich der NS-Zeit, bedingt durch den Verlust der Zeitzeugengeneration, für die Öffentlichkeit umso wertvoller. Die Sichtweise von Liebels Tochter auf ihren Vater ist absolut verständlich und nachvollziehbar."

Herbst 1944: Nürnbergs Nazi-OB Willy Liebel (1933 bis 1945) und seine Familie genießen ein schönes Wochenende auf dem Familiengrundstück in Eschenbach im Pegnitztal. Die Kinder planschen im kleinen Schwimmbecken - das Wasser stammt aus einer eigenen Quelle - oder spielen auf der Wiese. Liebel sitzt gemütlich in seinem Lehnstuhl, er trägt eine Lederhose. Irgendwann steht er auf, geht auf seine jüngste Tochter zu, nimmt sie zärtlich in den Arm, kuschelt mit ihr und sagt "Mein Püppchen" oder "Meine Liebe". Das ist die einzige Erinnerung, die Rosemarie Liebel an ihren Vater hat. Die 76-Jährige lebt unter einem anderen Namen in Nürnberg. Sie ist geschieden, aus der Ehe ging eine Tochter hervor, die ebenfalls in Nürnberg lebt.

Dass die Nürnberger Nachrichten über sie schreiben wollen, weil sie eine interessante Zeitfigur sei, könne sie nicht verstehen, meint sie und reagiert zunächst ablehnend. "Wieso bin ich so wichtig?", fragt sie, "bei Kriegsende war ich erst drei Jahre alt." Doch im Lauf weiterer Begegnungen ist sie damit einverstanden, über ihr Leben zu berichten. Ein heißer Sommertag in einem Stadtteilcafé in Nürnberg. Es ist das erste von mehreren intensiven Gesprächen. Sie hat sich in eine Ecke zurückgezogen und trinkt einen Eiskaffee. Ein kleiner Junge mit einer Wasserpistole zielt im Vorbeilaufen auf uns beide, wir bekommen einige Spritzer ab. Wir verscheuchen ihn, mein Gegenüber fragt leicht entsetzt, was das heutzutage bloß für eine Erziehung sei. Sie sei streng erzogen worden, vermutlich zu streng, erzählt die 76-jährige Tochter von Hitlers Lieblingsbürgermeister.

Schäferhund von Hitler

Dass sie und ihre Geschwister bei der Geburt die Aufmerksamkeit bekannter Nazi-Größen fanden, liegt zweifelsfrei in ihrer Herkunft begründet. Als Rosemarie 1942 auf die Welt kam, traf ein Telegramm Hitlers aus Berlin an die Familie ein mit der Widmung "Herzlichen Glückwunsch zur Geburt Ihrer Tochter Rosemarie". Das Telegramm ging im Lauf der Jahre verloren. Ihre älteste Schwester Ilse (89), die in Frankfurt lebt, erhielt zum dritten Geburtstag von Hitler einen Schäferhund als Geschenk. Das Tier sollen die Amerikaner mitgenommen haben. Ihre zweitälteste, verstorbene Schwester Veronika wurde von NS-Reichsminister Hermann Göring aus der Taufe gehoben.

Weihnachten bei Liebels:

© Privat

Liebel war zweimal verheiratet. Aus seiner ersten Ehe mit Elisabeth Freiin Lochner von Hüttenbach aus Nördlingen - sie starb 1926 an den Folgen einer Blutvergiftung - stammen zwei Töchter, eine kam 1962 beim Nürnberger Kaufhausbrand ums Leben, die andere starb an Krebs. 1928 heiratete er Else Schmidt, geboren am 29. November 1898 in Gifhorn bei Hannover. Aus dieser Ehe gingen vier Kinder hervor, Ilse, Wilfried, Veronika und Rosemarie. Die Familie lebte bis Kriegsende in einer stattlichen Villa am Neutorgraben1 in Nürnberg. Dieses Haus hatten die Liebels in der zweiten Septemberhälfte 1933 bezogen, vorher wohnte man am Maxplatz 44.

Die Familienräume lagen im ersten Stock, die Repräsentationsräume im Erdgeschoß. In ihrem großen Garten soll die OB-Familie eine Zeit lang sogar einen echten Löwen namens Peppi gehalten haben, so erinnert sich die 76-Jährige. Die Villa hatte das Stadtoberhaupt dem vormaligen, vermutlich jüdischen Besitzer, einer Nürnberger Hutfirma, für 150000 Reichsmark abgekauft. Der Preis habe deutlich unter der Vorstellung des Verkäufers gelegen, schildert Historiker Matthias Klaus Braun in seinem Buch mit dem Titel "Hitlers liebster Bürgermeister: Willy Liebel", das im Dezember 2012 erschien. Denn der frühere Besitzer habe wenige Jahre zuvor den Wert des Hauses noch auf das Dreifache des gezahlten Kaufpreises geschätzt. 1938 erwirbt der Nürnberger OB günstig ein Wochenendhaus in Eschenbach, einem Ortsteil der Gemeinde Pommelsbrunn im Landkreis Nürnberger Land - für knapp 10.000 Reichsmark.

Die Frau des Stadtoberhaupts liebte Prunk und Pomp, als Hausherrin mit Dutzenden von Angestellten hatte sie alles unter Kontrolle. Auch wenn der OB keinen persönlichen Nachlass hinterließ, gibt es keinen Zweifel daran, dass die Nazi-Bonzen in dieser hochherrschaftlichen Villa ein- und ausgingen: SS-Reichsführer Heinrich Himmler ebenso wie Frankens Gauleiter Julius Streicher und natürlich Hitler selbst. Um die Besuche der prominenten NS-Täter ranken sich Legenden und Geschichten: So soll Streicher einmal beim Weihnachtsbesuch in der Villa mit seiner Pistole ein regelrechtes Wettschießen auf den Liebelschen Christbaum veranstaltet und dabei alle Kugeln zerschossen haben, berichtet die 76-Jährige aus Schilderungen ihrer Familie.

Das Verhältnis zwischen Liebel und Streicher entwickelte sich von einer distanzierten Männerfreundschaft immer mehr zur Intimfeindschaft. Ein gern gesehener Gast in der Villa war auch Nürnbergs Polizeipräsident Benno Martin. Er gefiel der Hausherrin Else, und wenn Martin zu Besuch kam, so schilderten es ihre Töchter, strahlten ihre Augen besonders. Der Polizeichef gewann als Machtfaktor neben Liebel und Streicher in den 30er-Jahren immer mehr an Bedeutung. April 1945: Der Krieg kann nur noch Stunden dauern, die US-Truppen stehen vor den Toren Nürnbergs. Eine Gefangenschaft kommt für den OB nicht in Frage. Am Morgen des 20. April, an Hitlers Geburtstag, zieht er sich gegen 0.30 Uhr in seine Diensträume im Palmenhofbunker zurück, dem letzten von der lokalen NSDAP-Führung gehaltenen Standort am Polizeipräsidium, und erschießt sich kurze Zeit später. Das Gerücht, dass Streicher ihn ermorden ließ, sei mit Sicherheit falsch, so Braun weiter.

In Nürnberg war eine Auseinandersetzung zwischen Streichers Nachfolger Karl Holz und Liebel über die Verteidigung der Stadt bekannt geworden; deswegen kursierte in der Nachkriegszeit zunächst die Vermutung, Holz hätte den OB ermordet. Bekanntlich ist es wegen Hitlers sogenanntem Nero-Befehl, der vorsah, dass den Siegern nichts mehr übrig gelassen werden sollte, zum Streit mit Holz gekommen. So sollten die Städtischen Werke zerstört werden. Darüber gerät das Stadtoberhaupt in Streit mit Holz, der diesen Befehl ausführen will, doch der OB wehrt sich dagegen. Seine Leiche wird erst fünf Tage später entdeckt, sie wird zuerst in St. Rochus und dann auf dem Nürnberger St. Johannis-Friedhof bestattet. Der Oberbürgermeister war offenbar so eng mit dem Nationalsozialismus verbunden, dass er den "Führer" nicht überleben wollte. Er gehörte dem engeren Kreis Hitlers an; der österreichische Gefreite ließ Liebel bei seinen Nürnberger Besuchen regelmäßig zu Tisch bitten. Zur Frage, wie der OB ums Leben kam, gibt es mehrere Erklärungen.

Die wahrscheinlichste Variante sei Selbstmord, schreibt Braun, fügt aber gleichzeitig hinzu, "dass dabei eine Fremdeinwirkung nicht gänzlich ausgeschlossen werden kann". Die gerichtlich festgestellte Todesursache lautet jedenfalls Selbsttötung oder "Bilanzselbstmord". Hat er seiner Familie zum Selbstmord geraten? Brauns Antwort: "Am 15. April 1945 verabschiedete sich Liebel von seiner Ehefrau und seinen Kindern in Eschenbach, bevor er nach Nürnberg aufbrach. Tochter Ilse, die damals als Rotkreuzhelferin in Schlesien war, erinnerte sich Jahrzehnte später, ihre Mutter habe nach Kriegsende erklärt, ihr Vater habe seiner Frau und den Kindern Gift hinterlassen. Er hätte seine Angehörigen lieber tot gesehen, als dass sie in Schauprozessen von den Siegern vorgeführt worden wären. Das schnelle Vorrücken der Amis und die ersten positiven Erfahrungen mit den Besatzungssoldaten verhinderten aber den kollektiven Selbstmord."

Wie der Autor gegenüber den NN erklärt, stützte er sich bei diesen Ausführungen auf ein Zeitzeugengespräch, das er sowohl mit den Nachfahren Liebels aus dessen erster Ehe als auch mit damals noch lebenden Töchtern aus zweiter Ehe führte. Dazu meint die 76-jährige Rosemarie: "Ja, auch ich habe in unserer Familie gehört, dass mein Vater Gift hinterlassen haben soll." Mit ihr habe Braun über dieses Thema nicht gesprochen. Sein Buch hat sie bisher nicht gelesen. Mai 1945: Deutschland liegt in Schutt und Asche, auch die OB-Prunkvilla ist zerstört. Die Witwe zieht mit ihren Kindern nach Eschenbach, denn in Nürnberg will sie nicht bleiben. Das ursprüngliche Wochenendhaus wird als fester Wohnsitz eingerichtet (das Haus hatte mehrere Besitzer, es wird heute noch bewohnt). Else Liebel, die einst im gesellschaftlichen Mittelpunkt stand, ist nur noch eine Randfigur. Die Familie lebt in ärmlichen Verhältnissen, Geld und Lebensmittel sind knapp.

Doch die Eschenbacher vergessen sie nicht, bei kleinen Diensten und Reparaturen helfen Nachbarn gerne aus. Auch frühere Bekannte und Freunde aus der Stadt der Reichsparteitage Nürnberg unterstützen die Witwe mit ihren vier Kindern. Um Geld zu beschaffen, verkauft sie ihre Abendkleider, Pelze und alte Gemälde. So soll Nürnbergs damaliger Baureferent Heinz Schmeißner der Familie in Eschenbach drei Bilder des Landschaftsmalers Hermann Gradl abgekauft haben. Der in Marktheidenfeld geborene Künstler, Mitglied der NSDAP, stand hoch in der Gunst Hitlers, der in den 30er-Jahren acht seiner Werke für die Ausstellung im Haus der Deutschen Kunst in München auswählte. Wie lebt Rosemarie mit der Vergangenheit ihrer Eltern und Großeltern?

Es fällt ihr schwer, darüber zu reden. "Eigentlich möchte ich von dieser Zeit nichts mehr wissen", sagt sie wiederholt. Die Familiengeschichte lastet wie ein Panzer auf ihr, der sie gefangen hält. Natürlich habe sie sich im Lauf der Jahre mit ihren Geschwistern auseinandergesetzt. Wollte sie jemals eine Therapie beginnen? Nein, lautet die Antwort. Traf sie sich mit Kindern anderer NS-Funktionäre, um Erfahrungen auszutauschen und über die Taten ihrer Eltern zu reden? Nein, habe sie nicht, sie wisse nur, dass eine ihrer Schwestern in Kontakt mit Edda Göring stand, der Tochter des NS-Reichsmarschalls (die 80-Jährige lebt zurückgezogen in München). Bei der Frage, ob sie wisse, dass ihr Vater 1938 mit den Befehl dazu gab, die Hauptsynagoge in Nürnberg abzubrennen, antwortet sie leise: "Ich liebe meinen Vater, aber nicht den Oberbürgermeister in ihm.“ Und zur Tatsache, dass er einer erfolgreichen Druckerfamilie entstammt, die neben völkischem Schrifttum bald NS-Publikationen erscheinen ließ, sagt sie: "O Gott, meine Großeltern haben ja den ,Stürmer‘ gedruckt!" Das vulgär-antisemitische Hetzblatt erschien ab 1929 in der von Liebels Großvater mütterlicherseits in Nürnberg gegründeten Druckerei Monninger.

Rosemarie hatte bisher noch nie eine der NS-Gedenkstätten in Nürnberg besucht. Überraschend erklärt sie sich beim nächsten Treffen bereit, an einer Führung im Nürnberger Kunstbunker teilzunehmen. Sie ist stark beeindruckt von der Ausstellung in den alten Felsengewölben. In dem einzigartigen Kunstdepot überstanden, in bis zu 24 Metern Tiefe eingelagert, die bedeutendsten Nürnberger Kunstschätze, darunter die Reichskleinodien, den Bombenhagel im Zweiten Weltkrieg. Hat der Gang durch den Kunstbunker bei ihr Erinnerungen an den Krieg oder die Nachkriegsjahre ausgelöst? Beim anschließenden Gespräch in einem Altstadt-Café gibt sie sich zuerst wortkarg. Doch plötzlich sprudelt eine Anekdote nach der anderen aus ihr heraus – alle über ihre Mutter, keine einzige über ihren Vater. Man spürt, es tut ihr gut, darüber zu reden. Nach einer Pause sagt sie nachdenklich: "Vermutlich wird mir jetzt erst klar, welche dominante Rolle meine Mutter in meinem Leben spielte."

Rosemarie sieht ihr ähnlich: Else Liebel entsprach genau der Vorstellung einer arischen Frau, groß, blond, stattlich. Auch die zweite Ehefrau des Nazi-OB hinterließ keine Notizen. Ihre Mutter sei eine Respektsperson gewesen, der so schnell niemand widersprach. "Ich bin mit harter Hand erzogen worden, ich habe viele Ängste gehabt", sagt die 76-Jährige. Lange Zeit musste sie mit der Mutter in einem Bett schlafen — mit Blick auf eine Wand, die voll war mit Bildern und Fotos, auf denen ihr Vater verherrlicht wurde. Und wie stand es mit Kontakten zu den Nachbarskindern? Ihre Mutter habe es nicht gerne gesehen, wenn sie mit Arbeiterkindern spielte, sie habe auch Kontakte zu den Stiefschwestern unterbunden. "Und wehe, man hat ihr keinen Guten-Morgen- oder Gute-Nacht-Kuss gegeben! Dann folgte Liebesentzug. Es war für mich entsetzlich, wenn meine Mutter stunden- oder tagelang nicht mehr mir sprach."

An ein Ereignis erinnert sie sich besonders: Im Zusammenhang mit der CAREAktion der Amerikaner bekam sie ein Paket mit einer Puppe geschenkt. Diese Pakete enthielten Nahrungsmittel, die nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges von US-Hilfsprogrammen nach Deutschland geschickt und an Familien verteilt wurden. Sie brachten ursprünglich Essbares, später kamen auch Spielsachen hinzu. Rosemarie war vernarrt in das dunkelhäutige Spielzeug mit Mützchen und Stiefelchen. Eines Tages, als sie damit wieder spielte, riss ihr die Mutter die Puppe weg - und warf sie in den Ofen. „Das war ein Schock für mich. Ich durfte aus rassistischen Gründen nicht mit einer farbigen Puppe spielen“, berichtet die Tochter mit leiser Stimme, Tränen in den Augen. Else Liebel gehörte zu den Frauen, die den Führer noch nach seinem Tod verehrten. Gern erzählte sie diese Anekdote: Als Hitler sich wieder einmal in der Nürnberger Liebel-Villa gezeigt hatte - so berichten es Zeitzeugen, die Ende der 70er Jahre die Witwe in Eschenbach besuchten -, soll der OB früher ins Bett gegangen sein. Seine Frau habe dann Gelegenheit gehabt, Hitlers Erzählungen allein bis tief in die Nacht zu lauschen. Bei jeder Gelegenheit schwärmte sie später davon - wie auch die Frauen anderer hoher NS-Bonzen -, dass er charmant erzählen konnte und Zeitpersonen imitierte. Dieser Kult führte dazu, dass "treu-deutsche" Frauen Teeabende veranstalteten, um ihre Schwärmereien für Hitler und seinen Anhang zu pflegen.

Gespaltenes Verhältnis zum Vater

Nach rund einem Jahr mit vielen Gesprächen erklärt sich die 76-jährige Rosemarie bereit, erstmals ins Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände zu gehen. Ihre Tochter sei schon vor sechs Jahren hier gewesen, erzählt sie. Beim Gang durch die Dauerausstellung "Faszination und Gewalt" bleibt sie längere Zeit vor den Bildern stehen, die Hitler mit ihrem Vater zeigen, und wiederholt, was sie schon früher gesagt hat: „Der dort ist nicht mein Vater, den trage ich in meinem Herzen.“ Dazu fallen ihr relativ harmlose Geschichten über ihn ein, die man ihr erzählt hat. "Einmal musste mein Vater liegend mit dem Zug von Berlin nach Nürnberg gefahren werden, weil er Durchblutungsstörungen an den Beinen hatte, offenbar verursacht durch die engen Stiefel, die er tragen musste." Ursprünglich sollte der Besuch im Doku-Zentrum eine Stunde dauern, doch das Interesse der 76-Jährigen ist dann so groß, dass wir auch einen Blick in die Sonderausstellung "Hitler. Macht.Oper." werfen. Als sie die vornehme Damenwelt des Dritten Reiches beim Opernbesuch abgebildet sieht, erzählt sie plötzlich: "Meine Mutter trug immer große, tolle Hüte…" Sie macht eine kleine Pause, sieht sich um, ob jemand zuhört. 

Und fährt dann fort: "…die sie sich von einer jüdischen Schneiderin anfertigen ließ." Rosemarie ist begeistert über die Architektur des Gebäudes und hält die Einpassung des Doku-Zentrums in den Nordflügel der Kongreßhalle für gelungen. Ob sie wiederkommen wird, weiß sie noch nicht. Die jüngste Tochter Liebels lebte von 1945 bis Anfang der 60er Jahre in Eschenbach. Mit rund 18 Jahren begann sie eine Lehre bei einem Zahnarzt in Hersbruck, "um der Enge von Eschenbach zu entfliehen, um von meiner Mutter loszukommen". Anschließend arbeitete sie in Frankfurt als Au-pair-Mädchen und später als Laborhelferin. Dann verschlug es sie nach Köln in eine Spedition. Bei der Arbeit in dieser Firma lernte sie ihren Ehemann kennen. Als dieser beruflich nach Nürnberg versetzt wurde, kehrte sie mit ihm in ihren Geburtsort zurück. Zehn Jahre lang war sie als Sekretärin in einer Dekorationsfirma im Landkreis Fürth tätig, bevor sie in Pension ging.

Ihre Mutter lebte bis 1982 oder 1983 in Eschenbach und starb 1990 mit 92 Jahren in einem Krankenhaus in Weilheim. Ihr Anspruch auf eine Rente oder Pension war der OB-Gattin zunächst vom Gericht verweigert worden. Die Familie habe jedoch, wie Braun erwähnt, seit August 1950 Soforthilfe zum Lebensunterhalt durch die Gemeinde Eschenbach erhalten. Nach einigen Gesetzesänderungen bekam Else Liebel ab 1966 bis zu ihrem Tode dann doch noch eine kleine städtische Rente für die Amtszeit ihres Mannes. Wer in Eschenbach kennt noch "die "Rosemarie"? Ein Anruf beim Altbürgermeister.

Ja, er könne sich an sie erinnern, antwortet er, er sei mit ihr in die Volksschule gegangen. Ob er uns das Haus zeigen möchte, in dem die Familie einst wohnte? Ja, selbstverständlich, ich solle einfach vorbeikommen, wir machen einen Termin aus. Doch am nächsten Morgen ruft der Altbürgermeister zurück und sagt ab. Er müsse zu einer dringenden Besprechung in einem Seniorenheim im Ort. Man spürt, er will das Gespräch bald beenden. "Haben Sie mit der Kleinen in der Freizeit gespielt?" Knappe Erwiderung: "Nein, es gab sonst keine Verbindung mit ihr." Schnell noch eine Frage: "Warum ist die Familie Liebel, die über 40 Jahre in der Gemeinde wohnte, mit keinem Wort in der Ortschronik Eschenbachs erwähnt?" Keine Antwort. "Mit harter Hand erzogen, ich habe viele Ängste gehabt" Die Amis sollen den Schäferhund mitgenommen haben Die Mutter lauschte Hitlers Erzählungen bis tief in die Nacht

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