Eisenbahnfestival machte «Pufferküssern» und Modell-Fans Dampf

17.9.2007, 00:00 Uhr
Eisenbahnfestival machte «Pufferküssern» und Modell-Fans Dampf

© Günter Distler

Dampfloks sind die unbestrittenen Stars. Schwarzglänzend, mit langen Schnauzen und mächtigen Rädern thronen sie auf den Schienen und paffen ungeduldige Wölkchen. Volldampf voraus! Beim Anheizen am Samstagfrüh war der Himmel für Minuten so qualmschwarz, dass Anwohner die Feuerwehr alarmierten.

Kein Brand, dafür aber lodernde Leidenschaft. Die Eisenbahn-Liebhaber pressen sich an die Zäune, steigen auf jede Erhöhung und balancieren sogar auf Holzpfosten, um einen besseren Blick auf die Lokomotiven und Triebwagen zu ergattern. Männer sind’s zumeist - und schwärmen können sie, wie viele nicht von der Geliebten. «Das ist gaaanz schön. Schau nur, wie sich das graue Dach wölbt!»

Mit Zartgefühl

Das Zartgefühl für PS und Baujahr und den ästhetischen Reiz von Polstersitzen und Triebwagen-Design weicht jedoch robustem Durchsetzungswillen, sobald sich jemand zwischen Kamera und Lokomotive drängt. Denn der im Volksmund «Pufferküsser» genannte Eisenbahnfan ist im Innersten ein Jäger, immer auf der Suche nach «seiner» und noch einer Lok.

Zu diesen beinharten Fans zählt sich Magnus Gertkemper (37) nicht. Aber der Fürther, der ein paar Straßen entfernt wohnt, dokumentiert die Lok-Parade - Höhepunkt des Festivals - für die Online-Enzyklopädie Wikipedia. Überhaupt, wie soll man die Faszination beschreiben? «Das sind halt schöne Lokomotiven», sagt Klaus Riedel (51) aus München. Gerade rumpelt eine rote E03 vorbei - und die Nachbarn soufflieren. «Die erste Schnellzug-Lokomotive, die 200 Stundenkilometer gefahren ist. Zwischen Augsburg und Donauwörth.» Ein leiser Tadel schwingt mit, das weiß doch wirklich jeder. Oder sollte es zumindest.

Frauen haben da eine eigene Wahrnehmung. «Das stinkt und qualmt», zwinkert Frau Michaela Riedel. «Er findet, das duftet gut!» Auch Eva Wittkowski (65) aus Zirndorf lässt sich lieber von der Stimmung als von technischen Details anstecken. «Die Euphorie der vielen Leute, das ist ganz was Schönes!» Die nostalgischen Fahrzeuge erinnern die gebürtige Sächsin an ihre Kinder- und Jugendzeit.

Tatsächlich prallen Vergangenheit und Zukunft selten so ungebremst aufeinander. Am Samstag wurde der neueste ICE - 11 000 PS stark, 330 Stundenkilometer schnell und 300 Meter lang - auf den Namen der Jubiläumsstadt «Fürth» getauft. Anlass für DB-Museums-Chef Jürgen Franzke, auf den Adler zurückzublicken, der als erste deutsche Eisenbahn 1835 zwischen Nürnberg und Fürth verkehrte. Maximal 35 Stundenkilometer schaffte die dampfgetriebene Lok. Das war damals doppelt so schnell wie die Postkutsche und, so gaben Ärzte zu bedenken, möglicherweise schädlich für den Organismus. Teuer war’s zudem. Sechs, neun und zwölf Kreuzer kostete eine einfache Fahrt, ein Laib Brot nicht mal einen. Nichtsdestotrotz: Das Geschäft florierte, der Adler wurde Wegbereiter der Eisenbahn und damit auch der Industrialisierung in Deutschland. Glorreiche Zeiten, an die die Bahn gern wieder anknüpfen würde. Doch die mobile Konkurrenz rüstet ebenfalls. Marco (12) hat seinen Traumjob Automechaniker gerade aufgegeben. Lieber will der Hauptschüler aus der Schwabacher Straße Busfahrer werden, denn «da fährt man so geile Busse». Wie den Mercedes Tourismo, der mit Flachbildschirm, Bordküche und einer Instrumententafel wie aus einem Raumschiff-Cockpit aufwarten kann. Kostenpunkt: Ab 270 000 Euro aufwärts. Blinker an, Blick in den Spiegel, Bremsluft ablassen. «Man kann die Jungs schon mal träumen lassen», sagt der

Mercedes-Verkaufsbeauftragte Roberto Wurm gutmütig.

Putzige Achtsitzer

Daneben wirken die nostalgischen Barkas-Busse aus der DDR - Baujahr 1982 - wie aus einem anderen Erdzeitalter. Die putzigen Achtsitzer machen sich gut neben 85 Bussen aus dem In- und Ausland, die zum Eisenbahn- und Busfestival angerollt sind. Aufwändig restaurierte Oldtimer sind ebenso darunter wie modernste Linienbusse mit Wasserstoff-Antrieb. Schnittig wirken die, verstecken die komplexe Technik hinter windkanalgetesteter Karosserie und makellosem Lack.

Echte Liebe aber kann sich anscheinend nur am Sinnlichen entzünden, dem Geruch von Schmieröl und dem Arbeiten der Pleuelstangen. Kurt Winkler (63) aus Frankfurt am Main etwa konnte gerade Hammer und Zange halten, bis ihn die Liebe zum Traktor packte. Dann hat er die 1875 von John Fowler in Leeds entwickelte Landmaschine - zwischen je zweien wurde ein Pflug am Seil hin- und hergezogen - im Maßstab 1:4 nachgebaut und dabei den Umgang mit Drehbank und Fräsmaschine gelernt. 5000 Stunden stecken in dem sorgsam gewienerten Dampftraktor, auf dem das Ehepaar Winkler durch die Menge tuckert. Genau drei Stundenkilometer schnell und mit breitem Grinsen im Gesicht. Soll der ICE nur kommen.