Der Fall Asef N.: "Es geht um Macht und Deutungshoheit"

23.5.2018, 12:27 Uhr
Eigentlich sollte die Polizei am 31. Mai vergangenen Jahres einen Afghanen aus der Berufsschule am Berliner Platz abholen – der 20-Jährige sollte abgeschoben werden. Der Einsatz eskalierte jedoch.

© Michael Matejka Eigentlich sollte die Polizei am 31. Mai vergangenen Jahres einen Afghanen aus der Berufsschule am Berliner Platz abholen – der 20-Jährige sollte abgeschoben werden. Der Einsatz eskalierte jedoch.

Es sind noch nicht viele Mitarbeiter in der Redaktion, als um 8.15 Uhr am 31. Mai 2017 ein aufgeregter Lehrer im Pressehaus der Nürnberger Nachrichten anruft. Er wird in die Online-Redaktion durchgestellt, wo Redakteurin Johanna Husarek gerade den Frühdienst absolviert. Die Schilderungen des Anrufers sind etwas verworren. Er berichtet von einer Polizeiaktion an der Berufsschule am Berliner Platz in Nürnberg. Nein, Fotos davon könne er nicht schicken. Da bekomme er Ärger. Und außerdem sei das hier ein Fall für ausführliche Berichterstattung: "Hier wird gerade bayerische Geschichte geschrieben." Johanna Husarek macht sich auf den Weg.

Etwa um neun ist die Kollegin, die seit 15 Jahren bei den NN arbeitet, vor Ort. Es ist ein ungewöhnliches Szenario, das sie antrifft. Jede Menge Polizei ist vor der Schule zu sehen, unter anderem ein mit dunkler Schutzkleidung ausgerüsteter Einsatzzug aus Erlangen. Und in dichten Reihen sitzen Schüler vor Fahrzeugen der Polizei und blockieren deren Abfahrt. "Das war ein schreckliches Bild für eine Schule - aber noch war alles friedlich", erinnert sich Johanna Husarek.

Bei dem am Rand des Geschehens stehenden Polizeisprecher Bert Rauenbusch erkundigt sich die Journalistin, worum es denn gehe. Sie erfährt, dass ein abgelehnter 21-jähriger Asylbewerber aus Afghanistan, der hier zur Schule geht, in Gewahrsam genommen wurde, weil er abgeschoben werden soll. Dass Asef N. in einem der von Schülern blockierten Autos sitzt und dass die Zeit drängt. "Der Flieger geht noch heute Abend von Frankfurt aus nach Kabul", sagt Rauenbusch.

Plötzlich wird losgeschlagen

Die NN-Redakteurin macht weiter ihren Job. Sie spricht mit Schülern, erkundigt sich bei ihnen nach dem jungen Afghanen. Alles ist ruhig. "Und plötzlich war es, als hätte jemand einen Schalter umgelegt", sagt Husarek. Die Beamten des Erlanger Einsatzzugs stürmen los und beginnen, die Blockadekette der Schüler zu sprengen. "Sie haben Köpfe weggedrückt, Jugendliche an den Haaren gezogen, den Schlagstock eingesetzt, einzelne Schüler herausgezogen, aufs angrenzende Grün gezerrt und mit dem Gesicht ins Gras gedrückt." Von gewalttätigen Linksautonomen, die später die Polizei für die Eskalation der Situation verantwortlich machen wird, hat die Journalistin nichts bemerkt. "Einer war da, der schrie wild herum, ein anderer war auffällig über und über gepierct - der Rest, das waren nach meiner Wahrnehmung ganz normale Schüler."

Dieser eigenen Wahrnehmung wird die 42-jährige Journalistin ein paar Tage später auf unangenehme Art und Weise plötzlich beginnen zu misstrauen. Immer stärken stützen Polizei und Innenministerium den Einsatz da auf die angebliche Unterwanderung der protestierenden Schüler durch "militante Abschiebegegner" und linke Chaoten. Johanna Husarek, die das Geschehen in einer Reportage schildert und in einem Leitartikel kommentiert, erntet dafür zwar viel Zuspruch aus der NN-Leserschaft, aber auch scharfe Anfeindungen. Unter anderem aus Polizeikreisen - bis hinauf zu hohen Beamten.

Vor allem in Netzkommentaren wird sie heftig angegriffen und teilweise übelst beleidigt ("linksautonome Drecksau"). Sie verzichtet darauf, die hasserfüllten Kommentarschreiber anzuzeigen. Was sie unter dem Strich viel mehr ärgert, ist, dass ihr Polizei und die verantwortlichen Stellen der CSU-Staatsregierung mit ihrer gegensätzlichen Darstellung "die eigene Wahrnehmung absprechen".

Ganz ähnlich geht es in den Wochen und Monaten nach dem Polizeieinsatz einem anderen Augenzeugen. Dekan Christopher Krieghoff ist am Morgen des 31. Mai im Gemeindehaus neben der Berufsschule zu einer Dienstbesprechung verabredet. "Aus einer Mischung aus Neugier und Betroffenheit" verfolgt er ab etwa 9 Uhr den Polizeieinsatz rund um den Abschiebeversuch. Auch nach seiner Beobachtung beginnen die Tumulte erst mit der Räumung der Blockade. Vor allem wie später der Fall im Innenausschuss des Bayerischen Landtags dargestellt wird, empört Krieghoff. "Da ist so manches unterschlagen worden."

"Es geht um Macht"

Krieghoff setzt in Interviews seine Sicht der Dinge gegen die offizielle Version. Schließlich wird er von Beamten der Abteilung Interne Ermittlungen des Landeskriminalamts als Zeuge vernommen. "Ich wurde da allerdings in einer Weise befragt, die nichts damit zu tun hatte, dass eventuell Polizisten etwas Unrechtes getan haben könnten, sondern es wurde der Wahrheitsgehalt meiner Aussagen infrage gestellt." Sein Fazit: "Es geht um Macht und Deutungshoheit."

In fast 35 Jahren als Pressefotograf hat Michael Matejka, Chef der NN-Bildredaktion, so manchen Polizeieinsatz erlebt. Matejka ist ein besonnener Mensch. Noch nie hat er so an der Sinnhaftigkeit eines Polizeieinsatzes gezweifelt wie am 31. Mai am Berliner Platz. Als er mit ansehen muss, "wie Polizisten zu dritt auf am Boden liegenden Jugendlichen, dünn wie Spargel, herumspringen und ihnen das Schienbein gegen den Hals drücken", geht er entsetzt zu Polizeipressesprecher Rauenbusch und beschwört ihn: "Das können die doch nicht machen."

Es bleibt ein hilfloser Versuch, die Eskalation der Ereignisse zu stoppen. Die Polizei zieht ihren Einsatz durch. Auf beiden Seiten gibt es leichtere Verletzungen. Strafverfahren werden nur gegen Teilnehmer der Blockade eingeleitet. Noch immer laufen Verfahren vor Gericht. Die Polizei möchte deshalb aktuell zu den Ereignissen nicht im Rückblick Stellung nehmen. Von ihrer wenige Stunden nach dem Einsatz auf Facebook verwendeten Formulierung, "dass der Einsatz so aus dem Ruder gelaufen ist", hat sie sich ohnehin längst verabschiedet.

Was den Pressefotografen Matejka ein Jahr nach dem unheilvollen Geschehen am meisten umtreibt: "Die Jugendlichen, die das erlebt haben, werden zur Exekutive in Zukunft kein Vertrauen mehr haben."

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