Der Saure Regen ist in Franken nicht verschwunden

30.1.2018, 15:08 Uhr
Das Thema Waldsterben hat sich in den Köpfen vieler Leute erledigt. Doch der Boden ist vielerorts immer noch stark belastet - mit Folgen für die Wälder.

© Fotos: Martin Schutt, dpa/Uni Bayreuth Das Thema Waldsterben hat sich in den Köpfen vieler Leute erledigt. Doch der Boden ist vielerorts immer noch stark belastet - mit Folgen für die Wälder.

Manche deutschen Wörter werden auch im Ausland zum Begriff. So sprach man etwa in Frankreich von "Le Waldsterben". Das war in den 1980er Jahren, als Stickoxide und Schwefeldioxid die Böden stark belasteten - gerade auch in Franken, wo der Wind Schadstoffe aus den Industrieanlagen Osteuropas herübertrug. Durch den Sauren Regen gelangten sie in das Erdreich des Reichswaldes, des Frankenwaldes und des besonders stark betroffenen Fichtelgebirges. Das ist längst vergessen, die Wälder sehen wieder prächtig aus - aber die Böden sind immer noch erstaunlich stark geschädigt.

Der Bayreuther Pflanzenökologe Dr. Andreas Schweiger hat dieses Thema zurück auf die Tagesordnung geholt und für seine Untersuchungen nun den Dissertationsförderpreis der Gesellschaft für Ökologie (GfÖ) bekommen. Schweigers Doktorarbeit beweist: Der Saure Regen ist nicht spurlos verschwunden, er wirkt bis heute nach.

Drei Jahre lang hat Schweiger jeden Monat Proben von über hundert Quellen genommen und ihren pH-Wert mit einem großen Datensatz verglichen: Sein Doktorvater an der Uni Bayreuth hatte schon 1989 begonnen, im Frankenwald und im Fichtelgebirge die Belastung des Quellwassers zu messen. "Im Großen und Ganzen hat sich relativ wenig verändert", so sein überraschendes Fazit im NZ-Gespräch.

Der Saure Regen ist in Franken nicht verschwunden

© Fotos: Martin Schutt, dpa/Uni Bayreuth

Auch wenn der Wald gesund wirkt, so ist sein ökologisches Gleichgewicht durch den belasteten Boden bedroht. "Je stärker die Quellen von Versauerung betroffen waren, desto sensibler reagieren sie auf zusätzliche Stressoren", betont Schweiger. "Wie zum Beispiel auf die Zunahme klimatischer Extremereignisse." Hitzewellen und heftige Niederschläge werden zunehmen, zugleich seien die Ökosysteme geschwächt - so kann es zu fatalen Wechselwirkungen kommen.

"Im Frankenwald haben wir das schon 2003 gesehen: Da haben die Fichten stark unter Trockenheit gelitten. Gestorben sind sie dann aber nicht durch die Trockenheit, sondern durch massive Ausbrüche von Borkenkäfern", erinnert sich Schweiger. "Die Fichten wehren sich normalerweise mit Harz gegen den Befall, aber dafür waren sie zu schwach."

Durch steigende Temperaturen und die international vernetzten Transportwege können sich auch Schädlinge aus den Tropen immer leichter in Mitteleuropa ausbreiten - da kann noch einiges auf die deutschen Wälder zukommen.

Schon jetzt hat sich die Pflanzenwelt verändert. Dem Wanderer oder Spaziergänger fällt das kaum ins Auge, dem Biologen schon: "Wir haben zum Beispiel Pflanzen wie das Milzkraut, die Indikatoren für normale pH-Werte sind und zusehends verschwinden", erzählt Schweiger. "Moosarten wie die Torfmoose hingegen breiten sich stärker aus und verändern das Artenspektrum, verdrängen andere Arten." Moos statt Milzkraut, das klingt unspektakulär. Allerdings versauern die Torfmoose auch selbst aktiv den Boden.

Ökosysteme sind so komplex, dass jede Veränderung durch den Menschen unerwartete Folgen haben kann. Schweiger zitiert einen amerikanischen Ökologen: "Man kann das Ökosystem mit einem Flugzeug vergleichen, bei dem man unterwegs immer mehr Schrauben herausdreht und hofft, dass es trotzdem noch weiterfliegt. Aber irgendwann hat man eine Schraube zu viel herausgedreht."

Katastrophe mit Folgen

Vor 30 Jahren war die Katastrophe für jedermann sichtbar, das Waldsterben wurde zum Weckruf für die Politik. Während die Belastung durch den Straßenverkehr bis heute kaum zurückgegangen ist, zeigten strengere Verordnungen und neue Entschwefelungsanlagen für die heimische Industrie Wirkung. Schließlich gingen auch die Emissionen aus Osteuropa zurück. Der Wald erholte sich - und der Saure Regen wurde zum Inbegriff dafür, dass sich ein Umweltproblem scheinbar in Luft auflösen kann.

Im belgischen Gent nahm Schweiger seine Auszeichnung bei einer feierlichen Zeremonie entgegen, nüchtern bilanziert er die Ergebnisse seiner Untersuchungen: "Die pH-Werte des Wassers in den Quellen haben sich meist nur um ein Viertel bis maximal die Hälfte verbessert. Vor 30 Jahren lag der pH-Wert bei einigen Quellen im Fichtelgebirge bei 3 bis 4, heute sind einige sehr saure Quellen immer noch im Bereich 4", berichtet Schweiger. "Andere sind aber auf 5 bis 6 angestiegen. Und im Frankenwald gibt es wegen des anderen Untergrundgesteins gebietsweise etwas schnellere Erholungen, da hat man dann auch neutrale pH-Werte von 7."

Tendenziell dürfte es auch im Reichswald etwas weniger dramatisch aussehen als im Fichtelgebirge, wie Hendrik van’t Sant vom Nürnberger Forstamt erklärt: "Unsere Böden neigen weniger zur Versauerung, das liegt einfach an der geologischen Ausgangssituation. Wir haben hier andere Gesteinsschichten, deshalb dürfte die Lage immerhin um Nuancen besser sein." Nur ein kleiner Trost angesichts der Prognose von Andreas Schweiger: Bis alle Belastungen der fränkischen Böden durch den Sauren Regen zurückgegangen sind, dürfte es nochmals drei Jahrzehnte dauern.

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