"Eisner war ein stark humanistisch geprägter Demokrat"

5.11.2018, 14:00 Uhr

© G. Krull

Was begann 1918 in Bayern und Deutschland - der Weg in die Katastrophe?

Prof. Andreas Wirsching: Es gibt eine alte These, wonach die Weimarer Republik bereits an ihren Geburtsfehlern gescheitert sei. Die alten Eliten waren nicht abgesetzt, die Sozialisierung fand nicht statt, der gesellschaftliche Wandel war nicht fortgeschritten genug. Diese These kann man heute nicht mehr aufrecht halten. 1918 ist die Situation offen, die Weimarer Republik hatte ihre Chance, das war damals schon ein großer demokratischer Aufbruch, nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa. Hoffnungen, die es gab, waren also durchaus berechtigt.

Woran ist das ambitionierte Demokratie-Projekt in Deutschland dann gescheitert?

Wirsching: Vor allem daran, dass viele — vor allem bürgerlich-nationale — Kräfte die Ergebnisse einer demokratischen Revolution nicht akzeptieren wollten. Ein großes Thema war ferner die Schuld an der Kriegsniederlage, deren wahre Gründe verdrängt wurden. Der Versailler Vertrag hat dann die gerade gegründete Republik sehr belastet. Es gab also schwere Hypotheken, die 1918 über dem Land lagen, aber das Scheitern der neuen Demokratie war unmittelbar nach Ende des Ersten Weltkriegs keinesfalls zwangsläufig.

Galt das auch für Bayern? Die Revolution war hier in vollem Gange, kaum einer will sich daran heute erinnern . . .

Wirsching: Die Beobachtung ist völlig richtig. Die bayerische Revolution von 1918 als solche ist kein wirklicher Erinnerungsort. Das liegt daran, dass das eine Revolution war, die in dieser Form schon damals keiner wirklich wollte. Insofern ist es eine paradoxe Revolution. Den einen ging sie nicht weit genug, den Anhängern von ganz links etwa. Die Mehrheitssozialdemokraten wollten die Revolution gar nicht, sie setzten gleich auf parlamentarische Strukturen. Das bürgerliche Lager hat den Umsturz ohnehin generell abgelehnt. Für den Münchner Kardinal Faulhaber beispielsweise war die Revolution "Meineid und Hochverrat". Niemand wollte diese Entwicklung.

Den einen war es zu links, den anderen zu wenig revolutionär. Die CSU, ihrem Selbstverständnis nach immer noch Staatspartei, will deshalb nicht so recht in den Feierkanon einsteigen. Ausblenden lässt es sich aber auch nicht.

Wirsching: Genau. Deshalb entbehrt es heute nicht der Ironie, dass jetzt viele "100 Jahre Freistaat Bayern" entdecken, auch wenn sie mit der Regierung Eisner (Anm. d. Red.: Kurt Eisner war Anführer der Novemberrevolution in Bayern und amtierte als erster bayerischer Ministerpräsident vom 8. November 1918 bis zu seiner Ermordung am 21. Februar 1919) nicht viel anfangen konnten und können. Aber vielleicht ändert sich das langsam. Ich will nicht ausschließen, dass man einen neuen erinnerungspolitischen Anlauf nimmt. Denn damals wurde tatsächlich die erste Demokratie in Bayern und in Deutschland ins Leben gerufen.

Aber steht dieser späten Akzeptanz in Bayern nicht die Person Eisners im Weg? Parteiübergreifend konsensfähig ist dieser Mann auch in der Rückschau nicht.

Wirsching: Eisner gehört zur bayerischen und zur deutschen Geschichte dazu. Er war kein linksradikaler Bolschewist, er war nicht einmal ein Marxist im engeren Sinne. Er hat die Revolution ja auch nicht allein gemacht, er stieß vielmehr in ein Vakuum. Eisner war ein stark humanistisch geprägter Demokrat mit utopistischen Zügen. Ich finde schon, dass man die Regierung Eisner und Bayern als Sonderfall der deutschen Geschichte feiern und kommemorieren sollte. Das sind Traditionen, die bis heute wirksam sind.

Auch Eisners Ende ist erinnerungswürdig . . .

Wirsching: Absolut. Der Mord an Eisner im Februar 1919 gehörte zu den Belastungen der frühen Weimarer Republik, die viele politische Morde gekannt hat. Darüber muss man auch reden: Es gab gewaltbereite nationalistische und okkultistische Kräfte, die das Rad rückwärts drehen wollten — mit Gewalt.

Alles in allem: 1918 ist einer genauen Betrachtung wert. Trotzdem erinnert sich Bayern lieber an "200 Jahre Verfassung". Was ist denn das gewichtigere Ereignis: Die Revolution von 1918 oder die (noch nicht demokratische) bayerische Verfassung von 1818?

Wirsching: Die Verfassungsentwicklung, die es aus der absoluten Monarchie heraus in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gab, ist schon bemerkenswert. Es war damals in Bayern einer der ersten, noch nicht demokratisch legitimierten Verfassungsentwürfe, der eine Verbreiterung der politischen Willensbildung zum Ziel hatte. 2018 bietet es sich deshalb auf der erinnerungspolitischen Landkarte an, diese beiden Daten zu verklammern.

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