Favoriten stehen fest: Wer wird neuer UN-Generalsekretär?

09.09.2016, 07:25 Uhr
Professor Johannes Varwick erklärt, warum er als Nachfolger für Generalsekretär Ban Ki Moon eher einen Technokraten für geeignet hält.

© Harald Sippel Professor Johannes Varwick erklärt, warum er als Nachfolger für Generalsekretär Ban Ki Moon eher einen Technokraten für geeignet hält.

Herr Professor Varwick, alle bisherigen Generalsekretäre waren Männer. Wie stehen die Chancen, dass es diesmal eine Frau wird?

Johannes Varwick: In der internationalen Debatte ist der Eindruck entstanden, dass jetzt mal eine Frau dran wäre. Ob das tatsächlich so kommt, halte ich aber für nicht ausgemacht: Einige der bisherigen aussichtsreichen Kandidaten sind hauptsächlich männlich. Ich glaube auch nicht, dass das erste Kriterium "Mann oder Frau" ist – da spielen ganz andere Fragen eine wichtige Rolle.

Welche Fragen?

Varwick: Man braucht einen Kandidaten, auf den sich die Vetomächte (USA, Russland, Frankreich, Großbritannien und China, Anmerkung der Redaktion) im Sicherheitsrat einigen – ohne ihren Segen kann kein neuer Generalsekretär gewählt werden. Gleichzeitig braucht dieser Neue eine Mehrheit in der Generalversammlung. Dieses Doppelquorum zu erreichen, ist ein Balanceakt, der ganz viele Kompromisse erfordert. Es ist deswegen heute noch nicht absehbar, wer das Rennen macht.

Es gibt noch keinen Favoriten?

Varwick: Auf einer Liste, die öffentlich geworden ist, stehen zehn Namen. Hoch gehandelt wird im Moment Antonio Guterres, ehemaliger Premierminister Portugals und UN-Flüchtlingskommissar. Ob seine Kandidatur durchgeht, ist aber offen – nicht nur, weil er keine Frau ist, sondern auch, weil er nicht aus Osteuropa kommt. Denn das ist ein weiteres wichtiges Kriterium für den Posten des Generalsekretärs: Man hat sich informell darauf geeinigt, dass jetzt die Staatengruppe Osteuropa dran ist – auch das ist aber kein festgeschriebenes Gesetz.

Was spricht denn für Guterres?

Varwick: Er hat UN-Erfahrung, Regierungserfahrung und er steht als Flüchtlingskommissar für ein wichtiges Thema. Wahrscheinlich wäre er auch eine gute Mischung aus General und Sekretär: Die wichtigen Staaten wollen niemanden, der ihnen die Schau stiehlt. Sie wollen keinen zweiten Kofi Annan, der so etwas wie ein weltlicher Papst war. Sie wollen jemanden, der die Bürokratie professionell führt, aber gleichzeitig das Format hat, das zu tun. Diese Voraussetzungen würde Guterres erfüllen, aber ob er es wird ist Spekulation. Ich rechne eher damit, dass noch ein Name auftaucht, den wir heute nicht kennen.

Das heißt, ein zu profilierter Kandidat hätte gar keine Chance?

Varwick: Persönlichkeiten, die sehr präsent waren, haben oft den Nachteil, dass sie es sich mit einem Lager verscherzt haben. Manche osteuropäischen Kandidatinnen haben Russland massiv kritisiert. Die Bulgarin Irina Bokova, frühere Unesco-Chefin, die hoch gehandelt wird, hat sich dagegen mit den USA angelegt. Das verbrennt Kandidaten. Es wird keinen Kandidaten geben, der Russland nicht schmeckt.

Und es wird auch keinen Kandidaten geben, der den USA nicht schmeckt. Mit China kommt eine weitere Vetomacht hinzu, die ganz andere Interessen hat. Auf der einen Seite braucht man also jemanden, der Erfahrung hat. Auf der anderen Seite muss es jemand sein, der nicht zu sehr angeeckt ist.

Ban Ki Moon ist bald zehn Jahre im Amt – wie beurteilen Sie seine Bilanz?

Varwick: Er war ein anderer Typ als sein Vorgänger. Kofi Annan galt bei vielen als eine Lichtgestalt der internationalen Politik. Ban Ki Moon ist das Gegenmodell – ein blasser, technokratischer Diplomat. Meine These ist aber, dass für die UN ein Kompromisssucher wie Ban Ki Moon sehr viel besser ist als ein Kofi Annan – weil er geschmeidiger darin ist, die Interessen auszugleichen und nicht so sehr eine eigene Agenda durchsetzen will. Kofi Annan war  zwar populär, ist in vielen Fragen aber gescheitert.
 

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