Frauke Petry: "Traurig, was aus der AfD geworden ist"

27.4.2018, 14:46 Uhr
In der Bundestagsdebatte lieferte auch Frauke Petry einen Redebeitrag. Die ehemalige AfD-Vorsitzende ist im Bundestag fraktionslos, und hat in der Zwischenzeit die Blaue Partei gegründet.

© Wolfgang Kumm/dpa In der Bundestagsdebatte lieferte auch Frauke Petry einen Redebeitrag. Die ehemalige AfD-Vorsitzende ist im Bundestag fraktionslos, und hat in der Zwischenzeit die Blaue Partei gegründet.

Mit ihrem einjährigen Söhnchen Ferdinand pendelt die fünffache Mutter, die mittlerweile mit dem EU-Abgeordneten Marcus Pretzell verheiratet ist, in Plenarwochen von Leipzig nach Berlin. Mit Pretzell gründete Petry die rechts-konservative Blaue Partei und ein Bürgerforum. 

NZ: Frau Petry, bis letztes Jahr waren Sie als Parteichefin der Alternative für Deutschland in den Medien fast omnipräsent, jetzt nicht mehr. Wie war für Sie die Umstellung?

Frauke Petry: Es kommt mir nicht so vor, dass es ruhig geworden ist, wenn ich in meinen Terminkalender schaue. In den klassischen Medien sind wir als Blaue Wende nicht mehr so präsent, auch die Tagesschau vergisst unsere Redebeiträge im Bundestag gern. Wir sind aber online über Facebook und Twitter erreichbar, haben eigene Publikationen und eine wachsende Zahl an Unterstützern.

Und wir sind nicht mehr jeden Tag mit einem Skandal in der Zeitung. Das wollten wir auch nicht. Natürlich ist Öffentlichkeit immer schön, aber für mich auch mit persönlichen Schmerzen, Diffamierungen und politischen Verdrehungen verbunden gewesen, darauf habe ich gern verzichtet.

Vor kurzem wurde eine Radiosendung abgesagt, zu der Sie eingeladen waren – Thema: politische Korrektheit.

Petry: Es ist bedauerlich und für die Demokratie nicht gut, wenn eine Diskussion zu so einem heißen Thema abgesagt wird. Ich hoffe, dass sie dennoch weitergeführt wird. Es zeigt sich, dass es hierzulande offenbar zulässige und unzulässige Diskussionen gibt.

Was können Sie als fraktionslose Abgeordnete im Bundestag und im sächsischen Landtag, also quasi als Einzelkämpferin, bewirken?

Petry: Außer mir gibt es im Bundestag noch den Fraktionslosen Mario Miruch, wir bilden die kleine blaue Gruppe. Wir dürfen zwar keine Anträge, aber Änderungsanträge stellen und haben im Parlament die Möglichkeit, Debatten anzustoßen. Das tun wir auch. Oppositionspolitiker anderer Parteien können letztlich genauso wenig bewegen wie wir. Durchsetzen tut kein Oppositionspolitiker etwas.

"In drei Minuten lässt sich viel sagen"

Aber Ihre Redezeit ist doch kürzer als die der anderen Abgeordneten.

Petry: Je nach der Gesamtlänge einer Debatte, auf die sich das Präsidium einigt, haben wir eine drei- bis fünfminütige Redezeit. Diese Länge ist im Europaparlament übrigens ganz normal. In drei Minuten lässt sich viel sagen, wenn man sich kurz fasst. So wird die Rhetorik geschult.

Und wenn’s ums Abstimmen geht? Auf welcher Seite stehen Sie?

Petry: Ich stimme mal mit der Union, mal mit der FDP, aber auch mit der AfD, abhängig davon, woher eine vernünftige Idee kommt. Im Dresdner Landtag haben wir auch dem ein oder anderen Linken-Antrag zugestimmt. Damit hatten wir nie ein Problem.

Ich halte es für falsch, an der Parteifarbe festzumachen, ob ein Vorschlag gut oder schlecht ist. Ich wäre nicht authentisch, wenn ich nicht für eine vernünftige sachorientierte Politik kämpfen würde.

Als (Mit-)Gründerin der Blauen Wende: Wie hebt sich Ihr Bürgerforum von den Inhalten der AfD ab?

Petry: Die AfD wollte seinerzeit die konservativ-liberale Lücke schließen, weil sich die CDU in Richtung SPD entwickelte und die FDP ihre bürgerlich-liberale Positionen gegen Beliebigkeit eintauschte. Nun will die AfD die neue SPD werden – mit nationalem Anstrich. Sie will eine national sozialistische Partei sein.

Frauke Petry:

© Frank Rumpenhorst/dpa

Ich sage das ganz ohne Schaum vor dem Mund, aber was sie anstrebt, ist eine sozialistische Politik. AfD und SPD sind gleichermaßen für eine Erhöhung von Hartz IV, für den Mindestlohn und mehr Umverteilung. Wir von der Blauen Wende plädieren für eine Sozialpolitik, die Hilfe zur Selbsthilfe gibt – verbunden mit einer vernünftigen Steuerpolitik, also auch einer steuerlichen Entlastung von Familien.

Außenpolitisch sind wir in die westlichen Bündnissysteme eingebunden und müssen unsere Position darin stärken. Die AfD wendet sich Russland zu und betont diese Partnerschaft zu sehr. Auch halten wir nichts davon, aus der Nato auszutreten, wie dies die AfD will, und wir stehen als einzige parlamentarische Kraft für eine klar pro-israelische Politik.

Blaue und AfD stimmen überein

Gibt es denn noch Übereinstimmungen der Blauen mit der AfD?

Petry: Ja, alles andere wäre unehrlich, denn ich habe die Politik unserer ehemaligen Partei seit 2013 natürlich mitgeprägt, viele unserer Ideen waren vernünftig. Wir sind für Volksabstimmungen und temporäre Grenzkontrollen. Inzwischen sehen ja alle Parteien, dass in der Flüchtlingspolitik etwas getan werden muss.

Sie nennen Ihre Vereinigung Bürgerforum?

Petry: Alle großen Parteien teilen eine Krankheit, nämlich, dass sie sich selbst für wichtiger halten als den Bürgerwillen. Dies gilt mittlerweile auch für die AfD, die es sich im Grunde im Parteiensystem nett einrichten will. Die Menschen wollen nicht mehr in Parteien eintreten, anders noch als in den 70er und 80er Jahren.

Parteien sind in der Sackgasse angekommen. Das möchten wir überwinden. Bürgerforum heißt: Jeder kann kommen und mitmachen, Politik als dauerhafter Dialog mit den Bürgern. Zu Parteiveranstaltungen kommen viel weniger Leute als zu einem überparteilichen Bürgerforum.

Anhängerschaft ist interessante Mischung

Wer zählt denn bei den "Blauen" zu Ihrer Anhängerschaft?

Petry: Es ist eine interessante Mischung. Wir richten uns primär an Bürger aus anderen Parteien und auch an diejenigen, die nicht in einer Partei sind. Auch Ex-AfDler sind darunter, nur ist die Partei im hohen Maße gesellschaftlich verbrannt.

Es war schon immer ein Drama, dass wir viele interessante Bürger aufgrund des schlechten Images der AfD nicht gewinnen konnten. Das ist bei der Blauen Wende anders. Wir brauchen kluge Köpfe von außen. Neben dem Bürgerforum bauen wir langsam die Blaue Partei auf und treten 2019 erstmals bei den Europawahlen und den Landtagswahlen in Sachsen an.

Im April 2013, also vor fünf Jahren, wurde die AfD gegründet. Wie betrachten Sie Ihre alte Partei heute?

Petry: Ich bin traurig, wenn ich sehe, was aus der Partei geworden ist, die eine so große Chance für dieses Land hatte. Als Parteivorsitzende hatte ich stets den Anspruch, die AfD stringent zu führen. So waren wir erfolgreich und wussten, dass wir möglichst bald Verantwortung übernehmen wollen. Das brachte uns Zulauf aus bürgerlichen Schichten bis zur Antisemitismus-Affäre 2016.

Auch durch das Agieren von Funktionären wie Björn Höcke wurde unsere Arbeit immer schon torpediert. Wenn Herr Gauland heute seine Partei als anarchischen und gärigen Haufen beschreibt, erkennt man die entstandene Führungslosigkeit. Gauland lässt die Leute machen, er will sie nicht führen.

"Mit Prozentzahlen muss man vorsichtig sein"

Aber die AfD hat doch so hohe Zustimmungswerte wie selten zuvor. In Brandenburg liegt sie gerade gleichauf mit SPD und CDU.

Petry: Mit Prozentzahlen muss man vorsichtig sein. In Brandenburg sind die Linken ohnehin stark, und die Kritik an der Groko ist groß. Das hilft der AfD, solange die CDU ihre Politik nicht ändert. Die Umfragewerte sind also erklärlich.

Die AfD wird dort aber nicht in die Lage kommen zu regieren. Und in Bayern ist das Wachstum der AfD ein hausgemachtes Problem. Die CSU wurde dafür abgestraft, weil sie Merkels Politik unterstützte.

Welche Positionen aus AfD-Zeiten haben Sie aufgegeben?

Petry: Den Mindestlohn habe ich nie persönlich mitgetragen. Und Leute, die am liebsten sofort aus der EU austreten würden, halte ich für realitätsfern. Wir brauchen stattdessen eine Reform der undemokratischen EU- Kommission.

Sie plädierten einst für eine Politik der Drei-Kinder-Familie.

Petry: Das war 2014 eine Zuspitzung im Wahlkampf. Grundsätzlich war die Idee der AfD vernünftig. Alle beklagten, dass es zu wenig Kinder gibt. Für uns schien es keine gute Bevölkerungspolitik zu sein, regellos mehr Menschen ins Land zu holen, weil wir selbst nicht genug Kinder bekommen.

Wir forderten eine familienfreundliche Politik der finanziellen Entlastung, die den Menschen Wahlfreiheit ermöglicht und sie nicht zu Almosenempfängern macht. Dass der Staat sich aus der Betreuungsfrage heraushält, war uns ein Anliegen. Auch, dass Eltern nicht in rückständig und fortschrittlich unterteilt werden, je nachdem, ob sie ihr Kind selbst oder fremd betreuen.

Da hat ohnehin ein Paradigmenwechsel stattgefunden: Als ich im Jahr 2000 mein erstes Kind bekam, galt ich als Rabenmutter, weil ich es in eine Kita gab. Heute muss man sich rechtfertigen, wenn man mit dem Kind zuhause bleibt.

Wie stemmen Sie selbst Beruf und Familie mit fünf Kindern und dem Pendeln zwischen Berlin und Sachsen?

Petry: Viel Organisation und Hilfe ist nötig – von allem ein bisschen: personelle Unterstützung, Oma, selbstständige Kinder. Jeder muss mit anpacken. Das ist anstrengend, lohnt sich aber.

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