Radikalisierungs-Hotline des Bamf gefragt wie nie

19.3.2017, 05:52 Uhr
Mit Koranverteilungen versuchen radikale Salafisten neue Gläubige zu gewinnen. Die Radikalisierungshotline des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge ist derzeit so gefragt wie nie.

© Britta Pedersen/Archiv (dpa) Mit Koranverteilungen versuchen radikale Salafisten neue Gläubige zu gewinnen. Die Radikalisierungshotline des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge ist derzeit so gefragt wie nie.

Markus ist gut in der Schule und ein aufgeschlossener Teenager – bis sich seine Eltern trennen. Wegen schlechter Noten muss er die Schule wechseln und lernt neue Freunde kennen, in deren Leben Religion eine wichtige Rolle spielt. Sie nehmen Markus mit in die Moschee, der Besuch beeindruckt ihn.

Der 19-Jährige informiert sich über den Islam, konvertiert, spricht immer häufiger vom "Krieg gegen Andersgläubige" und legt seiner Mutter nahe, ein Kopftuch zu tragen. Als die Polizei Markus auf einer Kundgebung als gewaltbereiten Salafisten festnimmt, sucht sie Hilfe bei der Bamf-Beratungsstelle Radikalisierung.

Die Nürnberger Behörde hat die bundesweit zuständige Telefon-Hotline bereits 2012 eingerichtet. Ein Team aus derzeit sechs Mitarbeitern – Psychologen, Islamwissenschaftler, Sozialpädagogen – berät dort Eltern, Lehrer oder Freunde, die Angst haben, ihr Kind, Schüler oder Kumpel könne sich islamistisch radikalisieren. Auch Nürnberg ist ein Hotspot der Szene.

Vermittlung an Anlaufstellen vor Ort

Nach dem Erstkontakt vermittelt die Beratungsstelle den Anrufer an einen ihrer zivilgesellschaftlichen Kooperationspartner vor Ort weiter. Das bundesweite Netzwerk umfasst derzeit etwa 50 Experten.

Seit 2012 habe die Hotline 3400 Anrufe erhalten, sagt Florian Endres, der die Beratungsstelle Radikalisierung leitet. Und mehr als 1600 Fälle seien seitdem auch bearbeitet worden. "In den letzten Jahren gab es bei den Anrufen einen starken Anstieg, was sich an den knapp 1000 Anrufen allein 2016 zeigt." Vor allem der Salafismus sei dabei ein Thema – und zwar alle seine Spielarten, von dem sehr religiösen bis hin zum gewaltbereiten.

Betroffene immer jünger

Ein Trend sei, dass die Jugendlichen, die sich radikalisieren, immer jünger werden, erklärt Endres. 2012 habe das Durchschnittsalter der Betroffenen bei 21 Jahren gelegen, nun sei man bei 19 Jahren. In der letzten Zeit kämen auch immer wieder Anrufe aus Grundschulen oder Kitas, weil die Erzieher dort auffällige Kinder bemerken, die scheinbar in einem salafistischen Umfeld aufwachsen.

Bei einem knappen Drittel der 1600 Fälle sind die Sicherheitsbehörden eingeschaltet worden, weil es Anzeichen einer konkreten Gefahr gegeben hätte, etwa, dass ein Betroffener in ein IS-Gebiet ausreisen und sich dort der Terrormiliz anschließen wolle. Bei der Hotline melden sich ebenso Eltern, die zu Hause einen Koran gefunden haben, wie solche, deren Kind bereits nach Syrien ausgereist sei. Das Ziel sei, den Anrufern zu helfen, das Vertrauensverhältnis zu der betroffenen Person zu stärken und diese so aus der Radikalisierung zurückzuholen, erklärt Endres. Mit dem Konzept leiste die Beratungsstelle eine außerordentlich erfolgreiche Arbeit.

Behörden und Zivilgesellschaft Hand in Hand

Das findet auch Peter Neumann, Terrorismus-Experte und seit kurzem Sonderbeauftragter zur Bekämpfung von Radikalisierung bei der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Im Gegensatz etwa zum britischen Ansatz, bei dem das Präventionsprogramm bei der Polizei angesiedelt sei, arbeiteten bei der Hotline Behörde und Zivilgesellschaft zusammen. So sei die Schwelle der Eltern, sich zu melden, niedriger und sie wendeten sich meist auch eher an die Berater. "Und je früher man interveniert, desto größer ist die Chance, dass der Betroffene nicht zum Terroristen wird."

Für die Zukunft wünscht sich Neumann für ganz Deutschland eine "Präventionsstrategie aus einem Guss", um die vielen guten Ansätze, unter anderem die Hotline, besser miteinander zu verknüpfen. Außerdem müsse es einfacher werden, Treffpunkte von Salafisten schneller zu verbieten. Das Risiko für die Radikalisierung sei größer an Orten, wo diese Szene erreichbar sei. Dass es etwa selbst dem Berliner Innensenator nicht gelungen ist, die als IS-Rekrutierungsstelle bekannte Fussilet-Moschee in Berlin zu schließen, ist für Neumann "ein kleiner Skandal".

Und der 19-jährige Markus? Dank der Bamf-Hotline gelang es seiner Mutter, wieder ein Vertrauensverhältnis zu ihrem Sohn aufzubauen. Dabei half auch, dass ein Jugendfreund den jungen Mann durch gemeinsames Fußballspielen wieder in die alte Clique integrierte. Ein Imam zeigte Markus die tolerante Seite des Islams. Die Kontakte zur salafistischen Szene hat er inzwischen aufgegeben.

Beratungsstelle Radikalisierung, Mo.–Fr., 9–15 Uhr, * 09 11/9 43 43 43, beratung@bamf.bund.de

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