Warum die grüne Energie oft nur auf dem Papier existiert

2.5.2018, 05:50 Uhr
Warum die grüne Energie oft nur auf dem Papier existiert

© Uwe Zucchi/dpa

Wäre Strom ein Produkt im Supermarkt, dann müsste man von einer dreisten Mogelpackung sprechen: Es enthält nicht das, was draufsteht. Bei der Angabe des Ökostrom-Anteils betreiben die Stromanbieter Etikettenschwindel im großen Stil. Und das völlig legal – so will es das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG).

Nach dem EEG wird Ökostrom gefördert und rein rechnerisch auf alle Stromkunden in Deutschland verteilt. Die meisten Stromkunden zahlen auf ihren verbrauchten Strom eine Abgabe, mit der etwa der Bau von Windrädern oder Solaranlagen unterstützt wird. Die sogenannte gesetzliche Stromkennzeichnung verpflichtet den Stromversorger zur Angabe, aus welchen Energiequellen er die Elektrizität für seine Kunden bezieht. Hierbei darf der Stromanbieter aber nachträglich einen Anteil von Ökostrom hineinrechnen, der – je nach Zusammensetzung der Kundschaft – bis zu 45 Prozent des gesamten Strommixes betragen kann.

Diese scheinbar grüne Energie existiert tatsächlich nur auf dem Papier, der hinzugerechnete Ökostrom wurde weder vom Versorger eingekauft noch an die Verbraucher geliefert. Der zusätzlich angegebene Anteil soll dem Verbraucher verdeutlichen, dass er über seine Stromrechnung auch den Ausbau regenerativer Energien mitfinanziert. Zu Beginn der Energiewende mag das einen gewissen Sinn gehabt haben, doch heute wohl nicht mehr. Der Anteil erneuerbarer Energiequellen lag 2017 bereits bei rund 38,5 Prozent der Netto-Stromerzeugung. Mit dem real steigenden Ökostrom-Anteil ist zugleich auch die Angabe gewachsen, die die Versorger nachträglich in ihren Strommix hineinrechnen.

"Klare Parallelen zur Dieselgate-Affäre"

So nimmt nicht nur das Ausmaß der Verbrauchertäuschung zu, sondern auch der Frust der reinen Ökostrom-Anbieter: Ihr Produkt unterscheidet sich zumindest auf dem Papier immer weniger von Konzernen, die billigen Kohlestrom kaufen und mit grünen Diagrammen auf ihrer Homepage und auf der Stromrechnung werben.

Der Ökostrom-Versorger Lichtblick ist deshalb in die Offensive gegangen. "Es gibt hier klare Parallelen zur Dieselgate-Affäre", sagt Gero Lücking, Geschäftsführer Energiewirtschaft bei Lichtblick. Seine Forderung: "Auch beim Strom darf nur das draufstehen, was drin ist." Bis es so weit ist, kann sich der Verbraucher auf der Internetseite des Ökostrom-Anbieters die wahren Zahlen von 50 großen deutschen Versorgern ansehen.

N-Ergie landet im unteren Bereich

Keine Überraschung: Lichtblick selbst erreicht mit dem tatsächlichen Einkauf von 100 Prozent Ökostrom auf dem Spitzenplatz. Der Konzern Eon Deutschland landet im oberen Mittelfeld: Er gibt bei der Stromkennzeichnung für 2016 einen Ökostrom-Anteil von insgesamt 48,5 Prozent an, doch in seiner Bilanz des tatsächlichen Stromeinkaufs machen die erneuerbaren Energien nur gut zehn Prozent aus. Und der tatsächlich durch Eon-Strom verursachte CO2-Ausstoß liegt nicht bei 281 Gramm pro Kilowattstunde, sondern bei 505 Gramm. Damit liegt der Konzern auf Platz 20. Beim Negativ-Rekordhalter der 50 untersuchten Versorger, der RWE-Tochter innogy, sind es statt des offiziell angegebenen Wertes von 495 Gramm sogar 814 Gramm CO2.

Der Nürnberger Versorger N-Ergie landet im unteren Bereich: auf Platz 39. Da ist noch Luft nach oben. Nur 7,5 Prozent Ökostrom kauft die N-Ergie insgesamt tatsächlich ein. Doch sie verkauft ihn gerne weiter. Es gibt unter den verschiedenen Stromtarif-Modellen auch ein Angebot mit reinem Ökostrom. Ohne Rechentricks, wie eine N-Ergie-Sprecherin bestätigt: "Das Angebot Strom Purnatur, der besteht aus 100 Prozent regenerativ erzeugtem Strom aus der Region." Davon stammen 98,7 Prozent aus Wasserkraft und 1,3 Prozent aus Solarstrom. Neben diversen bayerischen Wasserkraftwerken ist hierfür auch das Nürnberger Flusskraftwerk Hammer im Einsatz, den Solarstrom liefert eine Photovoltaikanlage im Landkreis Eichstätt.

Der Kunde entscheidet mit 

Pro gezahlter Kilowattstunde im Ökostromtarif fließt 1 Cent in Projekte zur Förderung der Energiewende. Dennoch sind es bislang nur rund ein Prozent aller Privatkunden, die sich für diesen Tarif des Nürnberger Versorgers entscheiden.

Wie sinnvoll finden Umweltschützer die Ökotarife von Anbietern, die primär fossile Energieträger einkaufen? "Physisch kommt der Strom einfach aus dem nächstgelegenen Kraftwerk", sagt Chrisoph Rasch von Greenpeace. "Aber es geht natürlich um die bilanzielle Verteilung. Und um die Frage, wen man unterstützen will." Der Kunde entscheidet schließlich auch mit, wohin die Investitionen der Konzerne gehen.

Die Verbraucher werden jedoch von der gesetzlichen Stromkennzeichnung immer stärker in die Irre geführt – was offenbar auch in der Bundesregierung auf Missfallen stößt: Es soll Überlegungen geben, bei der geplanten EEG-Reform im Herbst festzuschreiben, dass die Versorger künftig nur den realen Ökostrom-Anteil angeben sollen. Christoph Rasch ist jedoch skeptisch, ob das wirklich so kommt: "Da ist noch viel in Bewegung."

Der tatsächliche Anteil von erneuerbaren Energien im Strommix von 50 großen Versorgern findet sich auf der Internetseite www.lichtblick.de

16 Kommentare