Warum sich Gerüchte über Flüchtlinge im Netz verbreiten

28.1.2016, 06:00 Uhr
Mit Hetze wird im Netz Stimmung gegen Flüchtlinge gemacht. Oft halten sich die Gerüchte auch dann noch, wenn sie sich längst als Falschmeldungen herausgestellt haben.

© dpa/Patrick Pleul Mit Hetze wird im Netz Stimmung gegen Flüchtlinge gemacht. Oft halten sich die Gerüchte auch dann noch, wenn sie sich längst als Falschmeldungen herausgestellt haben.

Weil Flüchtlinge die Regale in einem Lebensmittelmarkt immer wieder leer geklaut haben sollen, musste der Discounter geschlossen werden. Angeblich hielt sich der Laden nur über Wasser, weil die Kommune den Schaden ersetzte. Wo das passiert ist? Angeblich in Gießen, in Trier oder in Roth. Tatsächlich aber nirgends. Es sind Luftnummern.

"Man könnte in die Tischkante beißen, so irr ist das", sagt Claudia Weinig, Pressespre­cherin im Landratsamt Roth. Bürger rufen bei ihr und der Polizei an und wollen wissen, was da dran ist. "Gar nichts", sagt sie immer wieder.  Auch ein anderes Gerücht hält sich hartnäckig: In der Nähe der Unterkunft in Roth soll ein Bordell eröff­nen, das männliche Flüchtlinge nutzen können. Gratis, weil die Kom­mune Gutscheine austeilen werde. Weinig: "Absoluter Unfug!" Doch hilft das Dagegen-Reden? Oft lassen sich die Anrufer nicht überzeugen. Sie zweifeln sogar, wenn die Polizei mel­det, dass dazu nichts aktenkundig ist.

Wenn eine infame Meldung erst ein­mal in der Welt ist, lässt sie sich schwer einfangen. In Oberbayern ist das der Polizei kürzlich gelungen. Auf Facebook kursierte die Nachricht ei­ner Vergewaltigung: In einer Traun­steiner Unterführung soll ein Mäd­chen Opfer geworden sein. Der Mann, der den Post absetzte, unterstellte der Polizei, den Fall zu vertuschen: "Die Polizei, unser Freund und Helfer, hält schön den Mund und gibt nichts an die Bevölkerung raus!! Die Informa­tionen stammt aus einer sicheren Quel­le!!!" Bald war klar: Die Polizei hat nichts an die Bevölkerung herausgege­ben, weil es nichts gab, was man hätte herausgeben können. Wie sich heraus­stellte, war auch die angebliche Quel­le alles andere als sicher. Das Prinzip "Flüsterpost" trifft wohl das, was da passiert ist.

Prinzip Flüsterpost

Nutzer greifen reale Vorkommnisse (wenn auch verkürzt und zugespitzt) auf, andere geben das weiter - je öfter die angebliche Nach­richt weitergetragen wird, desto mehr wird der Wahrheitsgehalt verfälscht. Die Folgen können gravierend sein, insbesondere in sozialen Netzwerken entfalten solche Posts eine extreme Dynamik. In der aktuell sehr aufge­heizten Flüchtlingsdiskussion bekom­men sie eine besondere Brisanz.

Bis vor etwa 20 Jahren war der Klatsch-Umschlag­platz Nummer eins der Stamm­tisch: Dort wurden Gerüchte verbrei­tet, hitzig diskutiert und von den Knei­pengehern nach Hause getragen. Doch in der Regel blieben diese freu­dig aufgesogenen angeblichen Neuig­keiten auf Regionen beschränkt. Im Netz fallen diese Grenzen.

Hinzu kommt: Bei Facebook etwa entscheidet ein Algorithmus, was in der Nachrichtenspalte erscheint. Er analysiert, was den Nutzer interessie­ren könnte und setzt ihm maßgeschnei­derte Informationshäppchen vor. Außerdem neigen Menschen dazu, sich ihre vorgefassten Meinungen von anderen bestätigen zu lassen - was nicht ins Weltbild passt, wird ausgeblendet.

Gerüchte aus der rechten Ecke

Im Ministerium geht man davon aus, dass rechte Kreise die Falschmel­dungen in die Welt setzen. Sicher ist laut Siefener jedoch: AfD und Pegida beteiligen sich munter an der Verbrei­tung. Die NPD in Bayern hat auf ihrer Internetseite indes eine "Krimigran­tenkarte" platziert. Angebliche sexuel­le Belästigungen, Überfälle, Messerat­tacken und weitere Delikte ausgehend von Migranten sind hier mit Ortsanga­ben aufgelistet. Dem bayerischen Ver­fassungsschutz ist die Karte bekannt. Siefener: "Der Staatsschutz beobach­tet das. Nachgewiesen sind die Vorfäl­le aber nicht."

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