Warum wir dringend mehr Demokratie brauchen

12.12.2017, 16:37 Uhr
Große Koalition oder Kooperationskoalition?

© Hannibal Hanschke/dpa Große Koalition oder Kooperationskoalition?

Klar, Bundeskanzlerin Angela Merkel fände alles andere als eine Neuauflage der GroKo, einer Großen Koalition mit der SPD, grässlich. Aus den Reihen der Sozialdemokraten, die in zwei Legislaturperioden in einer GroKo dezimiert wurden, wird nun ein neues Modell lanciert: eine "Kooperationskoalition", bei der nur bestimmte Kernprojekte im Koalitionsvertrag verankert werden sollen. Und warum sollte das nicht auch funktionieren können?

In Dänemark, Schweden und Norwegen kennen die Menschen so etwas wie eine Große Koalition gar nicht. Auch für eine normale Koalition reicht es oft nicht. Seit Jahrzehnten löst da eine Minderheitsregierung die nächste ab. Das ist oft mit lebhaften Debatten verbunden. Doch am Ende gibt es meist Entscheidungen, die von stabilen Mehrheiten getragen werden. Diesen nordischen Staaten geht es wirtschaftlich prächtig, und auch das politische System ist nicht kollabiert, obwohl rechte Parteien dort zum Teil noch wesentlich stärker sind als in Deutschland.

Natürlich, der Haupteinwand lautet: Deutschland ist kein kleines Land, sondern als verlässlicher Anker für die ganze EU zu wichtig, als dass man da Unsicherheiten zulassen sollte. Das mag auf den ersten Blick einleuchten – auf den zweiten aber schon nicht mehr. Was haben die GroKos in Deutschland denn gebracht?

Abschreckendes Mautbeispiel

Die festgenagelten Koalitionsvereinbarungen haben unter anderem ermöglicht, dass die Bundesregierung mit ihrer Parlamentsmehrheit eine Maut durchgedrückt hat, die praktisch alle außer der CSU für baren Unsinn halten. Auch die SPD, die das ursprünglich für bescheuert erklärt hatte, musste dem letztlich zähneknirschend zustimmen. Bei einer Minderheitsregierung wäre dieses Vorhaben grandios gescheitert – und wir müssten jetzt nicht darauf warten, dass es möglicherweise an den Klagen von Nachbarländern wie Österreich und den Niederlanden zerschellt.

Es ist oft genug betont worden, dass eine GroKo nur für eine Ausnahmesituation ein taugliches Mittel ist. Eine lebendige Demokratie braucht eine kräftige, selbstbewusste Opposition. Wenn demnächst im Bundestag die rechte AfD die stärkste Kraft sein sollte – und damit bei allen Debatten direkt auf die Regierung antworten kann –, wird das vermutlich kein Beitrag zur politischen Kultur sein. Niemand müsste sich wundern, wenn der Verdruss am politischen System weiter zunehmen sollte. Und das zerstört die demokratische Verankerung weit mehr als das Fehlen einer stets sicheren Regierungsmehrheit.

Nicht einfach durchwinken

Warum sollte das Ergebnis schlechter sein, wenn über strittige politische Vorhaben wirklich leidenschaftlich und quer durch die Reihen debattiert werden würde. Beispielsweise über die Bürgerversicherung. Warum sollte das Ergebnis schlechter sein, als wenn eine GroKo das Vorhaben mit ihrer Mehrheit einfach durchwinkt oder – was wahrscheinlicher ist – von vornherein als Humbug verwirft?

Das Modell einer Kooperationskoalition ("KoKo") wurde zwar von der Parteilinken der SPD ins Spiel gebracht, die in der Vergangenheit nicht immer für politischen Realismus bekannt war. Doch für die politische Kultur wäre dieses neue Modell, bei dem nur Kernthemen fest verabredet werden, sich die Partner bei strittigen Themen aber andere Verbündete suchen müssen, ein Segen. Für Europa entstünde da keinerlei Schaden. Denn da gibt es reichlich Gemeinsamkeiten. Das könnte man problemlos in den Kernabsprachen vereinbaren.

Aus Sicht von Kanzlerin Merkel ist das sicher keine Traumvorstellung. Doch was gut oder bequem ist für die Regierungschefin, muss nicht zwangsweise auch gut sein für das Land und das gesellschaftliche Klima. Wie sagte der frühere Kanzler Willy Brandt einmal: "Wir wollen mehr Demokratie wagen." Dafür wäre jetzt genau der richtige Zeitpunkt.GEORG ESCHER

Verwandte Themen


21 Kommentare