Wieso Jasem Nabhani das Vertrauen in den deutschen Rechtsstaat verloren hat

5.1.2019, 15:00 Uhr
Jasem Nabhani in seinem Zimmer: An der Wand hängen viele Fotos seiner Tochter und seiner Frau. Doch auch eine israelische Fahne hat er angebracht. Er will damit ausdrücken, dass er zwar Iraner ist, aber nichts gegen Israelis oder Juden hat.

© Georg Escher Jasem Nabhani in seinem Zimmer: An der Wand hängen viele Fotos seiner Tochter und seiner Frau. Doch auch eine israelische Fahne hat er angebracht. Er will damit ausdrücken, dass er zwar Iraner ist, aber nichts gegen Israelis oder Juden hat.

Herr Nabhani, Sie sind ein Flüchtling aus dem Iran, aber Sie sind ein ethnischer Araber. Deswegen ist Ihre Fluchtgeschichte auch ungewöhnlich. Wie kam das?

Jasem Nabhani: Ich habe im Iran als Koch gearbeitet, bei einer staatlichen Ölgesellschaft. Dazu muss man wissen: Alle, die beim Staat arbeiten, müssen eine Erklärung unterschreiben, dass sie bereit sind, als Soldat zu kämpfen, wenn es einen Krieg geben sollte. 2013, als in Syrien der Bürgerkrieg angefangen hatte und Präsident Assad Stadt um Stadt verlor, wollte der Iran ihm helfen. Aber die Regierung hatte große Probleme, genug Soldaten zu finden – wegen der Sprache. In Syrien wird Arabisch gesprochen, nicht Persisch. In meiner Familie sind wir alle Araber. Und da hat die Regierung mir vorgeschlagen, ich solle nach Syrien gehen, in die Hauptstadt Damaskus – aber nur als Koch. Ich habe das akzeptiert, denn es wurde gut bezahlt. Das war cool.

Es blieb aber nicht lange so . . .

Nabhani: Sie haben mich bald zu einem Militärlager geschickt. Ich sollte dort ein Training erhalten. Ich wollte das nicht. Ich habe gesagt: Ich arbeite als Koch, warum sollte ich da ein Militärtraining brauchen? Sie haben gesagt, es könnte sein, dass Damaskus an die Rebellen fällt, und dann müsse ich mich selbst verteidigen können. Aber ich habe mich geweigert. Das Problem ist: Im Iran ist das Gesetz nur ein Stück Papier. Du kannst einfach vor Gericht gestellt werden und du kannst sogar zum Tod verurteilt werden. Der Vertreter der Revolutionsgarden in unserer Firma hat mich zur Rede gestellt. Warum willst du nicht kämpfen?, wollte er wissen. Ich habe gesagt: Ich will nicht sterben und ich will auch nicht töten. Im Iran heißt es, wenn du im Kampf stirbst, kommst du direkt ins Paradies. Aber ich will da nicht hin. Mein Paradies ist hier, mit meiner Familie. Ich wollte nur ein guter Papa sein. Meine Tochter war erst drei Jahre alt. Ich wusste, wenn ich zur Armee gehe, sterbe ich. In Syrien sind so viele Iraner umgekommen. Da hat der Revolutionsgardist gesagt: Wenn du dich weigerst, bist du kein guter Schiit. Dann bist du ein Sunnit und arbeitest für Saudi-Arabien. Dann musst du sterben.

Das ist ausweglos.

Nabhani: Ich hatte nur zwei schlechte Möglichkeiten. Melde ich mich zum Kampf, dann sterbe ich. Weigere ich mich, sterbe ich auch. Also habe ich geplant, in den Irak zu fliehen – Teile unserer Familie leben dort. Aber ein Freund hat mir geraten: Gehe in die Türkei! Von dort kannst du in andere Länder flüchten, meinte er. Das haben wir gemacht. Meine Frau und Tochter habe ich mitgenommen. Wir sind mit dem Zug über einen Grenzübergang gefahren, der nicht kontrolliert wird. War ganz einfach.

In Ihrer Asylakte steht, Sie hätten angegeben, dass Sie sich als Christ ausgegeben hätten. Das hat man Ihnen aber nicht geglaubt.

Nabhani: Die Religion hat bei meiner Flucht keine Rolle gespielt. Aber meine Frau hat in der Türkei angefangen, sich für den christlichen Glauben zu interessieren. Sie wollte nicht alleine in die Kirche gehen, also bin ich mitgegangen. Nach sechs oder sieben Monaten habe auch ich angefangen zu glauben. Was ich in der Kirche erlebt habe, war schön. Ich kann das nicht in Worte fassen. Es war viel Wärme.

Im Asylverfahren haben Sie wegen Ihrer Angaben zur Religion große Schwierigkeiten erlebt. Ihr Fall wurde negativ entschieden.

Nabhani: Vor Gericht haben sie zu mir gesagt, es kommen so viele Iraner nach Deutschland und behaupten, sie seien Christen, obwohl das gar nicht stimmt. In meinem Interview habe ich gesagt, dass ich Christ bin. Das stimmt auch. Dann hat man mir aber gleich 300 Fragen gestellt über das Christentum. Die konnte ich nicht beantworten. Und dann haben sie gesagt: Du bist kein Christ. Sie haben sich gar nicht mehr interessiert für die Gründe, warum ich geflohen bin.

Wieso Jasem Nabhani das Vertrauen in den deutschen Rechtsstaat verloren hat

© privat

Ihre Familie ist noch in der Türkei.

Nabhani: Ja, ich bin allein aus der Türkei nach Deutschland geflohen. Ich konnte meine Familie nicht mitnehmen. Die Flucht über das Meer war sehr gefährlich.

Ihr Bruder ist ebenfalls geflohen. Auch er sollte in Syrien kämpfen. Anders als Sie ist er aber als Asylbewerber anerkannt. Wie kommt das?

Nabhani: Ich wusste lange nicht, dass auch er nach Deutschland geflohen war. Erst Monate später habe ich das erfahren. Mein Vater hat es mir am Telefon gesagt. Er hat mich dann besucht und ich habe ihn gefragt, warum er geflohen war. Er sollte auch nach Syrien geschickt werden. Er wollte das nicht, genauso wie ich. Da hat man ihm gesagt, er werde Probleme kriegen. Also ist er geflüchtet. Er ist ein paar Monate nach mir gekommen, nach Hamburg (genauer gesagt: Kaltenkirchen in Schleswig-Holstein; Anm. d. Red.). Er ist dort anerkannt worden. Ich bin in Bayern und bin abgelehnt worden. Ich verstehe das nicht. Ich bin nach Deutschland geflüchtet, nicht nach Bayern. Das kannten wir im Iran gar nicht. Wieso entscheidet man in Bayern anders als in Hamburg? Das ist doch Deutschland – und fertig! Der einzige Unterschied ist: Er hat nicht gesagt, dass er Christ ist – er ist es auch nicht. Ich bin inzwischen Christ, aber es war nicht der Grund für meine Flucht.

Sie wirken zornig deswegen.

Nabhani: Ich kann das nicht verstehen. Wenn man hier gefragt wird, ist die erste Frage: Ihr Name? Die zweite ist: Was ist Ihre Religion? Ich dachte, das gibt es nur im Iran. Deutschland ist das freieste Land der Welt, eine große Demokratie. Wie kann es sein, dass man hier gleich nach der Religion fragt? Wenn ich in den Iran zurückgeschickt werde oder wenn ich freiwillig gehe, werde ich wahrscheinlich schon am Flughafen verhaftet und ins Gefängnis geworfen.

Hat sich Ihre Vorstellung von Deutschland verändert?

Nabhani: Natürlich. Ich hatte früher gedacht, Deutschland ist ein Paradies, weil es eine Demokratie ist. Nicht wegen Geld oder Essen. Ich hatte im Iran keinen Hunger. Ich hatte gut verdient, ich hatte ein Auto, ein Haus, uns ging es gut. Deswegen bin ich nicht geflüchtet. Ich wollte nur leben und ein guter Papa sein. Aber Deutschland hat mir das genommen. Meine Tochter hat seit einem Jahr nicht mehr mit mir geredet. Sie ist kalt zu mir. Warum? Sie hat tausendmal zu mir gesagt: Papa, ich habe dich vermisst. Kommst du, bitte? Sie versteht nicht, was es bedeutet, dass ich Flüchtling bin, dass ich keine Papiere habe.

Was macht das mit Ihnen?

Nabhani: Ich muss zugeben, ich bin verzweifelt. Das Leben in unserem Flüchtlingsheim ist schwer. Jeden Tag kommt der Hausmeister und erklärt: Wenn die AfD drankommt, schmeißen die euch raus! Es gibt so viele gute Leute, die zu uns kommen. Aber das hilft uns nicht. Sie können nichts erreichen. Das kann nur die Politik. Ich will mein Leben leben. Ich habe aber kein Datum, wann ich meine Familie, meine Tochter wiedersehen kann. Das macht mich wirklich traurig.

Wenigstens dürfen Sie arbeiten.

Nabhani: Ja, ich arbeite bei McDonald’s. Aber das ist nicht mein Beruf. Ich bin Koch. In der Ölfirma im Iran, bei der ich gearbeitet habe, habe ich für Italiener, für Chinesen, für Australier gekocht. Ich war ein guter Koch.

Köche werden auch in Deutschland gesucht. Können Sie nicht wechseln und selber eine Stelle finden?

Nabhani: Ganz ehrlich, ich weiß es nicht. Wenn ich eine andere Arbeit suche, verliere ich vielleicht meine Stelle hier. In meinem Ausweis steht, ich darf nur bei McDonald’s arbeiten. Schon vor zwei Jahren habe ich eine Stelle als Koch in einem Hotel in Frankfurt gefunden. Der Chef oder der Manager, ich weiß es nicht genau, er ist Iraner. Ich habe ihn angerufen und ihm gesagt, dass ich Persisch, Arabisch, Türkisch, Englisch spreche und jetzt auch Deutsch lerne. Sie wollten mir sogar ein Zimmer geben mit eigener Toilette, Dusche und allem. Das wäre cool gewesen. Aber ich darf nicht, weil ich noch nicht anerkannt bin.

Wie geht es Ihnen bei Ihrem Job?

Nabhani: Jetzt geht es besser. Aber vorher habe ich bei McDonald’s in Unterfarrnbach gearbeitet. Das war schwierig für mich, weil ich dort oft Spätschicht hatte bis nach Mitternacht. Die U-Bahn nach Nürnberg hatte oft Verspätung wegen Baustellen. Dann habe ich die letzte S-Bahn nach Röthenbach nicht mehr gekriegt und musste drei Stunden am Bahnhof warten. Für Flüchtlinge ist das ganz schlecht. Da kommt sehr oft die Polizei und fragt dann: Was machst du hier? Ich will nicht die Polizei kritisieren – das ist ihre Arbeit. Aber warum durfte ich nicht nach Nürnberg ziehen? Dann wäre das Problem gelöst gewesen. Ich habe das auch an das Landratsamt geschrieben. Ich habe dann eine Antwort erhalten. Aber sie haben geschrieben, es gibt ganz viele Verbindungen, mit Bus, U-Bahn, S-Bahn. Ich weiß es nicht, aber entweder haben sie nicht gesehen, dass ich Nachtschicht arbeite – oder sie wollten es nicht sehen.

Und Sie dürfen nicht umziehen, obwohl Sie im Flüchtlingsheim selbst Ihre Miete bezahlen?

Nabhani: Ich zahle 311 Euro Miete pro Monat. Ich könnte eine WG finden für 250 oder 300 Euro. Aber ich darf nicht umziehen, sondern muss im Asylheim bleiben. Da gibt es ständig Probleme. Aber das Landratsamt hat gesagt: Du darfst nicht umziehen, weil dein Vertrag nicht unbefristet ist.

Wie reagieren Sie auf so etwas?

Nabhani: Mich hat das sehr mitgenommen. Ich habe psychische Probleme bekommen. Ich war acht Tage in einer Klinik. Der Arzt hat sogar eine Suizidgefahr bestätigt. Beim Landratsamt haben sie das angesehen und trotzdem gesagt, ich darf nicht aus dem Asylheim ausziehen. Der Mitarbeiterin war das egal, einfach egal. Dann hat mein Chef mir sogar extra einen unbefristeten Vertrag gegeben. Das gibt es sonst nie. Ich war sehr glücklich. Wieder war ich im Sozialamt. Sie haben eine Kopie gemacht. Und dann hat die Mitarbeiterin gesagt, nein, ich darf weiter nicht umziehen. Ich weiß nicht, warum. Einfach so. Dann habe ich gesagt, dass in Nürnberg Flüchtlinge mit einem unbefristeten Vertrag umziehen dürfen. Da meinte sie: Ja, Nürnberg, das ist Nürnberg. Aber hier ist Nürnberger Land.

Hat Sie das überrascht?

Nabhani: Ja, ich dachte, Deutschland ist ein Rechtsstaat. Ich dachte, das Gesetz ist überall gleich. Dann habe ich gefragt, warum mein Bruder in Hamburg anerkannt ist und ich nicht. Da haben sie gesagt: Ja, das ist Hamburg, aber du bist in Bayern. Was soll das? Ich verstehe das nicht.

Fühlen Sie sich ungerecht behandelt?

Nabhani: Ich weiß nicht, ob es nur mir so geht oder allen. Ich will ein Beispiel erzählen, aus dem Sprachkurs. Unsere Seminarleiterin hat jeden Tag gesagt: Wenn ihr nicht die Sprache lernt, schreibe ich an das Landratsamt. Dann schicken sie euch zurück in euer Heimatland. Jeden Tag hat sie das gesagt, sie war sehr böse. Glauben Sie, dass man in so einer Situation gut Deutsch lernen kann? Ich weiß, dass man in Deutschland ohne Sprache keine Chance hat. Ich will lernen, ich spreche auch schon vier andere Sprachen. Aber das war schlimm.

Verfolgen Sie die politischen Debatten?

Nabhani: Natürlich. Auch das ist schlimm. Wenn zum Beispiel Innenminister Seehofer sagt, die Flüchtlinge seien "die Mutter aller Probleme", und alle lesen das, was sollen wir da denken? Was passiert dann mit uns? Bei meiner Arbeit wissen alle, dass ich Flüchtling bin. Was sollen die denken, wenn sie so etwas hören? Herr Seehofer ist Minister.

Hat das Ihr Vertrauen in Deutschland erschüttert?

Nabhani: Ganz ehrlich: Wenn ich im Iran hätte sterben wollen, hätte ich nur in Syrien kämpfen müssen. Zing, dann wäre ich tot gewesen – körperlich. In Deutschland stirbt nicht mein Körper, aber meine Seele, mein Herz. Mein Vertrauen stirbt jeden Tag ein bisschen mehr. Im Iran war vieles schlimm. Aber ich hatte nie psychische Probleme. Hier, in Deutschland, war ich acht Tage in einer Nervenklinik . . . Warum habe ich Tabletten nehmen müssen, damit ich mich beruhigen kann? Im Iran haben die Mullahs mein Leben kaputt gemacht. Jetzt bin ich hier, und Deutschland macht mein Leben kaputt. Warum?

Sie kämpfen doch noch . . .

Nabhani: Ja, ich kämpfe. Für die Zukunft meiner Tochter. Ich will nicht, dass ihre Zukunft so aussieht wie mein Leben ausgesehen hat. Ich will, dass sie eine Zukunft in einem demokratischen Land hat. Und ich glaube immer noch, dass Deutschland die erste Demokratie in der Welt ist.

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