Wirtschafts-Guru Sinn: "Am besten, wenn Italien im Euro bleibt"

4.6.2018, 14:57 Uhr
Wie heißt noch gleich sein Nachfolger im Ifo-Institut? Hans Werner Sinn ist irgendwie immer noch das Gesicht des Wirtschaftsforschungsunternehmens, auch wenn er seit zwei Jahren nicht mehr im Amt ist. Die NZ traf ihn zum Interview.

© Ifo-Institut Wie heißt noch gleich sein Nachfolger im Ifo-Institut? Hans Werner Sinn ist irgendwie immer noch das Gesicht des Wirtschaftsforschungsunternehmens, auch wenn er seit zwei Jahren nicht mehr im Amt ist. Die NZ traf ihn zum Interview.

NZ: Herr Professor Sinn, die Griechen haben es nicht geschafft, aber den Italienern könnte es gelingen, nämlich den Euro zu sprengen. Kann man das so sehen?

Hans Werner Sinn: Sie spielen darauf an, dass Italien erwägt, aus dem Euro auszutreten.

NZ: Und die Regierungsparteien wirtschafts- und finanzpolitische Pläne haben, die sich mit den Euro-Stabilitätskriterien nicht vertragen...

Sinn: Richtig. Aber wenn Italien aus dem Euro austritt, ist das nicht das Ende des Euro, sondern es ist dann ein kleinerer Euro. Man kommt dann dem Zustand näher, den Deutschland ja ursprünglich angestrebt hatte. Sicherlich ist es im Euro kaum möglich, die Schuldenschranken so zu verletzen wie Italien das plant. Die zukünftige Regierung hatte Ausgaben- und Steuersenkungsprogramme vorgeschlagen, die zusammen ein zusätzliches Defizit des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von vier Prozent impliziert hätten. Dann wären wir bei sechs bis sieben Prozent ohne das ohnehin schon vorhandene Defizit. Dazu käme ein weiteres Defizit, wenn die EZB irgendwann mal wieder normale Zinsen setzen würde. Dann läge Italien bei der Defizitquote über zehn Prozent. Das ist weit jenseits dessen, was noch mit einer geordneten Wirtschaftsweise, wie sie der Euro verlangt, kompatibel wäre.

NZ: Italien ist viel größer als Griechenland. Meinen Sie wirklich, der Euro würde einen Austritt Italiens verkraften?

Sinn: Ein Austritt ginge mit erheblichen Bilanzverwerfungen bei den Banken einher. Die französischen Banken haben sehr viel Geld nach Italien verliehen und müssten einen Teil ihrer Forderungen abschreiben. Das liegt daran, dass italienische Banken wahrscheinlich in Schwierigkeiten kämen. Sie könnten nach einer Abwertung und Umstellung auf Lira ihre Schulden gar nicht mehr ganz bezahlen. Das sind die eigentlichen ökonomischen Schwierigkeiten eines Austritts Italiens. Davon abgesehen gibt es auch Vorteile: Die italienische Wirtschaft käme selbst relativ schnell in Schwung. Aber der Übergang ist alles andere als einfach, und viele würden darin eine Beschädigung des europäischen Gedankens an sich sehen.

Euro-Zukunft Italiens unwahrscheinlich

NZ: Italiens Ex-Regierungschef Berlusconi soll schon 2011 über den Austritt aus dem Euro verhandelt haben. Was wissen Sie darüber?

Sinn: 2011 hat Berlusconi zusammen mit Papandreou (damaliger griechischer Ministerpräsident, d. Red.) über den Austritt aus der Eurozone verhandelt. Die Lega möchte heute definitiv aus dem Euro austreten. Berlusconi hat damals Geheimverhandlungen geführt und auch in den vergangenen Jahren wieder davon gesprochen, in Italien eine Parallelwährung zum Euro einzuführen. Die Wahrscheinlichkeit, dass Italien noch länger im Euro bleibt, ist durch die neuen Ereignisse deutlich gesunken.

NZ: Was wäre auf längere Sicht für den Euro besser: mit oder ohne Italien?

Sinn: Am besten ist es, wenn Italien im Euro bleibt. Aber dann muss es seine Wettbewerbsfähigkeit durch Preis- und Lohnzurückhaltung stärken. Das ist ein mühsamer Prozess, der schon in den letzten zehn Jahre hätte laufen können. Aber Italien hat im Gegensatz zu Griechenland und Spanien in dieser Richtung gar nichts gemacht – wenigstens nichts Messbares. Wenn Italien die nächsten zehn Jahre nutzt, um über eine Politik der Sparsamkeit die Lohn- und Preiszurückhaltung hinzukriegen, könnte es allmählich die Wettbewerbsfähigkeit wieder steigern. Das ist aber ähnlich wie eine Chemotherapie, die sehr belastend für den Körper ist. Ob sich die Italiener das zutrauen, wage ich zu bezweifeln.

NZ: Und dann?

Sinn: Dann könnten wir ihnen den Gefallen tun und unsere Ökonomie nachinflationieren. Immerhin ist die Ökonomie Italiens seit 1995 – als auf dem Gipfel von Madrid der Euro beschlossen wurde – relativ zu Deutschland um 38 Prozent teurer geworden. Statt dass Italien billiger wird, könnte Deutschland jetzt teurer werden. Wollen wir das? Ist es den Sparern zumutbar, durch eine Inflation enteignet zu werden, nur um Italien wettbewerbsfähig zu machen? Wenn wir das auch nicht wollen, bleibt nur die Möglichkeit, deutsche Steuergelder über einen Finanzausgleich nach Italien zu schicken, um den italienischen Lebensstandard, der durch eigene Produktivität nicht mehr gedeckt ist, zu finanzieren. Das wird aber sehr teuer, weil Italien so groß ist. Italien können wir nicht wie Griechenland aus der Portokasse bezahlen. Wenn wir das alles nicht wollen, bleibt nur noch der Austritt.

Italien droht die Pleite

NZ: Was würde ein Austritt Italiens aus dem Euro für die deutsche Wirtschaft bedeuten? Sind deutsche Banken auch in einer misslichen Lage wie die französischen?

Sinn: Lange nicht. Aber es gibt doch einige Investitionen. Wenn man italienische Staatspapiere hält, die dann auf Lira umgestellt würden und die Lira abwertet, dann entstehen klare Verluste. Wenn nicht auf Lira umgestellt werden kann, droht dem italienischen Staat eine Pleite. Da würde man sein Geld auch nicht wieder kriegen. Es ist also auf jeden Fall mit Bilanzverlusten für die Banken zu rechnen, aber für die deutschen ist das noch verkraftbar, für die französischen wird es schwierig. Das erklärt auch, warum Frankreich jetzt mit allen Mitteln versuchen wird, Italien im Euro zu halten und von Deutschland eine Einlagenversicherung zum Schutz der Banken Südeuropas verlangt. Frankreich will unbedingt an deutsches Steuergeld heran. Das geht aber nun auch wieder nicht. Wir können ja nicht mit unserem Geld französische Banken retten.

NZ: Überdies gibt es derzeit auch noch Stimmen, die Rumänien, Bulgarien und Kroatien in die Euro-Zone nehmen wollen. Was halten Sie davon?

Sinn: Gar nichts. Diese Bestrebungen gibt es im Moment deswegen, weil sich diese Länder bereits in Euro verschuldet haben. Das gelang zu niedrigeren Zinsen als in der heimischen Währung. Deswegen hat man das gemacht. Man hat aber nicht bedacht, dass man dann nicht mehr abwerten kann. Eine Abwertung in der eigenen Währung würde die Auslandsschulden – gerechnet in der eigenen Währung – immer höher werden lassen, so dass auch wieder Konkursgefahren entstehen. Deswegen sagen einige, man müsse diesen Ländern die Euro-Druckerpresse geben, um sie in die Lage zu versetzen, sich noch mehr Kredit zu holen. Dann würden wir uns neue Kandidaten für eine europäische Transferunion heranziehen: Kroatien, Bulgarien und Rumänien sind in einer ähnlichen Situation wie es Griechenland war. Sie sind durch den billigen Euro-Kredit zu teuer geworden, müssten eigentlich abwerten, aber trauen sich das nicht zu.

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