Casanovas Memoiren im Gärtnerviertel

11.7.2015, 21:45 Uhr
Casanovas Memoiren im Gärtnerviertel

© Werner Lorenz

"Ich liebe dich!", schreit er rennend. Mit diesem ebenso gefühl- wie verhängnisvollen Satz beginnt das TiG-Stück "Casanova" in der Bearbeitung von Heidi Lehnert und Nina Lorenz. Denn der junge Casanova, gekonnt frech-frivol verkörpert von Benjamin Bochmann, hat dieser Tage in der Gärtnerei Niedermaier mit folgender Begebenheit zu kämpfen: Seine Liebe wächst im Verhältnis zu den Schwierigkeiten, die sich seiner Voraussicht nach dem Erfolg entgegenstellen.

Spätestens das Programmheft hat den geneigten Zuschauer vorab informiert, dass Casanova im Wörterbuch sinnverwandter Ausdrücke neben "Lüstling, Lebemann und Frauenschänder" rangiert. Kaum verwunderlich also, dass er gleich zu Anfang von gehörnten Gärtnern durch die Szenerie gejagt wird.

In der Folge entspinnt sich ein humor- und lustvolles Spiel, dessen Grundlage die Memorieren des Giacomo Casanova sind. In der unvollendeten "Geschichte meines Lebens" berichtet der 1725 geborene "Chevalier de Seingalt" von Romanzen, Affären und Liebesspielen in ganz Europa, die ihn zum Inbegriff des Verführers werden ließen. Die Konsequenz solchen Treibens sind bisweilen melancholisch anmutende Momente. Selbst schuld könnte man meinen, pflegt der junge Giacomo – nach Bochmann – doch einen Lebensstil der "seriellen Monogamie".

Casanovas Memoiren im Gärtnerviertel

© Werner Lorenz

Casanovas erotische Abenteuer waren derart zahlreich, dass sogar die Bamberger Darsteller stückintern über deren genaue Bezifferung streiten. Die Spätfolgen: Den ehemals abenteueraffinen Venezianer packt als Bibliothekar auf seinem böhmischen Altersruhesitz die Langweile und er schreibt jahrelang Erinnerungen nieder, die ganze Bücherborde füllen.

Der doppelte Casanova

Diesem Umstand trägt das Regisseurenduo mit einem darstellerischen Parallelismus als besonderen Kniff Rechnung. Stephan Bach tritt als die ältere, schreibende Version Casanovas auf. Keinesfalls stellt er dabei eine schlichte Randfigur der Rahmenhandlung dar. Vielmehr schwelgt er in Erinnerung, philosophiert und kommentiert die Ereignisse. Sofern ihm seine Erinnerungen nicht behagen, scheut er sich nicht die Seite herauszureißen oder eine Kussszene zurückzuspulen. Doch altersmilde weiß er auch: "Früher war ich besessen, heute hab ich fast alle vergessen." Eine gelungen dargestellte Facette des Freigeistes auf der Suche nach Fröhlichkeit und "dem Namen der Brünette".

Derart einsichtig ist die frühere Version des Chevalier noch lange nicht. Die intermediale Gretchenfrage beantwortet er schlicht mit dem Glauben an sich selbst und sein "bestes Stück". Er wäre gern tausendfach, um all die vielseitig von Ursula Gumbsch und Olga Seehafer gezeigten Gespielinnen zu verführen. Die dafür notwendige Kulisse wird, als große und individuelle Stärke des TiG, wie schon bei "Dreier" und "Ödipus", gekonnt in Örtlichkeiten des Bamberger Gärtnerviertels integriert. Einen Anhänger, eine Schubkarre und sechs Europaletten vor dem Gewächshaus der Gärtnerei. Mehr benötigt das Stück unter freiem Himmel nicht, um zu funktionieren.

Trotz Liebeleien kritische Untertöne

Naturgemäß geht auch diese Neuinterpretation individuelle Wege. So stattet Lehnert die Protagonisten beispielsweise mit Jeans, Flanellhemd oder grünen Turnschuhen aus. Jakob Fischer sorgt an der Gitarre für die modern akustische Untermalung. Gumbsch fränkelt als „Lucilda“, Bach inszeniert sich zur großen Erheiterung des Publikums mithilfe zweckentfremdeter Gärtnerutensilien als Bamberger Bischof und Bochmann verkündet: "Deine Augenfarbe ist so schön, wie der Himmel über Klein Venedig." Ob die Damen seiner Wahl dabei mehr Opfer oder Komplizinnen gegen moralische Engstirnigkeit und gesellschaftliche Bigotterie waren, ist eine diskutable Frage, deren Für und Wider gleichermaßen Beachtung findet.

Während die Flucht von Casanova aus den venezianischen Bleikammern und seine Rolle als Spion kaum Berücksichtigung finden, entfaltet er als Verführer seine volle Wirkung. Mit dem Auftritt der Figur "Henriette" (Seehafer) entsteht hierzu ein zeitgemäßer Gegenpol, inklusive kritischer Untertöne im Spannungsfeld zwischen dem Bedürfnis nach Geborgenheit und "Casual Sex". 

Casanova nach den Memoiren des Giacomo Casanova; Bearbeitung von Heidi Lehnert und Nina Lorenz; Spielort: Gärtnerei Niedermaier, Mittelstrasse 42; Dauer: etwa 2 Stunden, eine Pause; weitere Spieltermine: 14.7. und 15.7.2015, 20 Uhr; nach der Sommerpause plant das TiG "Push Up" von Roland Schimmelpfennig aufzuführen.

Verwandte Themen


Keine Kommentare