Droht nun eine evangelische Inquisition?

24.2.2017, 19:28 Uhr
Droht nun eine evangelische Inquisition?

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Leicht gemacht hat sich Hansjörg Albrecht die Entscheidung nicht. Der Sozialpädagoge und Systemische Therapeut ist so tief in das Thema Kirchenaustritt eingedrungen, wie es wenige tun. Das hat seinen Grund. Schließlich ist er "mit dem Gesangbuch aufgewachsen", wie er bekennt.

Der 49-Jährige ist nicht nur Sohn eines Diakons und einer Religionspädagogin, er ließ sich auch bewusst konfirmieren und verstand sich lange als bewusster Christ. Er begann sogar selbst die Diakonenausbildung in der Rummelsberger Brüderschaft. Dort trat er allerdings noch vor dem Abschluss aus und studierte stattdessen Sozialpädagogik.

20 Jahre sei die Jugendhilfestation in Neumarkt jetzt schon "meine berufliche Heimat". Und jetzt dennoch der Bruch mit der Kirche. Nach den bisherigen Bestimmungen zieht der Austritt die sofortige Kündigung nach sich.

Kritik an Sonderstellung

Albrechts Argumentation ist sehr grundsätzlich. Er kritisiert die Sonderstellung der großen Kirchen — auch der katholischen — beim Arbeitsrecht und sieht dadurch nichtreligiöse Menschen "systematisch diskriminiert". Besonders schwer wiegen für ihn Ausnahmen im Betriebsverfassungs- und im Antidiskriminierungsgesetz. Und er spricht von einer doppelten Dominanz in den Sozialberufen, bei den Arbeitsplätzen sowie beim Dienstleistungsangebot.

Durch Lobbyismus auf allen politischen Ebenen, Staatsverträge oder kirchliches Tarifsystem sicherten sich beide große Konfessionen Sonderrechte und Marktvorteile. "Arbeitssuchende in sozialen Berufen haben oft keine andere Wahl als sich kirchlichen Loyalitätsrichtlinien zu unterwerfen", meint der Kritiker.

Erklärung unterschrieben

Allein dadurch, dass er sein Grundrecht auf Religionsfreiheit wahrnehme, werde seine Loyalität gegenüber dem Arbeitgeber Kirche automatisch in Abrede gestellt, "ohne dass berufliches Fehlverhalten vorliegen muss". Bei Kollegen, die Aufgaben bei der Glaubensverkündigung wahrnehmen, sei das noch nachvollziehbar, auch bei Leitungskräften. Die Ausweitung dieser Treuepflichten auf alle Arbeitnehmer sei für ihn "höchst problematisch".

Noch vor seinem Kirchenaustritt hat Hansjörg Albrecht eine Loyalitätserklärung gegenüber seinem Vorgesetzten unterschrieben. Das entsprechende Formular ist seit gut eineinhalb Jahren im Einsatz. Es ersetzt bei Stellenausschreibungen den Hinweis auf die notwendige Zugehörigkeit zu einer Konfession der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirche (AcK).

Mitarbeiter verpflichten sich demnach, ihre Aufgaben "im Sinne der Kirche und ihres diakonischen Auftrags zu erfüllen", die Heilige Schrift und das evangelisch-lutherische Bekenntnis zu achten sowie sich "loyal gegenüber der Kirche und ihrer Diakonie" zu verhalten. Albrecht ging davon aus, damit auch als Nichtchrist weiter für die Rummelsberger arbeiten zu können. Gedacht ist diese Erklärung allerdings nur für Mitarbeiter, die neu eingestellt werden und keiner christlichen Kirche angehören, nicht allerdings für sogenannte Bestandsmitarbeitende, also Menschen wie Hansjörg Albrecht. "Das schafft Ungleichheit."

Nicht gerade erleichtert wird die Situation zusätzlich durch ein internes Papier, das seit vier Monaten in der Rummelsberger Diakonie kursiert. Es liegt der Redaktion vor. Darin ist von einem "Verfahren zur Loyalitätsprüfung" bei Rummelsberger Beschäftigten die Rede, die schon im Dienst sind und dann erst aus der Kirche austreten. Mit solchen Mitarbeitern soll es "Einzelgespräche" mit kirchlichen Amtsträgern und Vorgesetzten geben.

Kein Unterschied

Albrecht bezeichnet eine solche Prüfung als "evangelische Inquisition" und "hochnotpeinliche Befragung". Sie erzeuge wegen der Schwierigkeit, Glaube zu prüfen, und der Möglichkeit starker Sanktionen einen hohen Druck auf alle Beteiligten.

Unvermeidbare Folgen könnten wachsweiche Kompromisse, halb oder ganz zugedrückte Augen oder scheinheiliger Formalismus sein. Glaubensgehorsam und Autoritätshörigkeit würden gefördert. Das gehöre strukturell zu monotheistischen Religionen. Die Sache des Sozialpädagogen ist das alles nicht.

Hinzu komme, so Albrecht, dass in den 20 Jahren bei den Rummelsbergern Glaubensinhalt, Verkündigung, Andacht oder eine andere Äußerung des Glaubens "von keinem meiner zahlreichen Vorgesetzten jemals angesprochen oder eingefordert wurden". Er sehe da überhaupt keinen Unterschied zu säkularen Jugendhilfeträgern. Weitaus überzeugender als die lutherische Lehre sei für ihn ohnehin der "evolutionäre Humanismus". Über Philosophie und wissenschaftliches Denken hat Albrecht nach eigener Darstellung eine ethische Orientierung gewonnen, die sich auch in seiner Arbeit bewährt habe.

Positive Signale

Wie es mit Hansjörg Albrecht bei den Rummelsberger Diensten weitergeht, ist noch offen. Erfreut zeigte er sich vorerst über eine Einladung des Vorstands zum Gespräch. Es gibt Signale, dass er seinen Job behalten kann. Aber eines ist für ihn klar: "Taktisches Abwarten" um den Preis "meine Werte zu verleugnen", wäre nicht infrage gekommen.

Die abgegebene Loyalitätserklärung müsse reichen. "Das erfordert von mir als nichtreligiösem Menschen schon genügend Toleranz, Zurückhaltung und Flexibilität."

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