6./7. April 1963: Suche nach dem Mörder geht weiter

6.4.2013, 10:06 Uhr

Dies teilten Oberstadtdirektor Dr. Hiltl und Polizeichef Amtmann Georg Höhlein mit, als sie jetzt der Presse den Bericht über die Tätigkeit der Polizei im letzten Jahr übergaben. Das umfangreiche Schreibmaschinendokument, in dem auch über die Tätigkeit der Schutzpolizei und über Verkehrsunfälle berichtet wird, kommt zu dem Schluss, dass sich in Erlangen der Sicherheitszustand kaum wesentlich verschlechtert hat.

Im abgelaufenen Jahr, das der Welt die Kuba-Krise und die Gefahr eines Weltkrieges und den Sportanhängern die Fußballweltmeisterschaft in Chile brachte, bescherte der Erlanger Polizei 4563 Straftaten, mit denen sich die Beamten herumzuschlagen hatten. Im Jahr zuvor waren es etwas weniger, nämlich 4406 Verfehlungen.

Von den 4563 Verbrechen und Vergehen, die der Polizei bekannt wurden, konnte sie 3174 Taten aufklären. „Das entspricht“, heißt es dazu im Jahresbericht der Polizei wörtlich, „einem Aufklärungsergebnis von 69,6 Prozent. Das gegenüber dem Vorjahr um acht Prozent verbesserte Aufklärungsergebnis dürfte vor allem auf die Verstärkung der Kriminalpolizei sowie auf die besonders intensive Mitarbeit aller Beamten zurückzuführen sein.“

Angesichts eines noch immer unaufgeklärten Mordes an einer 23 Jahre alten Sekretärin, die ihr ganzes Leben noch vor sich hatte, fragt man sich sofort, was wohl von einer um acht Prozent höheren Sicherheit, die sich rein rechnerisch ergibt, zu halten ist. Diese Tatsache verkennt auch Polizeichef Georg Höhlein nicht, dessen Stirn Sorgenfalten zeigt, sobald das Gespräch auf den Mord kommt.

„Wir sind nach wie vor bemüht“, sagt der Mann, der in erster Linie die Aufgabe hat, den Mörder zu fangen, „wir sind bemüht, die Untat aufzuklären. Und wir setzen alle nur möglichen Mittel ein.“ Man soll aber nach Meinung von Amtmann Höhlein bedenken, dass auch der modernen Kriminalistik, die über die unwahrscheinlichsten Hilfsmittel verfügt, gewisse Grenzen gesetzt sind. Der Polizeichef verweist auf den Mord an dem Nürnberger Waffenhändler und auf die zahlreichen noch nicht aufgeklärten Sparkassen-Morde, bei denen sogar konkrete Täterbeschreibungen, aber eben doch keine besonderen Merkmale bekannt geworden waren.

Im Mordfall Lorenz stand die Erlanger Kriminalpolizei von Anfang an vor einer schwer lösbaren Aufgabe. Gegenwärtig ist die Zahl der möglichen Beweismittel und die Zahl der Zeugen nahezu erschöpft. In Zusammenarbeit mit den Polizeiämtern von Großstädten und mit dem Landeskriminalamt wurden und werden die verschiedensten Spuren verfolgt. Aber bisher sind alle diese Spuren im Sande verlaufen. Weder der „Messerheld“ von Garmisch noch der Ingolstädter Täter kamen als Mörder von Christa Lorenz in Betracht.

Auch Tatwerkzeug noch unbekannt

Auf Einzelheiten eingehend sagt Amtmann Höhlein, dass das Tatwerkzeug noch nicht bekannt ist. In unserer Zeitung haben wir seinerzeit ein Messer abgebildet, mit dem Christa Lorenz möglicherweise ermordet worden sein könnte. Amtmann Höhlein sagt dazu, dass es als mögliches Tatwerkzeug in Frage kommt. „Aber sicher sind wir erst, wenn wir den Täter haben.“ Hier scheint sich die Katze der Nachforschungen in den berühmten eigenen Schwanz zu beißen. Um den Mörder zu finden, suchte man das Messer. Aber das Messer gibt nur Auskunft, wenn man den Mörder hat.

Etwa von dem Zeitpunkt an, da eine Belohnung für die Mithilfe bei der Auffindung des Mörders ausgesetzt wurde, hat nach Darstellung von Amtmann Höhlein die Mitarbeit der Bevölkerung nachgelassen.“ Die meisten, die etwas sagen können, haben ausgesagt.“ Trotzdem sind auch heute noch in Erlangen Polizeibeamte unterwegs, um Einwohner, die vielleicht den Weg zur Polizei scheuten, zu befragen.

Tatsächlich scheint die Polizei — wie man aus verschiedenen Worten der Verantwortlichen entnehmen kann — die Aufklärung des Mordfalls, wenn man es auch nicht so ausdrückte, von einem Zufall zu erwarten. Man ist nämlich weiterhin dabei, in anderen Mordfällen, in denen die Tatumstände ähnlich sind, bei Fällen also, die ein Nachgehen, wie Amtmann Höhlein sagt, „geradezu herausfordern“, Nachforschungen darüber anzustellen, inwieweit der Täter für den Erlanger Mord in Frage kommt. Diese Nachforschungen gestalten sich immer schwerer.

„Wir haben monatelang eine Mordkommission aus zehn Beamten beschäftigt“ sagt dazu der Leiter der Erlanger Kriminalpolizei, Amtmann Ludwig Lang. „Diese Beamten haben Tag und Nacht gearbeitet. Erst in diesem Jahr ist die Zahl der Mitglieder der Kommission reduziert worden.“ Sieben Leitzordner und eine größere Anzahl von Handakten sind über den Mordfall Lorenz zusammengekommen. Seit dem 14. Oktober 1962, seit nunmehr also einem halben Jahr, hat man alle möglichen und unmöglichen Spuren verfolgt.

Mit Spürhunden und Suchgerät

Insgesamt nicht weniger als 254 verdächtigen Spuren ist die Kripo bis heute nachgegangen. Einige Fälle, von denen man sich eine Hilfe verspricht, sind noch nicht abgeschlossen. Das Unternehmen begann mit der Sicherung der Spuren, dem Abriegeln des Geländes, mit dem Einsatz von Spürhunden und einem Metallsuchgerät, es ging weiter mit einer vorübergehenden Verhaftung, mit Nachforschungen in anderen Städten, mit Ermittlungen im Ausland unter Einschaltung von Interpol.

Auch in Berlin, wo Christas Eltern wohnen, wurde mehrmals ermittelt, ihr ganzes Leben wurde rekonstruiert. „Es gibt heute“, sagt Amtmann Höhlein, „außer den Eltern der Ermordeten wohl niemand, der das Leben von Christa Lorenz so gut kennt, wie die Erlanger Polizei.“ Nun ja. Nur den Mörder eben, der jenes Leben so rasch beendete, den kennt man nicht.

Auf die Frage, wie lange die Ermittlungen noch weiter geführt werden, zückt Amtmann Höhlein das Gesetzbuch. Es können, so meint er, noch oft nachträglich Spuren und Hinweise zutagekommen, die zuerst nicht beachtet wurden. Die Verfolgung des Mörders wird vorläufig nicht eingestellt. Die „Verfolgungsverjährung“ tritt nach dem Gesetz erst in 20 Jahren ein. Das wäre im Jahre 1982.

So sehr der Mordfall Lorenz die Öffentlichkeit auch bewegt: er war das schlimmste, aber nicht das einzige Verbrechen oder Vergehen, mit dem sich die Erlanger Polizei im letzten Jahr zu beschäftigen hatte. Der Jahresbericht füttert den Leser mit einer Fülle von Zahlen. Die Tatsache, dass es im letzten Jahr „nur“ 157 Verbrechen und Vergehen mehr als 1961 gab, sieht etwas bedenklicher aus, wenn man die Einzelaufstellung des Polizeiamtes damit vergleicht.

Da sind zum ersten Mal 15 Verbrechen und Vergehen im Amt verzeichnet, die 1961 überhaupt nicht registriert wurden. Hier handelt es sich jedoch nur um zwei Täter: um den früheren kaufmännischen Leiter der Stadtwerke, Ernst Fischerkeller, über dessen Verfehlungen wir berichteten, und um einen Beschäftigten des Bauhofs, der inzwischen verstorben ist.

Auch das auffällige Ansteigen der Sittlichkeitsdelikte Führt Amtmann Höhlein auf ähnliche Umstände zurück. Die Zahl der unzüchtigen Handlungen mit Kindern wuchs von 36 (1961) auf 50 an, die Fälle der Unzucht zwischen Männern von 14 auf 30, die Fälle von Kuppelei von vier auf zwölf. An Raubüberfällen und räuberischen Erpressungen gab es 1961 drei, im Jahre 1962 dagegen zwölf Fälle.

„Obwohl die Sittlichkeitsdelikte gegenüber dem Vorjahr um 45 Fälle zugenommen haben“,, heißt es im Jahresbericht, „besteht kein Anlass zur Beunruhigung.“ Das veränderte statistische Ergebnis sei im Wesentlichen auf ein noch schulpflichtiges Mädchen und einen bereits mehrfach vorbestraften Homosexuellen zurückzuführen. Vor allem der Fall des 14-jährigen Mädchens, das sich mit einer großen Zahl von Männern — man sprach von rund 30 — einließ, führte dazu, dass nicht nur die Ziffer der Verführungen, sondern auch die der Kuppelei-Fälle anstiegen.

Etwa sechs Männer sind in diesem Zusammenhang bereits abgeurteilt worden, weitere Verfahren stehen bevor. Der Homosexuelle, der sich fortgesetzt an Minderjährigen vergangen hatte, wurde zu einer Zuchthausstrafe und anschließender Sicherheitsverwahrung verurteilt

Interessant aus dem Tätigkeitsgebiet der Kriminalpolizei ist weiter der Umstand, dass sich im letzten Jahr 22 Erlanger das Leben nahmen. Die Zahl der Lebensmüden in der Stadt ist gegenüber dem Vorjahr um mehr als das Doppelte gestiegen. Nur 1956 wurden mehr Selbstmörder verzeichnet. Die Zahl der Selbstmordversuche hat mit 30 einen absoluten Höhepunkt erreicht.

Bei der Frage nach den Motiven sind die Polizei-Statistiker jedoch, so sorgfältig sie auch alles verzeichneten, wohl ein wenig überfragt. Man verzeichnet Schwermut, Familienzwist, Liebeskummer und Furcht vor Strafe oder Schande.

Mehrere brutale Überfälle

Konkreter fassbar sind hingegen von den Sachbearbeitern für Kapitalverbrechen und Tötungsdelikte verzeichneten fünf fahrlässigen Tötungen und sieben tödlichen Betriebsunfällen. In diese Reihe gehören auch die zum Teil brutalen Überfälle in der Nähe der amerikanischen Kaserne und an der Schwabachanlage. Ohne etwas zu beschönigen, stellt die Polizei fest, dass an der Häufung von schweren Überfällen in der zweiten Hälfte des letzten Jahres vor allem viele Amerikaner schuld waren.

Die insgesamt im letzten Jahr ermittelten 2555 Täter reiht der Jahresbericht — und daraus ergeben sich interessante Rückschlüsse — in sieben verschiedene Kategorien ein. Am weitaus häufigsten beteiligt sind erwachsene Männer. Noch vor den erwachsenen Frauen rangieren die sogenannten männlichen Heranwachsenden zwischen 18 und 21 Jahren, an vierter Stelle stehen junge Burschen zwischen 14 und 18 Jahren.

Blechbeulen, Kratzer, Totalschäden

Bei den Verkehrsunfällen ist, was den Schaden anbetrifft, ein neuer Rekord zu verzeichnen. Das Resultat der täglichen Blechbeulen, Kratzer und Totalschäden liest sich in der jahresmäßigen Summe als ein Betrag von fast 800000 DM. Mehr als eine Dreiviertelmillion haben die Erlanger auf den Straßen kaputt gefahren.

Die Ziffer der Unfälle, die 1960 noch 1378 betrug und im folgenden Jahr sprunghaft um 25,9 Prozent auf 1736 anstieg, erhöhte sich 1962, als 1796 Unfälle zu verzeichnen waren, nur unwesentlich um 3,4 Prozent. Die Zahl von sechs Verkehrs-Toten entspricht dem Resultat von 1960; im Jahre 1961 waren bei Verkehrsunfällen im Stadtgebiet neun Tote zu beklagen.

Der Schwerpunkt der Unfälle, der in den Jahren zuvor mit 26 und 23 Unfällen am Martin-Luther-Platz war, verlagerte sich 1962 an die große Südkreuzung zwischen Gebbert-, Nürnberger und Paul-Gossen-Straße, wo — obwohl im Februar schon die Ampel installiert worden war — nicht weniger als 33 Unfälle zu verzeichnen waren.

Die über alle Ereignisse im Jahr berichtende schriftliche Fleißarbeit aus dem Polizeiamt bietet — das will dieser Blick in die Zahlen und Worte beweisen — einen instruktiven Querschnitt durch die Arbeit und durch die Sorgen, die sich für die Polizei jeden Tag bei ihrer Arbeit hinter den Kulissen ergeben. An erster Stelle unter den Sorgen steht im Bewusstsein der Öffentlichkeit noch immer der ungeklärte Mord. Die Sorgenfalten in den Gesichtern der Verantwortlichen haben ihren Grund.c.k.

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