Auf zu neuen Horizonten: Wissenschaft setzt Segel

23.8.2017, 08:39 Uhr
Auf zu neuen Horizonten: Wissenschaft setzt Segel

© Christina Merkel

Der Daumen ist wichtiger als der kleine Finger. Das ist eine der ersten Regeln an Bord. Die Segel-Neulinge lernen, die Seile – auf dem Schiff heißen sie Tampen – so zu halten, dass nur der kleine Finger zerquetscht wird, falls sie abrutschen. Denn ohne Daumen können Seeleute nicht arbeiten.

Es ist eine ganz andere Welt, in die die Wissenschaftler der Uni Erlangen-Nürnberg und ihre Gäste an Bord des Dreimast-Toppsegelschoners "Thor Heyerdahl" eintauchen. Mit eigenen Regeln, eigener Sprache und eigener Zeit.

Drei Etappen fährt das Schiff von Kiel über Malmö nach Riga, von Riga über Helsinki nach Tallinn, und von Tallinn über Danzig nach Rostock. Je drei Forschungsgruppen sind an Bord mit jeweils fünf Wissenschaftlern, die sich fünf vielversprechende Kollegen aus dem Ausland eingeladen haben, um gemeinsam neuen Horizonten entgegen zu segeln.

Keine Meeresforscher, sondern Mediziner, Menschenrechtler, Mathematiker und viele mehr aus über 15 Nationen. Die Arbeit und das Leben an Bord schweißen zusammen, so die Hoffnung der Organisatoren. Es soll Teamarbeit entstehen, neue Ideen und gemeinsame, auch fächerübergreifende Forschung. In den Häfen präsentieren die Wissenschaftler ihre Arbeit, das Schiff und die Uni Erlangen-Nürnberg.

Das Leben auf dem Schiff ist ein 24-Stunden-Job. Alle helfen mit. Jeder hat vier Stunden am Tag und vier Stunden in der Nacht Wache. In dieser Zeit sind die Teilnehmer für das Ruder verantwortlich und den Ausguck. Sie gehen Sicherheitsrunden und Maschinen-Checks, setzen und Bergen die Segel. Eine weitere Stunde am Tag muss jeder putzen, auf dem Deck, unter Deck oder in den Duschen und Klos. Einmal während der Reise bereitet jeder das Frühstück, Mittag- und Abendessen für die insgesamt 50-köpfige Besatzung zu.

Die Belohnung für die harte Arbeit sind wunderschöne Sonnenunter- und Mondaufgänge über dem Meer. Das Testen der eigenen Grenzen bei Klettertouren auf dem Mast. Krafttraining beim Setzen der Segel. Selbstständiges Schiffssteuern unter den Sternen. Stockbrot-Grillen am schwedischen Strand. Und das scheinbar schwerelose Dahingleiten des Schiffes über die Wellen bei vollen Segeln.

Nicht für jeden Professor ist es einfach, die Kommandos der noch jungen Stammbesatzung entgegenzunehmen. Andere sind mit vollem Einsatz dabei und genießen die Handarbeit. Auf einem Schiff fallen die sonst alltäglichen Hierarchien. Der Kapitän hat das Sagen. Er beschließt auch, den Kurs zu ändern, nachdem sich Menschen und Maschine zwei Tage lang gegen den Wind in Richtung Danzig gestemmt haben und die Hälfte der Mannschaft wegen Seekrankheit ausgefallen ist. Der "Open Ship Day" entfällt.

Die Route führt nun mit dem Wind und unter gesetzen Segeln vorbei an der schwedischen Insel Gotland, über Bornholm in Dänemark nach Warnemünde. Die Teilnehmer organisieren eine spontane Wissenschaftskonferenz an Bord mit Vorträgen, Posterausstellung und Diskussionen. Auch sonst nutzen viele jede freie Minute, ob beim Essen oder Putzen, um über ihre Forschungsarbeit zu sprechen. Die Zeit dafür ist vielen zu wenig, aber die Kontakte werden noch weit über die Reise hinaus bestehen.

NZ-Redakteurin Christina Merkel war zehn Tage lang mit an Bord und hat unterwegs über ihre Erlebnisse – von Seekrankheit bis Segelsetzen – gebloggt: http://blog.nz-online.de/campus/tag/science-sets-sail

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