Ein Tag, eine Bierbank: Experiment auf der Bergkirchweih

11.6.2017, 15:00 Uhr
Ein Tag, eine Bierbank: Experiment auf der Bergkirchweih

© Katharina Tontsch

Morgens ist noch alles still. Nur ein paar Vögel zwitschern. Es riecht nach feuchter Erde, nach Bier, ein wenig nach Urin. Das Holz ist kühl, die Bank ruht. Vor dem Sturm. Es ist kurz vor 10 Uhr. Der Tag der Bierbank beginnt, die Bergkirchweih erwacht, die ersten Besucher strömen auf die Keller. Es ist Pfingstsamstag, der heißeste Tag in vielerlei Hinsicht. 15 000 Sitzplätze gibt es auf dem Kirchweihgelände, viele Bänke sind traditionell fest im Boden verankert, schmal und lang — genauso wie unsere Bank. Natürlich gibt es viele wunderbare Bierbänke, Stammtische mit Aufschrift oder mit besonderer Bemalung. Doch in dieser Geschichte dreht sich alles um eine gewöhnliche Bierbank mitten in einem der Epizentren der Kirchweih.

Zu dieser Bierbank kommen die Besucher morgens zum Frühschoppen, mittags zum Biertrinken und abends zum Feiern. Und alle kommen: zufällig. Die ersten an unserer Bank sind vier Studentinnen: Luisa, Anna Maria, Anna und Theresa. Vier Mädels, vier Dirndl, vier Maß.

Warum eine Bierbank keine Nachnamen erfährt? Ganz einfach: Hier duzt man sich. Aus diesem Grund weiß eine Bierbank am Ende des Tages zwar fast alles über die Menschen, die auf ihr sitzen. Nur den Nachnamen nicht.

Luisa und ihre Freundinnen kennen sich aus ihrer Heimat, das Grenzgebiet zu Luxemburg. Jetzt treffen sie sich wieder, sie wohnen in Erlangen, Köln und Berlin. Erstmals geht es gemeinsam auf die Bergkirchweih. "Meine Mutter kommt ursprünglich aus Franken", sagt die 19-Jährige. Deshalb ist ihr das Bierfest nicht fremd. Die Freundinnen jedoch sind zum ersten Mal da. Sie schlagen sich aber gut, sitzen aufrecht auf der Bierbank, prosten sich zu und kaum sitzt eine weitere Mädels-Gruppe neben ihnen, stoßen sie alle gemeinsam an.

Eine Bierbank verbindet, vor allem beim Frühschoppen, wenn noch alles ganz entspannt zugeht. Sabrina und Lena haben sich dazu gesetzt. Mittlerweile ist es 11 Uhr und der Keller ist gut gefüllt. Die Kapelle spielt. Hans ist extra mit seiner Familie aus Obermichelbach gekommen, um die Band "Franken-Mix" zu hören. Er feiert seinen 67. Geburtstag. Frau Silvia und Tochter Tanja sind dabei. Dazu gibt es Brezen und Käse. Auch ein Musiker schaut kurz vorbei und gratuliert, als die Band pausiert.

"Wir sind seit 34 Jahren verheiratet", sagt Silvia. "Seit 40 Jahren gehen wir immer zusammen auf den Berg." Nach dem Frühschoppen spaziert die Familie noch einmal gemütlich über die Buden-Straße. "Zum Schluss gibt es noch eine Nascherei, dann gehen wir nach Hause." Dann, wenn die Massen kommen. Denn eines ist klar: So schön ruhig wie am Vormittag wird es an diesem Tag nicht mehr. Das weiß auch die Bierbank — aus jahrelanger Erfahrung.

Gegen 14 Uhr verlässt die Familie die Bank, auch Luisa zieht weiter. "Ich wollte meinen Freundinnen den Berg in Ruhe zeigen, am Abend kommen wir wieder zum Feiern, dann geht’s auch zum After Berg." Jetzt aber müssen die Mädels erst wieder zurück in Luisas Wohngemeinschaft. "Dort gibt es Kaffee und Kuchen." Auf unserer Bierbank gibt’s weiter vor allem: Bier. Es ist ein munteres Kommen und Gehen, alle sind ein wenig zusammengerutscht. So wie es sein soll. So wie es unsere Bierbank mag.

Am Nachbartisch stehen die ersten schon auf ihren Bänken. Zu uns setzen sich Katja und Ludwig aus Nürnberg und Fürth. Beide lieben die Stimmung am Berg. Bleiben wollen sie, "solange wir durchhalten". Durchhalten ist auch am Nachmittag angesagt, zuerst nieselt es, wenig später regnet es, als gäbe es kein Morgen. Für die Bierbank eine willkommene Abwechslung. Die Kellner verteilen riesige Plastik-Planen, darunter versuchen sich die Bergbesucher zu verstecken, die Füße im immer matschigeren Boden. Manche gehen aber auch lieber heim. Erst gegen 17 Uhr kommt die Sonne wieder raus.

 

Der Berg ist einmal leer gespült, nur die Härtesten sind geblieben, unter den Planen. Katja und Ludwig sind noch da, rasch füllt sich auch die Bank wieder mit Neuankömmlingen. Wer jetzt schnell ist, hat für den Abend einen perfekten Platz zum Feiern, fast direkt vor der Bühne. Eine Stunde später ist der Erich Keller so gut besucht, dass man die Bank von weitem gar nicht mehr sieht. Die ersten stehen bereits auf den Bänken, den Maßkrug in der Hand, die Lederhose sitzt. "Appendix" spielt.

Gerade haben sich Anna und Vanessa ans Ende dazu gesetzt. Beide kommen aus München und mögen eigentlich auch das Oktoberfest. "Aber dort ist es so stressig. Um diese Uhrzeit würde man dort keinen Platz mehr bekommen", sagt Anna. Auf dem Berg ist es zwar auch schon voll, aber noch immer kann man sich an die eine oder andere Bierbank dazu quetschen.

"Wir versuchen, den Tisch zu sneaken." Wenn auf der einen Seite jemand abspringt von der wilden Feierei, dann rutscht einer aus der eigenen Gruppe nach. Es ist der übliche Bierbank-Kampf, wobei alles ganz harmlos zugeht. Streit gibt es selten, denn eigentlich wollen alle nur das eine: feiern. Passt jemand nicht mehr mit auf die Bank, weicht man eben auf den Tisch aus.

Nach einer Stunde steht die achtköpfige Clique von Anna und Vanessa gesammelt auf der Bank. Dann wird erst einmal geschunkelt. Arm in Arm mit fremden Banknachbarn. Und man meint, man sieht auch die Bierbank-Beine ein wenig mitwippen. "Die Krüge hoch" und Prost. Gegen halb zehn sieht man von der Bierbank aus nur noch Menschen, glückliche Menschen in Dirndl und Lederhosen im Bergkirchweih-Glitzerlicht der Lampions. In der Menge kommt ein riesiger Einhorn-Luftballon vorbei.

Um 22 Uhr macht die Band Pause, hinsetzen, Bier nachfüllen, Popcorn gibt’s vom Nachbartisch. In der Menge tauchen Katja und Ludwig auf. Sie waren Riesenrad-Fahren. Ihr Platz auf unserer Bierbank ist längst weg, sie winken uns zu, ziehen weiter. Danach folgt ein Lied dem anderen, klatschen, tanzen, singen — und alles auf unserer Bierbank. Um 23 Uhr ist Schluss, zu "Lilli Marleen" schwenken alle weiße Taschentücher. Zum Abschied. Vom Berg. Und von unserer Bierbank.

Wir lieben sie, sitzen auf ihnen, tanzen auf ihnen, essen auf ihnen, trinken auf ihnen: Die fest im Boden verankerte Bierbank gehört zur Bergkirchweih wie das Riesenrad und die Lampions. Doch was erlebt eine Bierbank den ganzen Tag, vom Frühschoppen bis zur Party am Abend? Unsere Reporterin hat einen Tag auf einer Bierbank verbracht, Samstag am Erich Keller. Dabei hat sie vor allem eines: nette Menschen getroffen.

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