Heiterkeit beim ,Gänsehauthören‘

3.8.2012, 00:00 Uhr
Heiterkeit beim ,Gänsehauthören‘

© Windhorst, Draminski

Wer hätte der Aufforderung von Ludwig van Beethovens „Chorfantasie“ widerstehen können, wenn im Schlussvers jubelnd aufgefordert wird: „Nehmt denn hin, ihr schönen Seelen, froh die Gaben schöner Kunst.“

Heiterkeit beim ,Gänsehauthören‘

Die über 3000 Besucher-Seelen des ausverkauften „Klassik am See“-Open-Airs erfreuten sich jedoch nicht nur an den künstlerischen Gaben, sondern auch an dem perfekten Event einer lauen Sommernacht am spiegelglatten, romantischen Seeambiente des „Dechsis“ unter sternen- und vollmonddekoriertem Himmel. Das waren Jubelbedingungen zum zehnten Jubiläum der inzwischen weit über den Landkreis hinaus etablierten, beliebten jährlichen Veranstaltung.

Viele Sponsoren

Das alles funktioniert nur Dank der Zusammenarbeit und Großzügigkeit vieler Sponsoren und Förderer aus der Region, dank der perfekten Organisation vieler Hände und Hirne. Die Region Erlangen-Herzogenaurach-Nürnberg kann auf diese großartige Kooperation wahrlich stolz sein!

Die Musik bildet hierbei nur einen Aspekt unter vielen. Denn das soll nicht verschwiegen werden: Klassische Musik ist nicht für ein „Konzerthaus in der Natur“ konzipiert, ist hierfür nur bedingt geeignet: Manches bleibt akustisch – bei allen tontechnischen Bemühungen – unbefriedigend für den traditionellen Konzertsaalbesucher. Das Knistern der Noten beim Umblättern wird durch die vielen Mikrofone verstärkt. Schrill dominieren bisweilen die Streicher über die Lautsprecher. Das Schlagwerk grollt nicht so wirkungsvoll nach vorne wie in einem guten Konzertsaal. Die Ortung der Klanggruppen ist oft unklar. Intonationsschwächen und Unsicherheiten deckt das Mikrofon gnadenlos auf. Der Kontakt zwischen Musikern und Publikum ist distanziert. Darüber gilt es hinwegzuhören, hinwegzusehen: Es bleibt – betrachtet man diesen singulären Aspekt – die großartige Substanz der Musik, diesmal mit „Beethoven pur“. Wer könnte sich dem arkadischen Klanggemälde seiner „Pastorale“ entziehen?

Gemächliches Anfangstempo

Dirigentin Ljubka Biagioni in elegant-strenger schwarz-weißer Mantelrobe wählte für die „Ankunft auf dem Lande“ ein gemächliches Anfangstempo, treibt im zweiten Satz umso mehr an, lässt so eine munter-wasserreiche „Szene am Bach“ entstehen. Das war gut akzentuiert im fließenden Metrum. Voll fröhlich-schwungvoller Heiterkeit charakterisieren die Mitglieder der „Staatsphilharmonie Nürnberg“ das „Zusammensein der Landleute“ mit versiert-akkuraten Soli der Bläsergruppen. Die komponierte Gewitterszene nimmt Biagioni flott. Heftig, aber nicht dramatisch bedrohlich, gehen Beethovens Blitz und Donner hernieder, ein kurzes Sommergewitter eben. Folgerichtig schwingt sich der nachfolgende Hymnus im zügigen Tempo mit durchsichtiger Stimmgestaltung aller Orchesterlinien innig empor, klingt unschuldig aus.

Nach der kurzweiligen, kulinarisch und servicemäßig bestens ausgestatteten Pause war Pianist Martin Stadtfeld mit Beethovens drittem Klavierkonzert zu erleben: Der erste Einsatz nach der dynamisch an der Struktur orientierten Orchestereinleitung er-staunte durch den hammerklavierartig-dräuenden Farbcharakter des Flügels. Den Seitensatz nahm Stadtfeld lyrisch, spielte sich in fast schon Chopin’scher Manie in der virtuosen Kadenz aus. In spannungsvoller Mystik ergänzte sich das Orchester mit der Quartmotivik des Klaviers. Das ließ Intimität für den herrlichen langsamen Mittelsatz erwarten: In der Tat polarisierte Stadtfeld hier in geheimnisvoller Eleganz, um sodann attacca das Final-Rondo einzuleiten. Stadtfeld spielt das alles organisch-nobel, wenig mit der typischen Beethoven-Grimmigkeit. Viel schöner Beethoven mit zauberhaften Modulationen war das – auch in Abstimmung mit dem Orchester.

Teuflisch schwere Oktavsprünge

Bei der „Chorfantasie“ ist die Beethoven’sche Pranke nicht zu umgehen. Zu deutlich, zu anmaßend sind die Vorgaben in den Noten. Das war virtuos, fantasieheftig, nicht immer ganz sicher in den teuflisch schweren Oktavsprüngen von Stadtfeld gemeistert. Begeisternd ist Stadtfelds feinziselierende Trillertechnik, sein Gespür für lyrische Gestaltung. Da bekommt der Freiluftkonzertsaal kammermusikalische Intimität, das evoziert „Gänsehauthören“. Die 200 personenstarke Chorgemeinschaft von Philharmonischem Chor Herzogenaurach und Nürnberg, Mitgliedern der Erlanger Kantorei St. Matthäus und dem Siemens-Chor einten sich zum freudigen Jubliäumschor, wo sich „Lieb’ und Kraft“ vermählten. Das dramaturgisch atemberaubende Feuerwerk über dem See gestaltete im Sinne Beethovens „Herrliches“ visuell, versinnbildlichte den Lohn der „Göttergunst“ fulminant.
 

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