«Verschieden sein ist gut»

18.12.2007, 00:00 Uhr
«Verschieden sein ist gut»

© Edgar Pfrogner

Zwei Jahrzehnte hat Bandleiterin Anita Rahm in das Buch «Ich will ich sein» gepackt. Wie es dazu kam, in der Lebenshilfe Erlangen eine Musikgruppe zu gründen, von ersten Erfolgen und von musikpädagogischen Tricks erzählt das «Tagebuch der integrativen Rockband ,Honey Sweet & the 7 Ups‘». Die Autorin möchte damit vor allem Leser erreichen, die keinen Kontakt zu geistig behinderten Menschen haben.

Wer das Buch in die Hand nimmt, erhält ein Ticket zu einer meist unbekannten Welt: Wie kann eine Rockband das Selbstbewusstsein von Menschen mit geistigen und teilweise auch körperlichen Einschränkungen verändern? Die Autorin lässt unter anderem Gründungsmitglied Katja Binz zu Wort kommen, die im Alter von 26 Jahren gestorben ist: «Dass du dir selbst bewusst bist, dass du irgendwas machen tust. Also, dass du dich selbst ausprobieren kannst.» Bewusst hat sich die Autorin dafür entschieden, alle Interviews im Wortlaut abzudrucken. Das Unbekümmerte und Fröhliche der Musiker schwingt zum Beispiel mit, wenn sie von ihrer ersten CD-Aufnahme erzählen: «Zwischen Donauwelle, viel Cola und Spezi, Kloß mit Soß, Saure Pommes, Zigarettendunst, der guten Landluft und den glücklichen Kühen von Hüttendorf, hat der ,Schlot‘ unsere Musik auf Band aufgenommen. Bei den Aufnahmen hatten wir Tausende von Zuschauern, die meisten davon waren Kühe und Mücken.»

Auch, wenn auf keiner Seite des Buches erwähnt sind, welche körperlichen beziehungsweise geistigen Behinderungen die Musiker genau haben, schimmert das Besondere an der Gruppe doch immer zwischen den Zeilen durch: Die Kapitel «Und schon wieder werden Sie stutzig - Kultur von Behinderten?» oder «Wir sind verschieden und das ist gut so» befassen sich mit dem Anders-Sein, das als Bereicherung wahrgenommen wird. Anita Rahm schreibt sogar, dass sie von ihren geistig behinderten Bandkollegen viel gelernt hat: Das instinktive Spielen und Zuhören etwa, und dass nicht Jeder versucht, mit seinem eigenen Können zu glänzen, sondern dass sich die Band als Gemeinschaft versteht.

Aus dem Bauch heraus

«Ich will ich sein» ist kein literarisches Meisterwerk, sondern wirkt eher so, als wäre es aus dem Bauch heraus geschrieben. Ein anderer Stil würde aber gar nicht zum Inhalt passen, die lockere Sprech-Sprache macht den Charme des Buches aus. Stolpern könnten manche Leser über das konsequente Ersetzen des scharfen «ß» durch «ss», was trotz Rechtschreibreform nicht immer nötig ist.

In chronologischer Reihenfolge erzählt die Autorin zunächst sehr ausführlich von der Band in den Kinderschuhen, sie lässt den Leser die Zeit bis zum zehnjährigen Bandjubiläum in allen Höhen und Tiefen mitverfolgen. Schade, dass danach nur noch 20 Seiten für die letzten zehn Jahre übrig bleiben. Vielleicht greift die Autorin diese Zeit aber auch in ihrem nächsten Buch über «Honey Sweet & the 7 Ups» auf, das bereits in Planung ist. CHRISTIANE HAWRANEK

«Ich will ich sein - Tagebuch der integrativen Rockband Honey Sweet & the 7 Ups» kostet 17,90 Euro und ist in Erlanger Buchhandlungen erhältlich.