Vor 50 Jahren trat Erlangens „Seekuh“ ihre letzte Fahrt an

31.12.2013, 07:00 Uhr
Vor 50 Jahren trat Erlangens  „Seekuh“ ihre letzte Fahrt an

© Sammlung Klebes

Vor 125 Jahren rumpelte die Postkutsche durch den Schwabachgrund. Der Schwager blies sein Horn und brachte außer Neuigkeiten auch eine Handvoll Passagiere und ein Häufchen Fracht aus Erlangen mit. Dann wurde die Idee einer Dampfbahn durch das Schwabachtal geboren. Schnell formierten sich Widersacher und Befürworter.

Im Jahre 1873 richtete der Magistrat der Stadt Gräfenberg an die Königlich Bayerische Staatsregierung die Bitte um Anschluss an das bestehende Eisenbahnnetz. Der Anschluss hätte Gräfenberg jedoch 1,34 Millionen Mark gekostet. Zu teuer, doch die Bürgerschaft hatte eine neue Idee: Den Bau einer „Vizinalbahn“ (Sekundärbahn) nach Lauf oder durch das Schwabachtal nach Erlangen.

Hochrufe und Böllerschüsse begleiteten die Abfahrt des Zuges

Der Landtag befasste sich damit 1879, in den politischen Wirren ging die Bahn jedoch unter. Neuen Auftrieb bekam sie 1882 durch ein Gesetz zu Vizinialbahnen: Das erklärte staatliche Zuschüsse für zulässig. In einer Denkschrift vom 25. Januar 1883 nahm der Erlanger Bürgermeister Georg von Schuh zu einer Bahn von Erlangen nach Eschenau und darüber hinaus positiv Stellung und fand Zustimmung beim Ministerium.

Drei Jahre später, am 8. November 1886, fuhr der erste Probezug auf der neuen Strecke. Am 17. November fanden die zweite Probefahrt und zugleich die Eröffnung der Bahnlinie statt. Dieser Tag gehörte zu den großen historischen Ereignissen des Schwabachgrundes. Hochrufe und Böllerschüsse begleiteten die Abfahrt des Zuges. Überall standen die Schuljugend unter Führung ihrer Lehrer, Feuerwehren und Vereine zum Empfang des Zuges bereit.

In 140 Minuten nach Erlangen

Die Freigabe der Sekundärbahn Erlangen – Eschenau – Gräfenberg für den allgemeinen Verkehr erfolgte am 22. November 1886. Haltestellen waren Igensdorf, Forth, Eschenau, Brand, Steinbach bei Brand, Neunkirchen am Brand, Dormitz, Uttenreuth und Spardorf, dann den Halteplätzen Weißenohe, Rüsselbach, Kleinsendelbach, Weiher, Buckenhof und Zollhaus. Die Baukosten betrugen 1,284 Millionen Mark. Davon 91000 Mark für Grunderwerb und 115000 Mark für Fahrmaterial.

Vor 50 Jahren trat Erlangens  „Seekuh“ ihre letzte Fahrt an

© Sammlung F. Brandes

Das Personal umfasste 22 Bedienstete. Anfänglich wurden drei Lokomotiven mit den Namen „Forth“, „Marxgrün“ und „Köditz“ eingesetzt. In beiden Richtungen verkehrten je zwei Lokalbahnzüge. Die Fahrzeit betrug etwa zwei Stunden und 20 Minuten. Heute fährt man mit dem Bus und der Gräfenbergbahn zirka 70 Minuten weniger.

Wie die Bahn zu ihrem Namen „Seku“ oder auch „Seekuh“ kam, kann man im Almanach der Deutschen Eisenbahnen von 1963 nachlesen. „Danach eröffnete ein tüchtiger Wirt beim Bahnhof  Erlangen-Zollhaus, dort wo die Mehrzahl der Reisenden einst die in die Stadt hereinfahrenden Züge verließ oder aber auf die Abendzüge zur Heimreise wartete, ein Gasthaus. ‚Restauration zur Sekundärbahn‘ sollte es benannt werden. Der Maler, der damals kunstvoll die Buchstaben auf das Wirtshausschild pinselte, hatte ein ausgeprägtes Zeitgefühl.

"Restauration zur Seku"

Pünktlich mit dem Glockenschlag legte er am Feierabend den Pinsel zur Seite. Die Aufschrift war bis dahin nur bis ‚Restauration zur Seku‘ gediehen. Und weil es gerade Wochenende war, konnten sich Spaziergänger am Sonntag über dieses merkwürdige Bruchstück lustig machen, das in breitem Mittelfränkisch „Seekuh“ gelesen wird. Die gern zu Späßen aufgelegten Erlanger Studenten sorgten schnell für die Ausdeutung und Weiterverbreitung.“


Ein halbes Jahrhundert vermittelte die Nebenbahn den Verkehr zwischen der Stadt Erlangen und den Gemeinden des Schwabachgrundes. Sie fuhr doppelten Gewinn heraus: das fürs Jahr 1891 festgestellte Betriebsergebnis ergab 82654 Mark an Einnahmen gegenüber 49346 Mark an Ausgaben. Dazu gewannen die Verkehrsteilnehmer: Die Landbevölkerung konnte den Stadtbewohnern ihre Erzeugnisse schneller zum Kauf anbieten und deckte ihrerseits den eigenen Bedarf in der Stadt. Die Schüler erreichten die städtischen Schulen leichter. Auch für den Ausflugsverkehr erhielt die Lokalbahn Bedeutung.

Anekdoten über Anekdoten

Die Umwegstrecken der Bahn und die Ausstattung der Wagen allerdings waren Zielscheiben beißenden Spotts. So bildete sich im Lauf der Jahre ein Strauß von Anekdoten um die „Seekuh“. So wird erzählt, dass am Buckenhofer Berg der – wie die Bahn auch genannt wurde – Mockel, Pockel, Gräfenberger Schubkarrenrädla, Orient-Express oder Fliegender Hamburger oft stehen blieb. Die hilfsbereiten Passagiere, die dann schieben wollten, wurden vom Zugführer mit den Worten „Das ist Beleidigung von Staatseigentum!“ in die Wagen zurückgetrieben. Oder einmal wollte die Ehefrau eines Gemeinderates aus Neunkirchen mit der „Seekuh“ fahren, hatte jedoch ihre Geldbörse zu Hause vergessen, woraufhin der Zugführer so lange warten ließ, bis diese ihr Portemonnaie zu Hause holte.

Die ursprünglich vom  Magistrat Gräfenberg angestrebte Bahnlinie Nürnberg – Gräfenberg kam im Jahre 1908 doch noch zustande. Am 1. Februar wurde der Betrieb im Abschnitt Nürnberg Nord-Ost – Heroldsberg und am 1. Mai im Abschnitt Heroldsberg – Eschenau aufgenommen. Die Lokalbahnzüge von Erlangen verkehrten danach nur noch bis Eschenau, wo die Reisenden zur Weiterfahrt nach Forth und Gräfenberg umsteigen mussten.

Vor 50 Jahren trat Erlangens  „Seekuh“ ihre letzte Fahrt an

© Stadtmuseum Erlangen, Fotograf: Karl-Heinz Meder (1932)

Den Todesstoß gab der „Seekuh“ ein Gericht. Es urteilte nach einem Unfall, dass die Bahn sich den Bedingungen des Straßenverkehrs zu fügen habe. Das bedeutete, dass sie an jeder vorfahrtsberechtigten Straßenkreuzung anhalten musste. Dadurch sank ihre Geschwindigkeit von 20 auf 15 Kilometer pro Stunde herab. So war die „Seku“ der Konkurrenz des zunehmenden Kraftfahrzeugverkehrs nicht mehr gewachsen. Am 1. Mai 1961 schließlich wurde der Streckenabschnitt Neunkirchen – Eschenau stillgelegt. Knapp zwei Jahre später folgte dann die letzte Fahrt auf dem Reststück Erlangen – Neunkirchen.

Schienenbruch zum Abschied

Am 16. Februar öffnete der Erlanger Oberbürgermeister Heinrich Lades den Regler zur letzten Fahrt. Tausende winkten entlang der Strecke zum Abschied. Auf der Rückfahrt nach Erlangen gab es bei Uttenreuth einen Schienenbruch. Dadurch wurden die für den Abend noch fahrplanmäßig vorgesehenen Triebwagen schon durch Busse ersetzt. Der Güterzugverkehr bis Neunkirchen am Brand hielt sich noch bis zum 31. Dezember 1963. Eine Neuauflage könnte die „Seekuh“ nun durch die Stadtumlandbahn erhalten.

Weitere Infos zur „Seekuh“ gibt es im Buch „Die Seekuh — Sekundärbahn Erlangen-Gräfenberg“ von Günther Klebes, Eisenbahn Kurier Verlag oder Junge & Sohn.

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