Wenn Kinder aus Erlangen nicht schreiben können

19.11.2017, 06:00 Uhr
Wenn Kinder aus Erlangen nicht schreiben können

Ein erleichtertes Kinderlachen dringt gedämpft in ein helles Zimmer in der Erlanger Altstadt. Poster und Pinnwände zieren die Wände. Kinder und Jugendliche stehen hier im Mittelpunkt. Es ist die Praxis für Legasthenie- und Dyskalkulietherapie von Nina Hellwig.

Es dauert nur wenige Sekunden, bis die Augen der 60-Jährigen zum ersten Mal leuchten; sie spricht über einen jungen Mann, der studiert und sich politisch engagiert. Vor vielen Jahren schien dies aber noch unmöglich zu sein. "Er hätte ohne die Hilfe nicht das Abitur geschafft", sagt die Therapeutin.

Solche Mut machenden Lebensverläufe verleihen Hellwig den Antrieb, um in diesem harten und leidvollen Umfeld zu bestehen. Sie erinnert sich an "Fälle, bei denen von Suizidversuchen bis zu Amokläufen alles schon dabei gewesen ist". "Kinder, die depressiv sind und in der Psychiatrie behandelt werden oder sehr aggressiv sind, trifft man auch häufig an". In den meisten Fällen beruhen diese Probleme auf Misserfolgen in der Schule. Ihr Aufgabe ist es dann, "den Kindern zu helfen, aus diesem Tief herauszukommen, Selbstbewusstsein zu entwickeln." Auch Erwachsene kommen zu ihr. Eine der größten Schwierigkeiten aller Betroffenen ist die mangelnde Aufklärung in der Gesellschaft.

Die Thematik Legasthenie wird schon seit dem 19. Jahrhundert erforscht, aber bis heute halten sich Klischees und falsche Wahrnehmungen. Dummheit und Faulheit werden als Ursachen herangezogen, viele sehen es sogar als irreparable Krankheit an. Doch all dies ist falsch: Die Lese- und Rechtschreibstörung und ihr mathematisches Pendant namens Dyskalkulie sind unterschiedlich stark ausgeprägte Schwächen. Da Schüler durch diese Störungen auch in anderen Lebensbereichen unweigerlich Probleme bekommen, ist eine frühzeitige Diagnose wichtig. Denn neben der verlorenen Zeit steigt das Risiko von psychischen Erkrankungen.

Oftmals landen dann nicht nur die direkt Betroffenen in einem Teufelskreis. Vor allem den Eltern fällt es häufig schwer, die Realität zu akzeptieren. Deshalb konstruieren sich viele eine gefährliche Schutzhaltung nach dem Motto "Das wird schon noch!", was alles nur noch schlimmer macht. Dies versucht Nina Hellwig als erstes aufzuzeigen, denn "sie meinen es nicht böse, aber sie wissen einfach nicht, wie sie helfen können". Trotzdem komme es auch vor, dass Familien an den Schwächen der Kinder zerbrechen.

Ein weiteres Problem ist laut der Expertin auch die mangelnde Vorbereitung der Lehrer. Angebote sind nicht umfangreich genug. Lehrer sind dadurch schnell überfordert. So zögern auch viele, notwendige Schritte einzuleiten, da dafür die Schulleitung, Schulpsychologen und darauf aufbauend das Jugendamt informiert werden müssen.

Behebbare Probleme

Die Expertin empfiehlt einen offenen Umgang mit den Schwächen. Betroffene und ihre Angehörigen sollen die Situation in Klassen, beim Arbeitgeber und Freunden vorstellen und ein Gespräch suchen. Nur so können falsche Bilder endgültig zerstört werden.

In zahlreichen selbst verfassten Fachbüchern von Nina Hellwig stecken Geschichten über große Erfolge aber auch unvorstellbares menschliches Leid. Hellwig zieht aus beidem ihre Motivation und kämpft für eine Welt, in der Legasthenie und Dyskalkulie als das wahrgenommen werden, was sie schlussendlich sind: behebbare Probleme.

Mehr Informationen unter www.legatrain.de

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