Blick ins innere der Rugbyseele

9.8.2016, 10:42 Uhr
Blick ins innere der Rugbyseele

© dpa

Rugby-Geschichten beginnen eigentlich immer in einer Kneipe. Nicht, weil die Kollegen so viel mehr feiern als Amateurfußballer nach ihren Spielen mit dem obligatorischen Kasten Bier in der Kabine, sondern weil vornehmlich irische Pubs die Vermittlungs- und Austauschbörse für Fans und Aktive sind. Leo Grutters findet genau so 1999 in Nürnberg Anschluss an einen der in ganz Bayern wenigen lokalen Vereine: den TSV 1846 in Erlenstegen. „Ich könnte in eine weit entfernte Ecke der Welt reisen und hätte sofort neue Freunde“, beschreibt der Niederländer einen ausgeprägten Sozialgedanken, den die Vertreter der Randsportart als einmalig bezeichnen. „Das liegt daran, dass auch auf dem Platz keiner ausgegrenzt wird. Dickere, langsamere und kleinere Spieler werden genauso gebraucht wie dünne, schnelle und große. Du siehst untereinander keine Konkurrenten, sondern Freunde.“ Es sind stets spontane und riesige Familientreffen, wenn Grutters als Besucher bei großen Turnieren auf Gleichgesinnte trifft. „Wenn dein Team verliert, laden dich die Sieger ein. Obwohl ich keinen Schnaps trinke, müsste ich ihn annehmen, sonst ist es eine Beleidigung.“

Blick ins innere der Rugbyseele

Feuer für Rugby fängt Leo Grutters 1977 als Student in der Grenzstadt Heerlen bei Aachen und spielt bei einem Lokalverein. International bewegen sich die holländischen Teams damals wie heute auf drittklassigem Niveau, es reicht in den 70ern nicht einmal für eine Liga. Der heute in Würde ergraute selbstständige Bauingenieur, dessen breite Schultern noch jedes Anzugjackett strapazieren, empfiehlt sich immerhin über die B- für die A-Nationalmannschaft der Niederlande, ehe es ihn in den 80ern beruflich nach Südafrika verschlägt. Das Netz der Rugby-Gemeinschaft ist gerade hier eng gespannt. Nachdem in Pretoria schnell ein Verein gefunden ist, reicht es jedoch bald nur noch für die 6. Mannschaft. Die Karriere klingt aus, die private Liebe erblüht und führt in den Landkreis Forchheim.

Als die Tochter der Lebensgefährtin keinen Spaß mehr am Handball hat, zeigt ihr Leo Grutters 2012 beim TSV 1846 in Nürnberg die Rugby-Welt. Sie sieht zunächst bewundernd von außen zu, „wie sich ein kleiner Knirps in einem Knäuel durchwurstelt“ und seinen Versuch stolz wie eine Meisterschaft bejubelt. Nach dem eigenen Schnuppertraining hat auch Isabel Mittelstädt das Fieber gepackt. Nur zwingen sie bald schulische Ausbildung zwischen Fachoberschule und Praktika zu vielen Pausen. So landet die 20-Jährige, wie bei verletzten Spielern üblich, die trotzdem nahe am Geschehen bleiben wollen, in der Schiedsrichter-Schiene. „Manchmal bin ich mit Entscheidungen unzufrieden gewesen, weil sie uns Punkte gekostet haben. Diese Erfahrungen waren ein Grund, um es selbst besser zu machen“, erklärt Isabel Mittelstädt. Dabei gilt im Rugby ein besonderer Anstandskodex. Gegenüber Schiedsrichtern darf keine direkte Kritik geäußert werden, lediglich die Mannschaftskapitäne sind zum Austausch berechtigt. Meckern wird mit schmerzlichem Raumgewinn für den Gegner geahndet.

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Freiwillige für diese Aufgabe sind bei Vereinen und im Verband freilich trotzdem Not am Mann, also geht der Aufstieg nach der ersten Prüfung via Online-Kurs im März umso rasanter. Ende April leitet Mittelstädt ihr erstes Spiel in Bamberg überzeugend. Es folgt eine Woche später ein ganzer Turniertag in Regensburg, die Krönung ist der Einsatz als Linienrichterin in der 2. Bundesliga. Im Juni steht die Abiturientin bei der Deutschen Meisterschaft in Berlin wieder an der Linie und pfeift im Juli bei der Bayerischen 7er-Meisterschaft der Männer und Frauen. Das Verständnis für das komplizierte Regelwerk, sagt sie, könne man nur in der Praxis erlangen.

Beim olympischen 7er-Rugby gelten folgende Grundlagen: Beim Versuch, das Spiel-Ei in die Endzone des Gegners zu platzieren (heißt: Versuch), darf nur nach hinten gepasst oder übergeben werden. Im Gegensatz zum American Football darf nur der ballführende Akteur attackiert werden. Das Kicken nach vorne ist möglich. Wenn sich ein Mitspieler aber vor dem Passgeber bewegt und das Ei aufnimmt, wird Abseits gepfiffen. Dem Abseits und seinen Formen einer Abstandsregel beim Gedränge (Drei gegen Drei, Rest auf fünf Meter Distanz) und einer Gasse beim Einwurf kommt im 7er Rugby große Bedeutung zu, da jeder Ballverlust quasi mit einem Versuch des Gegners bestraft wird. Statt wie üblich 15 Spieler, stehen sich auf dem Feld von zirka 100 mal 50 Metern jeweils nur sieben gegenüber. Die Spielzeit beträgt zwei mal siebeneinhalb Minuten. „7er Rugby ist für Zuschauer interessanter. Das Spiel ist weniger taktisch geprägt und mehr im Fluss. Tacklings kosten zu viel Kraft. Rudelsituationen, bei denen schwer zu erkennen ist, wer bei einem Kontakt gefoult hat, gibt es deshalb kaum“, erklärt Leo Grutters. Wichtig ist die Technik, um mit dem Ei sicher im Arm rennen zu können und vor allem die Geschwindigkeit.

Durch die verstärkte athletische Komponente können neben den Rugby-Traditionsländern vor allem die USA Ambitionen hegen, in dem sie ehemalige Footballer oder Leichtathleten aus ihren universitären Leistungszentren umschulen. Während Deutschland als Rugbynation trotz positivem Trend immer noch großen Nachholbedarf hat und um den Anschluss an die Zweitklassigkeit kämpft, zahlen sich für die USA die Investitionen aus, wie Grutters bei einem Aufenthalt in Houston in den 90ern feststellte. Zur Weltspitze der Männer gehören Neuseeland, Australien, Südafrika, Fidschi und eben die USA. „Einen Sieger mag ich nicht vorherzusagen. Da entscheidet die Tagesform“, sagt Grutters. Im erweiterten Kreis einer internationalen Turnierserie wirken auch Kanada, Russland, Kenia oder Portugal mit. Bei den Frauen führt indes wohl kein Weg an Platzhirsch Neuseeland vorbei.

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