Höchste Geheimhaltung auch in der eigenen Familie

20.4.2011, 12:00 Uhr
Höchste Geheimhaltung auch in der eigenen Familie

© Roland Huber

„Für Vater war der Feuerstein ein abgeschlossenes Kapitel.“ Werner Vierling wird auch im 70. Jubiläum seiner mittelständischen Firma auf die Vergangenheit angesprochen. Nach der aktuellen Spiegel-Ausgabe besonders häufig. „Ich habe heute schon einige Anrufe bekommen“, sagt er am Vormittag des Erscheinens. Doch Werner Vierling, der das Unternehmen mit seinem Bruder Manfred führt, kann immer nur das Gleiche sagen: „In unserer Familie war das kein Thema. Vater hat nie darüber erzählt.“

Höchste Geheimhaltung auch in der eigenen Familie

© Privatarchiv Christian Rösch

Der Spiegel hat die wenigen bekannten Fakten durch neue Forschungen des Historikers Norbert Ryska aufgepeppt. Der Physiker Oskar Vierling gründete nach einer wissenschaftlichen Karriere an der Fachhochschule Nürnberg, am Telegrafentechnischen Reichsamt Berlin, der Technischen Hochschule Berlin und dem dortigen Heinrich-Hertz-Institut (wo er Doktorvater von Fritz Sennheiser war) 1938 das Institut für Hochfrequenztechnik und Elektroakustik an der Technischen Hochschule Hannover. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er sich durch eine rege Forschungstätigkeit ausgezeichnet. Schon während seines Studiums meldete der gebürtige Regensburger sein erstes Patent an.

Höchste Geheimhaltung auch in der eigenen Familie

© NN-Archiv

Klar ist auch, dass Vierling zunehmend geheime Aufträge der Wehrmacht erhielt. Der Forscher suchte daher einen Ort, um ein geheimes Forschungslabor aufzubauen. Weil er in Nürnberg studiert hatte, kannte er die Fränkische Schweiz gut.

Ideale Tarnung

Wie der Heimatforscher Manfred Franze weiß, suchte Vierling nach einer Burg als ideale Tarnung in der burgenreichen Landschaft. Eine damals gebräuchliche Methode der Verschleierung. „Er wollte zuerst die Neideck nutzen“, erzählt Franze, der in seinem Buch „Kriegsende und Neubeginn in der Fränkischen Schweiz“ (erschienen im Verlag Palm&Enke 2009) den Zeitzeugen und Vierling-Mitarbeiter Adolf Riechelmann zitiert: „Da aber der Zugang zu diesem Gelände durch keine Straße erschlossen war, hat Professor Oskar Vierling die Hochfläche auf dem Feuerstein gewählt.“

So entstand auf dem kargen Höhenzug mitten im Krieg 1941 die künstliche Burg Feuerstein. Mit immenser staatlicher Unterstützung: Italienische Arbeiter bauten sie. Ein Hinweis, dass die Forschungen Vierlings staatliche Weihen genossen.

Wie Franze berichtet, war schon ab 1937 der örtliche Reichsarbeitsdienst mit den Vorbereitungen des Neubaus beauftragt. Der Bau war ebenfalls Geheimsache. Manfred Franze wundert sich, dass er bei den Recherchen zu seinem Buch im Staatsarchiv Bamberg keinerlei Unterlagen zu dem Projekt fand, das alleine durch seine geographische Lage in einem weiten Umkreis bekannt gewesen sein muss. Für Franze ist klar: „Was Vierling gemacht hat, das muss etwas Bedeutungsvolles gewesen sein.“

Ab 1941 forschten bis zu 200 Mitarbeiter an Vierlings Institut, das komplett von Hannover in die abgelegene Fränkische Schweiz umgezogen war. Werner Vierling erinnert an die totale Geheimhaltung: „Ich habe mich einmal mit einem engen Mitarbeiter meines Vaters unterhalten. Er sagte, er wusste nicht, was die Kollegen nebenan machen.“ Zwar habe es sich um Aufträge für die Rüstungsindustrie gehandelt, aber zugleich betont Werner Vierling: „Wir haben nichts gemacht, was heute verboten wäre.“

Das Verhältnis seines Vaters zu den Nationalsozialisten sei das eines „passiven Parteimitglieds“ gewesen. Neu war dem Sohn allerdings, was der Spiegel schreibt: Oskar Vierling habe sich geradezu von Parteiveranstaltungen fern gehalten und sei dadurch der NSDAP unangenehm aufgefallen.

US-Archive geöffnet

Das Nachrichtenmagazin hatte für seinen Bericht neue Quellen vorliegen: US-Archivmaterial, das seit 1995 und 2005 zugänglich ist. Denn nach dem Krieg interessierte sich der US-Geheimdienst für die Arbeit Vierlings in der trutzigen Pseudo-Burg. Kein Wunder bei dem Arbeitsprogramm Vierlings: akustische Lenkungen für Torpedos, Verfahren zur Sprachverschlüsselung, Anti-Radar-Beschichtungen und einiges mehr an kriegstechnischem Fortschritt.

Werner Vierling erwartet bei der nächsten Öffnung der US-Archive, die im Jahr 2015 ansteht, weitere Details aus der Geschichte seines Vaters und der seiner Firma. Ein für ihn und die 120-Mitarbeiter-Firma heute völlig unproblematisches Kapitel.

Frei erfundener Titel

Er ärgert sich nur über eines: Dass der Spiegel seinem Vater aufgrund seiner Akustik-Erfindungen den frei erfundenen Titel „Reichstoningenieur“ verpasst. „Blödsinn“, kommentiert der Sohn. Vielmehr habe sein Vater immer „großen Wert“ darauf gelegt, „dass er keine einzige Mark von den Nazis bekommen hat“. Vierling sei auch in der Diktatur eine rein privat finanzierte und geführte Firma gewesen.

Die Erinnerung an die Anfänge fällt dennoch schwer: In der Festschrift zum 45-jährigen Bestehen werde auf die Zeit vor 1945 nicht eingegangen, sagt Franze, der den 1986 verstorbenen Oskar Vierling persönlich kannte: „Eine sehr angenehme Persönlichkeit.“

Die Geschichte seiner Heimat lässt Franze nicht los. Derzeit arbeitet er an einem Bildband über die Geschichte Ebermannstadts. Die wunderlichen Anfänge der Burg Feuerstein, heute allgemein bekannt als Jugendbildungsstätte des Erzbistums Bamberg, werden eine Rolle spielen.