20 Jahre Fürth: „In dieser Stadt ist doch Musik drin“

12.8.2013, 09:00 Uhr
20 Jahre Fürth: „In dieser Stadt ist doch Musik drin“

© Horst Linke

Großbaustelle Parkhotel, Fürths OP unter freiem Himmel. Unermüdlich frisst sich der Abrissbagger in die Eingeweide des einst mondänen Gebäudes. Älteren Fürthern steigen hier schon mal Tränen in die Augen. Der Bagger greift an, zerrt in luftiger Höhe an der Wand zum nächsten Hotelzimmer. 125 Jahre! Wer mag da oben übernachtet haben? Welche Szenen mögen sich hier abgespielt haben? Mit feinem Lächeln signalisiert Joachim Krauße, dass ihn solche Fragen eher amüsieren. Kalt lässt ihn das zerstörerische Szenario aber nicht. „Bei mir löst das widersprüchliche Gefühle aus“, sagt der 62-Jährige, blickt hinüber und spricht von der „sichtbaren Vergänglichkeit“, aber auch von seiner Neugierde auf das Neue. Krauße erwartet keinen Einkaufstempel wie in tausend anderen Städten. „Das hier wird eine eigene Note haben.“

20 Jahre Fürth: „In dieser Stadt ist doch Musik drin“

© Tim Händel

Krauße wird in Rheinberg geboren, nahe der holländischen Grenze. Flaches Land, schöne alte Gehöfte aus rotem Klinker, aber auch Hochspannungsmasten, Schlote, Autobahnen. Er studiert Architektur in Aachen, Schwerpunkt Stadtplanung, wird Baudezernent in Wetter an der Ruhr (30000 Einwohner). Er wollte immer in eine Kommune, nicht in ein Landesamt oder Ministerium, „weil man da sieht, was aus den Planungen wird“ — und bewirbt sich nach Fürth.

20 Jahre Fürth: „In dieser Stadt ist doch Musik drin“

© Winckler

Quelle, Eisenbahn, SpVgg assoziiert er mit Fürth. Als er ankommt, steigt er auf die Alte Veste — „um mal zu gucken“. Was er sieht, gefällt ihm: die Stadt mit ihren spitzgiebeligen Dächern, eingebettet in Flussauen, und, na ja, das Bahnhofcenter und das Sparkassenhochhaus, zwei Bausünden und Zeugen einer Zeit, in der eine Fürther Skyline im Gespräch war.

20 Jahre später steht er selten in der Breitscheidstraße, um dem Abriss zuzusehen. Was im Herzen Fürths zurzeit vor sich geht, ist spektakulär, findet er, „aber auch wenn hier eine Identifikationsmarke verschwindet, ist es doch nur eine bauliche Maßnahme, wie sie immer wieder mal vorkommt“. Zwischen den oft hitzigen Zuschauerkommentaren klingt er wie ein Chirurg bei der Arbeit: sachlich, professionell distanziert, aber auch etwas unfränkisch.

Manches ist dem Mann aus Nordrhein-Westfalen, der sein Haus hinter dem Burgfarrnbacher Schloss gebaut hat, bis heute fremd in Fürth. Er erklärt es am Beispiel der U-Bahn nach Nürnberg. Als er in den 90er Jahren hierherkam, mit Frau und Kindern, hatte er noch lebhaft vor Augen, wie die Menschen in Witten gierten nach einer Stadtbahn ins größere Bochum. Die Fürther hatten „diese tolle Infrastruktur, den Anschluss an die Metropole“, gequält aber waren sie vor allem von einem Gefühl: „der völlig unbegründeten Angst, ins Hintertreffen zu geraten“.

Abfälliger Spruch

Krauße schüttelt den Kopf. „Diese mir bis heute unverständliche Angst begleitet mich hier. Sie schwingt in vielen Diskussionen als Hintergrundmotor mit.“ Nie vergisst er den abfälligen Spruch zweier Damen, als es um die Sanierung der Innenstadt ging: „Auch wenn Sie die Fußgängerzone vergolden — Fürth wird immer eine Arbeiterstadt bleiben.“ Dabei hält Krauße seine Wahlheimat für alles andere als eine graue Maus. „In dieser Stadt ist doch Musik drin.“

Spaziergang durch die Fußgängerzone zum Technischen Rathaus. Krauße geht und redet. Er kommt auf ein wohl noch lange unbewältigtes Fürther Trauma zu sprechen: das City-Center. „Die entscheidende Schlacht für die Einkaufsstadt wird dort geschlagen“, sagt er. Schon wegen der Proportionen: 12000 Quadratmeter für den Einzelhandel soll der Einkaufsschwerpunkt in der Breitscheidstraße bieten, das weitgehend verwaiste City-Center ist mehr als doppelt so groß. Wie es damit weitergeht? Krauße zuckt mit den Schultern, das ist nicht seine Baustelle.

Zu „seinen“ Großprojekten zählen der Weiterbau der U-Bahn, dem das Fischhäusla und das Café Fürst zum Opfer fielen, der Umbau des alten Bauamts zum Wohngebäude, die Sanierung der westlichen Innenstadt mit neuer Uferpromenade und frischem Grün in den Häuserzeilen, die Aufmöbelung der Fußgängerzone, die Verwandlung des alten Schlachthofs ins Kulturforum, der Saturn-Neubau, der noch andauernde Bau der Dreifachturnhalle am Schießanger und vor allem die Konversion der bis Mitte der 90er Jahre militärisch genutzten US-Liegenschaften. 270 Hektar exterritoriales Gebiet mitten in Fürth wurden nach dem Abzug der Amerikaner plötzlich frei. Genug Platz für eine Stadt in der Stadt.

Kraußes Büro im dritten Stock des Technischen Rathauses ist ein großzügiger Ort, aufgeräumt. Trotz brütender Hitze erzählt der Referent mit leuchtenden Augen von der Pionierzeit in Sachen Konversion — „unsere Knie waren damals verdammt weich“ —, von Investoren, die die Stadtspitze zum Verkauf drängten, und davon, dass die weitgehend standhaft blieb. Selbst Rathauschef Wilhelm Wenning (CSU) — „Ich bin ja ein SPD-Urgestein“ — habe sich nur einen Ausreißer erlaubt, den Verkauf des Johnson-Areals, habe aber widerstanden, als ein Bau-Multi ihm einreden wollte, die Hälfte der zehn Hektar großen Grünanlage im Südstadtpark könne man doch bebauen. So kam es nicht, und heute ist Krauße stolz auf seine Mannschaft und auf das, was nach dem Weggang der Amerikaner in Fürth entstanden ist: vielbewunderte Wohngebiete wie der Südstadtpark und die Kalb-Siedlung.

„Eine Stadt darf sich das Heft nicht aus der Hand nehmen lassen“, konstatiert er. Wer aber hat mehr Einfluss auf Fürths Entwicklung? Der Oberbürgermeister? Er selbst? Oder rührige Bauträger wie P&P? Krauße schmunzelt und antwortet: „Es ist ein Zusammenspiel.“ P&P sei oft ein „Segensbringer“ gewesen, der sich um Altbau-Sanierungen gekümmert habe, vor denen andere zurückschreckten: Kasernen-Kopfbau, Steuben-Karree, Carrera... Aber: „Manchmal haben wir auch ein bisschen zu viel zugelassen.“ Beim uvex-Komplex in der Fichtenstraße etwa sei der Innenhof kaum mehr als eine große, gepflasterte Fläche — etwas wenig in der Stadt der Höfe, meint Krauße.

Standfest und konsequent

Oberbürgermeister Thomas Jung zollt dem Jubilar Respekt: Krauße zähle für ihn „schon jetzt zu den bedeutendsten Stadtbauräten der Fürther Geschichte“, lässt er wissen und lobt dessen „Standfestigkeit, Konsequenz und hervorragende Detailkenntnis“. Kritiker hingegen fordern, die Kommune, speziell der Baureferent müsse bei stadtbildprägenden Entscheidungen mehr Rückgrat zeigen. Krauße sieht das kaum anders. Auch er meint: „Man muss ,Halt‘ sagen und das durchhalten.“ Wichtig sei dabei nur, „dass alle Entscheidungsträger vom OB über den Stadtrat bis zur Verwaltung an einem Strang ziehen“. Für ihn „unbegreiflich“: dass die Stadt den Architektenwettbewerb zum Einkaufsschwerpunkt „ohne Not aufgeben wollte“ und dann — „völlig absurd“ — Investor MIB nach einer Kampfabstimmung im Stadtrat von sich aus auf den Wettbewerb drängte.

Dass der Chef einer Bauverwaltung immer wieder aufs Neue ins Kreuzfeuer der Kritik gerät, ist in Fürth genauso wie anderswo. „Mein Beruf ist auf Konflikte ausgelegt“, sagt Krauße, schließlich gehe es im Baurecht stets darum, öffentliche und private Belange gegeneinander abzuwägen. „Das geht nur durch Entscheidung, und eine solche wird immer jemanden negativ berühren. Wenn Sie sich das klarmachen, können Sie viel Kritik aushalten.“ Trotzdem, beteuert Krauße, werde unter seiner Regie „nie etwas leichtfertig abgerissen“.

Hat er seine Berufswahl je infrage gestellt? „Nein, soweit kam es nie“ — auch weil der Stadtrat ihn per Wahl immer wieder im Amt bestätigt hat. „Ich muss vor diesem Gremium keine Angst haben. Wäre es anders, ginge mir das an die Substanz.“ Drei Jahre hat Krauße bis zum Ruhestand. „Auch wenn es schmerzt“, schaut er sich immer wieder bewusst die Seiten der Stadt an, die er für weniger gelungen hält: die Gehwege ums Rathaus etwa, wo ihm Natursteine heute doch lieber wären als die Betonsteine, für die man sich aus finanziellen Gründen entschied.

Mehr Selbstbewusstsein

Dass mit dem Parkhotel auch der denkmalgeschützte Festsaal verloren geht, sieht Krauße als „Kröte, die man schlucken muss“. Er meint: „Fürth braucht jetzt einen Startschuss, der das Negativ-Image aufbricht.“ Einen, der den Graue-Maus-Stimmen den Boden entzieht. Krauße wünscht seiner Wahlheimat Fürth mehr Selbstbewusstsein und er hofft, dass er mit dem einen oder anderen Hingucker dazu beitragen konnte und kann.

Das Gespräch ist zuende. Aus dem Fenster im Treppenhaus fällt der Blick auf renovierte Dächer, begrünte Terrassen und den schmucken Giebel des alten Kutscherhauses im Hof. Krauße schaut hinaus und sagt: „Fürth ist auch von hinten schön.“

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