Attacke auf Fürther Schüler kursiert tausendfach im Netz

25.5.2013, 10:00 Uhr
Attacke auf Fürther Schüler kursiert tausendfach im Netz

© Scherer

Der Vorfall liegt bereits eine Woche zurück. Er ereignete sich am Donnerstagnachmittag vor den Pfingstferien in der Gebhardtstraße, im Hintergrund ist die Baustelle für das Multiplex-Kino gut zu erkennen: Ein Schüler geht auf einen zweiten los, einige weitere Kinder, offenbar Freunde des Angreifers, stehen daneben, scheinen das Geschehen amüsant zu finden, manche filmen es mit dem Handy.

Der Zwölfjährige wirkt aggressiv, geht immer wieder auf den anderen Jungen zu, demonstriert Kampftechniken. Einige Male trifft er ihn, mal mit dem Fuß in die Hüfte, dann mit der Faust ins Gesicht. Es sind dem Anschein nach relativ leichte Schläge, die vor allem Angst machen sollen: Das Opfer, ein 13-Jähriger, taumelt nicht, er stürzt nicht, er bleibt äußerlich unverletzt – und erstaunlich ruhig. „Geh doch, bitte“, fordert er sein Gegenüber mit fester Stimme auf. Und als ihn die Umstehenden anstacheln, zurückzuschlagen, antwortet er: „Ich schlag den nicht.“ Irgendwann bekommt er seine Jacke zurück, die ihm weggenommen wurde. Bevor er geht, warnt ihn sein Gegner noch: Die Nase werde er ihm „kaputtmachen“, „wenn du mich noch einmal beleidigst“.

Viereinhalb Minuten ist das Video lang, das am darauffolgenden Tag, in den frühen Morgenstunden, auf einer öffentlichen Facebook-Seite hochgeladen wurde und seitdem bei Zehntausenden von Menschen für Entsetzen sorgt. Mehr als 24000 Mal wurde das Video „geteilt“, das heißt, der Link wurde von Facebook-Nutzern an Bekannte weitergeleitet. Mehr als 36000 Kommentare finden sich inzwischen auf der Internetseite.

Hier beginnt allerdings die zweite unschöne Geschichte: Viele der Meinungsäußerungen sind nicht weniger besorgniserregend als der Vorfall selbst. Denn sofort richtete sich die Aufmerksamkeit der Internetnutzer auf den Migrationshintergrund des jungen Angreifers. Er wird mit rassistischen Beleidigungen überschüttet, ein Teil der Nutzer fordert die Abschiebung, andere beschreiben drastisch, wie sie ihn verprügelt hätten, wären sie an Ort und Stelle gewesen. Beschimpft wird der Junge auch von Nutzern, die scheinbar selbst ausländische Wurzeln haben und um ihren Ruf fürchten.

„Mittel zum Zweck“

Zur Verbreitung des Videos trugen nicht zuletzt Personen und Gruppen aus dem rechten Spektrum bei, die es auf einschlägigen Seiten verlinkten. So findet es sich etwa auf einem islamfeindlichen Blog, der vom bayerischen Verfassungsschutz beobachtet wird. Der zwölfjährige Angreifer wird dadurch zum zweiten Opfer: „Man nimmt ihn als Mittel zum Zweck“, sagt Polizeisprecher Peter Schnellinger. Was die Blogger nicht wissen: Offenbar hat auch der attackierte Junge einen Migrationshintergrund.

Die Fürther Polizei hat rasch Kenntnis von dem Video erhalten. Die Jugendarbeitsgruppe – das sind Beamte, die sich speziell um das Thema Jugendkriminalität kümmern – bekam laut Schnellinger bereits am Freitagmorgen einen Hinweis, wenige Stunden, nachdem das Video gepostet worden war. Weil eine Straftat – Körperverletzung – im Raum stand, nahmen die Beamten die Ermittlungen auf. Sie kontaktierten die Schulen und suchten den Angreifer noch am selben Tag im Unterricht auf. Mit zwölf Jahren ist er – wie alle übrigen Beteiligten – strafunmündig. Er bekam eine „Ansprache“, wie Polizeisprecher Christian Wölfel sagt, zudem wird der Fall dem Jugendamt und der Staatsanwaltschaft gemeldet. Auch Gespräche mit den Eltern des Angreifers sowie mit denen des Opfers stehen an. Der 13-Jährige, der während der Auseinandersetzung ruhig blieb, habe „genau richtig“ reagiert, sagt Wölfel. Die Polizei vermutet, dass eine Streiterei vorausgegangen war.

Bislang ohne Erfolg blieben die Bemühungen der Polizei, das Video auf Facebook löschen zu lassen. Die Beamten wählten den Weg, der allen Nutzern offensteht, wenn sie bedenkliche Inhalte sehen: Mehrfach haben sie die „Melden“-Funktion von Facebook betätigt – doch seit einer Woche warten sie auf eine Reaktion. Das Internet-Unternehmen, das von den USA aus operiert und sich bei Presseanfragen bekanntlich sehr verschlossen zeigt, ist offensichtlich auch für die Polizei schwer zu erreichen. Man habe keinen direkten Ansprechpartner, so Schnellinger, nur eine E-Mail-Adresse.

Dass das Video „politisch motiviert“ entstanden ist, glaubt er nicht. Vielmehr habe der Junge, der die Szenen gefilmt und verbreitet hat, die Reichweite seines Handelns vermutlich unterschätzt. „Man muss ihm klar machen, was er damit auslösen kann, welche Stimmung man mit so etwas auch erzeugen kann.“ Wie ein Virus habe sich das Video verbreitet.

Auch in der Redaktion der SAT1-Sendung „Akte 2013“, die nach eigenen Angaben „kuriose und empörende“ Fälle behandelt, erfuhr man davon. Fernsehreporter waren an diesem Donnerstag in Fürth. Sie spürten mehrere der Kinder aus dem Video auf und machten Interviews. Der Beitrag über Jugendgewalt soll am Dienstag laufen.

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