Bewegende Einblicke in das Fürther Kirchenasyl

10.4.2018, 11:00 Uhr
Bewegende Einblicke in das Fürther Kirchenasyl

© Foto: Schülbe

Das, was viele Menschen als "Flüchtlingskrise" bezeichnen, hatte noch gar nicht richtig begonnen, da bekam diese für Lisa Henninger ein Gesicht. Die 29-Jährige war aus Kiel angereist, um ihre Eltern in Fürth zu besuchen. "Wir hatten uns lange nicht gesehen", berichtet sie, deshalb sei sie schon etwas überrascht gewesen sei, "als da jemand mit uns am Esstisch saß, den ich noch nie zuvor gesehen hatte". Aber die Gespräche mit dem Gast und den anderen Geflüchteten, die sie bei ihren nächsten Besuchen traf, verschafften ihr Einblicke, die ihr die Nachrichten in der Regel nicht gewähren. Bewegende Einblicke in Einzelschicksale.

Dass Lisas Eltern in dieser Hinsicht besonders engagiert sind, kommt nicht von ungefähr: Christa Henninger und Jörg Sichelstiel, Dekan der evangelischen Kirche in Fürth, sind nicht einfach nur gastfreundlich, sie haben auch einen Kirchenasylplatz geschaffen.

Damit helfen sie seit etwa vier Jahren nicht nur Menschen in Not, sie haben auch ihre Tochter zu einem umfangreichen Medienprojekt inspiriert. Das Ergebnis ist mittlerweile auf der Internetseite des Fürther Dekanats zu sehen: eine Präsentation des hiesigen Kirchenasyls mit 360-Grad-Fotos, Video- und Audiointerviews und Texten.

Lisa Henninger, die in Kiel an der Fachhochschule für Medienproduktion studiert, hatte mit Kommilitonen über ihr Vorhaben gesprochen — und Natalie Beck, Laura Braband und Christian Kirchner waren begeistert von der Idee. Sie konnten aber nur ahnen, wie sehr sie das Vorhaben beeindrucken würde.

"Es war echt hart", beschreibt Natalie ihre Gefühle, als ihr Gleichaltrige vom Leben in ihrer Heimat und von ihrer Flucht erzählten. "Die Menschen haben ja ihr komplettes Schicksal in ein Interview gepackt." Noch schockierter sei sie bisweilen über die Kluft zwischen dem gewesen, was die Politik sagt und was sich in der Realität abspielt. Die 21-Jährige hofft, dass sich viele Menschen die Präsentation ansehen und sich eine eigene Meinung darüber bilden.

Rebin Mohamad Arif, der aus dem Irak geflüchtet ist, gab eines dieser Interviews. Darin erzählt er, dass sein Bruder fünf Monate zuvor vom IS getötet wurde und seit vier Wochen auch seine Eltern nicht mehr leben. Er hatte gehört, dass Deutsche Angst vor Flüchtlingen haben und war überrascht, dass er im Pfarrhaus von St. Michael aufgenommen wurde wie ein Sohn: "Ich habe gespürt: Das ist meine Familie hier." Mittlerweile lebt er in einem Fürther Asylbewerberheim und wartet auf seine nächste Anhörung — sein Flüchtlingsstatus ist noch nicht anerkannt.

Bewegend und umfangreich

"Man wächst in so einer behüteten Umgebung auf", sagt Laura, "dann hört man, was diese Menschen erlebt haben und kann sich das gar nicht vorstellen." Die 24-Jährige hofft, dass die Präsentation Betrachter davon überzeugt, dass die Masse der Geflüchteten wirklich in Not ist und nicht des Geldes wegen flüchtete.

Für Christian (23) war es nicht nur das bewegendste Projekt, sondern auch "das umfangreichste, das ich bisher in meinem Studium gemacht habe". Für fünf Tage im Oktober reiste die Gruppe nach Fürth, um die Inhalte zu erstellen. Nach mehreren hundert Arbeitsstunden waren sie im Februar fertig. Sie nutzten für ihre Präsentation eine Software, mit der eigentlich Computerspiele programmiert werden, um alle Freiheiten bei der Aufarbeitung zu haben.

Eine gute Stunde sollten Interessierte einplanen, um alles sehen zu können. Doch auch damit sei das Thema längst nicht ausgelotet, stellt Lisa klar. Sie und ihre Kommilitonen hätten gern noch viel mehr Geflüchtete befragt und deren Schicksale öffentlich gemacht.

Die Multimediapräsentation ruft man auf, indem man auf der Internetseite fuerth-evangelisch.de etwas nach unten scrollt und im Feld ‚360° Kirchenasyl‘ dem Link folgt.

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