Der Bagger nagt auch an Lebensgeschichten

30.6.2013, 13:00 Uhr
Der Bagger nagt auch an Lebensgeschichten

© Thomas Scherer

Während Tanzpädagogin Eva Epple (32) in dem wachsenden Schutthaufen hinter dem Bauzaun ein „Sinnbild für unsere Wegwerfgesellschaft“ sieht, die lieber abreißt statt umbaut, haben ihre Kinder Juri (3) und Cem (4) nur Augen für diesen geradezu lebendigen Riesen-Bagger. Behutsam wie King Kong die weiße Frau umschließt er mit seinen Klauen Fassadensteine in luftiger Höhe, zieht, ruckt, zieht. Für einen Moment hat er zwei Quader in seinen Fängen, dann stürzen sie krachend ab.

Mit Wehmut schaut Erwin Hess (70) zu. Bis zur Schließung des Traditionsmodehauses vor zehn Jahren hat er hier seine Sommerhemden gekauft. „Wissen Sie, der Fiedler hatte die schönsten Hemden und Pullover.“ Dass es zur Insolvenz kam, sagt Hess kopfschüttelnd, „versteh’ ich heut’ noch nicht.“ Eugen Schmidt (80) auch nicht: „Die Verkäuferinnen waren doch tüchtig, die haben noch gewusst, was sie verkaufen“, sagt er und seufzt. „Traurig, traurig.“ Dann wendet er sich ab, will wohl nicht länger zusehen, wie sich mit den herabstürzenden Trümmern auch ein Stück seiner eigenen Lebensgeschichte verliert.

Wo Hess und Schmidt Kunden waren, haben Renate Schütt (60) und Angelika Blitsch (61) gearbeitet. Beide sind heute selbstständig. In der Blumenstraße betreiben sie seit 2005 „Renates Kurz- und Modewarenladen“ und „Angelikas Schneiderei“. Den größten Teil ihres Berufslebens aber — Schütt 37 Jahre, Blitsch 34 — waren sie bei Fiedler beschäftigt. Blitsch fing 1969 als 17-Jährige in der Schneiderei-Abteilung an, die sie später leitete. Renate Schütt war 15, als sie bei Fiedler 1967 eine Lehre zur Einzelhandelskauffrau begann. Auch sie stieg auf, wurde Leiterin der EDV-Abteilung. Und nun: ein Trümmerfeld.

Fast furchtsam haben sich die zwei Frauen der Großbaustelle genähert. Jetzt stehen sie davor, bedrückt und nach dem ersten Schreck überspült von Wogen der Erinnerung. Blitsch fasst die Kollegin am Arm, zeigt auf eine Fensterreihe in der Hallstraße: „Schau, meine Schneiderei steht noch!“ „Ja, aber das Büro vom Chef, das ist schon weg.“ Ein Restchen Treppe hängt in der Luft, darüber ein Geländer vor getünchter Wand — der Aufgang zu den Schulungsräumen unterm Dach. Dort hat man ihnen Warenkunde beigebracht: Wo kommt die Baumwolle her? Welche Kragenformen gibt es? Wie faltet man Blusen? Mit den Händen demonstriert Renate Schütt, wie sie zigmal die hauchdünne Faser eines Seidenkokons abgewickelt hat, um ein Gefühl für den edlen Stoff zu bekommen. „Der Kokon liegt da droben sicher noch rum“, meint sie dann, und plötzlich kichern die beiden Frauen wie Schulmädchen.

 



Blitsch und Schütt haben sich wohlgefühlt im Hause Fiedler. So sind es vor allem schöne Bilder, die ihnen — selbst im Angesicht des Abbruchs — in den Sinn kommen. Sie müssen an den Aufzugführer denken, den es hier einst gab, „ein netter älterer Herr im Anzug“, und an die Empfangsdame, die früher am Fuß der geschwungenen Treppe stand, jeden Kunden persönlich begrüßte und in die gewünschte Abteilung brachte. Schütt fällt ein, dass sie mittags manchmal gegenüber bei Wölfel Eier im Glas aß, und Blitsch erzählt, sie und ihre Kolleginnen in der Schneiderei, wo nicht nur geändert, sondern auch Neues gefertigt wurde, hatten hin und wieder so einen „G’lust“ auf Süßes, „dass wir uns eine ganze Torte geholt haben“.

Doch auch wenn sie nun wieder lachen müssen: Dass ihr einstiges „zweites Zuhause“ endgültig ausradiert wird, geht den Fiedler-Frauen „durch und durch“. Die Stelle, in die sich seit Tagen der Bagger verbeißt, wird für sie stets „der Fiedler“ bleiben. Trotzdem wollen sie das neue Einkaufszentrum. Denn dem Einzelhandel, auch ihrem Geschäft, fehlt ein Magnet. Ginge es nach Renate Schütt, dann müsste im Einkaufsschwerpunkt „eine Mischung aus Fiedler und Quelle“ einziehen. „Dann gäbe es wieder alles in Fürth, von Textilien bis Haushaltswaren.“

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