Der Erschaffer der Welt in unserem Kopf

25.11.2009, 00:00 Uhr
Der Erschaffer der Welt in unserem Kopf

© Stefan Hippel

Was ist das für eine Kunst, deren Werke die Bilder im Kopf des Betrachters wecken? Die herauskitzelt, was im Gedächtnis des Hinschauers verborgen war? Oliver Boberg inszeniert Realität, als wäre es unser Hier und Jetzt. Raffiniert ist das und unwiderstehlich.

Bloß ein paar hundert Meter entfernt von Bobergs Atelier lärmt noch der Verkehr über Nürnbergs Plärrer. In der engen Seitenstraße herrscht schon eine müde Art von teilnahmsloser Feierabendruhe. Der flache Zweckbau in einem der Hinterhöfe ist von jener Betontristesse, die ohne persönliche Note auskommt. Genau so und nicht anders muss eigentlich der Arbeitsplatz des 44-Jährigen, der in Fürth lebt, aussehen.

Versatzstücke der Natur

Zwei große Räume liegen hinter der Alutür mit dem Sicherheitsglas. Im vorderen Bereich haben sich zwei Fotografen ein Studio eingerichtet. Bobergs Reich ist weitläufig und fensterlos: «Im Sommer gehe ich alle halbe Stunde mal raus in die Sonne«, gesteht der schmale Mann, dessen Gesicht eine dunkle Brille akzentuiert. Auf Dauer sei das Kunstlicht frustrierend. Der Charme der 14 Neonröhren hält sich vielleicht in Grenzen. Dafür leuchten sie präzise aus, was Regale und Werktische belebt.

Versatzstücke der Natur. Gräser. Äste. Hölzer. Vertrocknete Bubiköpfe. Wer Arbeiten von Oliver Boberg gesehen hat, darf sich am Wiedererkennen freuen. Hatte der kaum 60 Zentimeter hohe Ast da hinten nicht bereits mehrere Auftritte als mächtiger Baum?

Das Atelier des Künstlers ist Kulissenwerkstatt. Hier baut er die Modelle, die – nach dem Fotografieren – so realistisch wirken, dass die weitaus meisten Betrachter zu wissen meinen, wo genau sich dieses graue Parkhausdeck, der Hauseingang, die Treppe befindet. Ein Effekt, den Oliver Boberg liebt. «Es begeistert mich, wenn Leute mir erzählen, was sie an diesen Orten erlebt haben.« Die unpersönliche Gesichtslosigkeit seiner Kulissen, die reduzierte Klischeehaftigkeit seiner Modelle kitzelt aus denen, die sie betrachten, Persönliches heraus. «Schnittmengen-Kommunikation« nennt Fürths neuer Kulturpreisträger diese Reaktion. Wie ein Regisseur gibt er Plätze und Stätten vor. Die Zuschauer treten ein und füllen die Räume mit ihren Erinnerungen.

Auf seinem Arbeitstisch stehen griffbereit Schnellzement, Farben, Stichsäge. Aufgebaut ist zurzeit unter anderem ein kleines Wand-Modell. Ein Stück Mauer, kaum einen halben Meter hoch. Akribisch ist die Textur der Fläche ausgearbeitet. Der Übergang zum Boden hat minimale Details, die der fertigen Arbeit jene scheinbare Authentizität verleiht. Wenn Boberg über seine Ideen und Gedanken spricht, wird eine uneitle, ansteckende Begeisterung spürbar. «Die Arbeit an diesen kleinen Wänden«, sagt er, «fasziniert mich wahnsinnig, ich bin richtig glücklich damit, das ist wie eine kleine Meditation.« So klingen diese typischen Boberg-Sätze.

Er sei auch froh, dass er auf «die Slums gekommen« ist. In einer neuen Serie hat er Elendsquartiere inszeniert. Kritischer, moralischer wirken diese Bilder auf den ersten Blick. «Da taucht ganz schnell die Frage auf: Darf der das?«, sagt Boberg. Ritualisierte Betroffenheit ist umgehend im Spiel. «Ich habe Respekt vor diesen Orten, vor allen Orten«, macht er klar. Die Reaktion ist bei den Betrachtern wieder eindeutig: Die Slum-Bilder werden weitergedacht, ergänzt, mit Erzählungen auf den Punkt gebracht.

Bis in jede Ecke ist das Nürnberger Atelier genutzt. Vom mannshohen Sack mit Plastikabfällen («Die sammle ich, weil ich mal einen Film mit Raumschiffmotiven machen will«) bis zu den dicht bestapelten Arbeitsplatten. Sein Schreibtisch steht mitten im Zimmer - so hat er im Blick, was sich im Fotostudio tut. «Ich mag sehen, wer reinkommt«, sagt er lachend.

Zurück zu den Wurzeln

Der Künstler, der aus Herten bei Recklinghausen stammt, wuchs in Schweinfurt auf. Die Eltern zogen mit ihren beiden Söhnen dorthin, weil «Klein-Oliver was an den Bronchien hatte und aus der Ruhrgebietsluft raus sollte«. Heute wohnt Boberg in der Fürther Innenstadt. «Ich bin sesshaft geworden«, gesteht er. Er habe das Gefühl, angekommen zu sein. Auch in seiner Kunst kehre er zu seinen Wurzeln zurück.

Wenn heute – zum Beispiel – auf der Homepage des Museum Of Contemporary Photography in Chicago ganz selbstverständlich der Name Fürth auftaucht, ist das Oliver Boberg zu verdanken, der dort ebenso wie etwa im Massachusetts Museum Of Contemporary oder im Kölner Museum Ludwig Arbeiten ausgestellt hat. Bereits 1999 kaufte das Guggenheim Museum in New York drei seiner Werke.

Für seine Wahlheimat Fürth hegt der weltweit renommierte Künstler liebevolle Gefühle. «Die Stadt ist ganz toll zum Leben. Ich ziehe viele Inspirationen daraus.« Vieles sei schon «toll renoviert« in Fürth, das sich gerade mit großen Schritten verändere: «Wenn die besondere Mischung in der Bevölkerung erhalten bleibt, dann wird das richtig klasse.« Seinem intensiven Blick entgeht kaum etwas. Im Moment schaut er unter anderem auf das einstige Kaufhaus am Kohlenmarkt, das «jahrelang sträflich behandelt wurde«. Jetzt hofft er, dass «man bewusst mit den Fassadensünden umgeht«.

Trotz seines globalen Erfolgs, gesteht Oliver Boberg unumwunden, könne er «momentan nicht von der Kunst leben«. Aber nicht nur deshalb unterrichtet er am Ehrenbürg Gymnasium in Forchheim. Seinen «Lehrer-Job« nehme er sehr ernst, er beschäftige ihn intensiv. Die ganz besondere Art der Lebensqualität möchte er vermitteln, die die Beschäftigung mit Kunst dem gibt, der es sich nicht leicht macht. «Es wäre schön, wenn die Schüler später sagen, es war ja manchmal schräg im Kunstunterricht, aber es hat uns viel gebracht.«

Die Fürther Ehrung - nach dem Kulturförderpreis 2000 - freut ihn sehr. Nicht zuletzt, weil er ab jetzt «ein Teil der Kulturgeschichte von Fürth« ist. Warum er sich hier so «pudelwohl« fühle, habe er wieder gespürt, als ihm auch seine Bäckerin nach der Veröffentlichung in den FN herzlich gratulierte.

Viele Pläne, Ideen habe er für die kommenden Jahre, sagt Oliver Boberg. Fürth verlassen gehört nicht dazu. «Null Lust« habe er, etwa nach Berlin zu ziehen, auch wenn seine Kunst dort möglicherweise direkter wahrgenommen würde. «Aber«, so der Künstler lachend, «ich bin kein Networker, ich habe noch nicht mal ein System für die Visitenkarten, die ich bekomme.«

Ganz sicher ist für ihn nur eines: «Der Kulturpreis spornt mich an.« Und mag es «derzeit auch schleppend laufen mit der Kunst«, versichert Boberg, er wüsste nicht, was er ohne sie machen würde: «Denn das geht einfach gar nicht.«SABINE REMPE