Der Schmerz, die Stille, die Rastlosigkeit

16.4.2017, 12:00 Uhr
Der Schmerz, die Stille, die Rastlosigkeit

© Foto: Martin Bartmann

Das Podest, eine "soziale Skulptur" zum Lutherjahr, irritiert, stört den freien Blick durch den Mittelgang der Auferstehungskirche und schafft neue Perspektiven: auf eine Bühne auf Höhe der Empore, wo sonst nur leere Luft ist. Dieses luftige Podest, das unter ihren Schritten ein wenig knarrt und schwankt, wird an diesem Abend bespielt und besprochen von der Frankfurter Oboistin Vera-Isabel Volz und von Christian Fritsche. Musik für Oboe sowie Lyrik des Malers und Bildhauers Thomas Gleb stehen auf dem Programm, das mit seiner ernsten Grundstimmung gut in die Karwoche passt. Die Zuhörer haben sich auf der Empore eingefunden, lauschen den Solostücken, die sich abwechseln mit Texten Glebs in französischer Sprache (und Fritsches Übersetzung ins Deutsche).

Eingerahmt wird der Abend von "Les Folies d’Espagne" des französischen Barockkomponisten Marin Marais mit ihrem harmonisch fließenden, melancholisch schwebenden Klanggewebe. Nicht immer jedoch bleibt die Musik so ruhig und ausgewogen: Mit Werken von Ernst Krenek und Auszügen aus Benjamin Brittens "Metamorphosen nach Ovid" kommen Schmerz und Rastlosigkeit, zuweilen auch Hysterie ins Spiel.

Das passt zu dem Leben und zu den Texten Thomas Glebs. Der 1912 in Lodz Geborene — 2014 präsentierte Fritsche seine Kunstwerke in der Galerie in der Promenade und hier in Auferstehung — sah sich selbst nicht als Lyriker, schuf aber von sprachlicher Klarheit dominierte lyrische Kurztexte, die zuweilen den Charakter von Aphorismen haben. Licht, Farbe, Klang, das sind immer wiederkehrende Grundelemente dieser Mini-Werke, die Fritsche in dem 2014 von ihm herausgegeben "Buch der Geburten" versammelt hat. Auch ein Echo der Sprachkrise findet sich in seinen Gedanken: "Die Stille, überrascht von ihrem Widerhall, bleibt stumm", heißt es etwa. Der Schöpfungsakt Gottes wird nacherzählt, ein Akt der Kreativität, die aus dem Vergessen und der Reinheit Verlangen und Leben schafft.

Immer wieder zeigt sich ein Dualismus, dessen Pole aber miteinander verbunden sind: Stille und Klang, Freude und Schmerz. Letzterer bleibt unbenannt, unerklärlich, ein Mysterium. Und so wird denn auch Glebs Erleben in seinen Worten extrem reduziert auf den Punkt gebracht. Die Schoah, die Vernichtung der Juden, der auch seine ganze Familie zum Opfer fiel, wird zu einer Aneinanderreihung von Adjektiven, an deren Ende das Wort "vergast" steht; mehr braucht es nicht.

Leichte Kost ist das freilich nicht, auch wenn die Texte immer wieder einen spröden Witz enthalten, in dem sich Lebens- und Überlebenswille Glebs, der 1991 im französischen Angers starb, widerspiegeln. Zusammen mit der elegischen Oboe sorgt das an diesem Fürther Abend für eine ernste, dichte Atmosphäre, die aber durchaus ein klein wenig mehr Entspanntheit vertragen hätte.

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