Diagnose: kreativ

30.3.2011, 15:36 Uhr
Diagnose: kreativ

© Hans-Joachim Winckler

www.clinc-blog.de

Eine Diddlmaus aus Fingerfarben fleht „Knuddel mich“. Nebenan lässt das Fenster Frühlingswind herein, Papier-Mobiles schaukeln verloren. „Verbrühungsgefahr ab 75 Grad“, steht warnend auf vergilbten Hinweiszetteln über Baby-Badewannen. Daneben: Tips zur Hände-Desinfektion.

Hier ging jemand und kam nicht wieder. Alle gingen, das war 2003. Beklemmend leer stehen die Krankenzimmer hier oben im sechsten Stock der alten Kinderklinik. Im Kopf beginnt ein Film der Erinnerungen, und man weiß nicht recht, ob es gute sind oder beunruhigende. Doch nicht David Lynch übernimmt die Regie in jenem Betonklotz, dessen Innenleben bei der Eröffnung 1969 als Nonplusultra der Kinderpflege galt, sondern die Kunst.

Neu definiertes Ambiente

Auf drei von sieben Etagen wird Clinc sich breitmachen — Clinc, ein etwas zu verkopfter, wortverspielter Titel für eine wenig komplizierte Idee. „Wir stellen uns die Frage, wie Orte durch Kreative neu gestaltet und neu definiert werden können“, sagt Fürths Kulturamtsleiterin Claudia Floritz. Auch das lässt sich leichter sagen, nämlich so: Es steht interessante Bausubstanz leer, die Kunst zieht ein.

Ganz neu ist das nicht und fand in Fürth bereits erfolgreich Widerhall in Ausstellungen im Hauptbahnhof („Gleis Null“) und im Fiedler-Bau. Clinc aber übertrifft seine Vorgänger in Sachen Abgefahrenheit und konzeptioneller Dichte. „Wir zielen nicht auf eine reine Kunstausstellung“, sagt Ulrike Irrgang, „sondern bieten hier allen Kreativen die Möglichkeit, sich zu präsentieren und untereinander auszutauschen.“ Denn das ist das Thema von Clinc und dem „made in...“-Festival: Sichtbar machen, was Kreative eigentlich den lieben langen Tag so treiben, bewusst machen, wie sich Orte verändern, wenn frische Ideen sie durchlüften.

Irrgang, selbst bildende Künstlerin, übernahm im Auftrag des Kulturamtes die Clinc-Projektleitung gemeinsam mit Lutz Krutein — die beiden leiten die Fürther Schule der Fantasie in der Wasserstraße — und Eventmanagerin Eva Göttlein. Nachdem sich Pläne zerschlugen, Park-Hotel und Central-Garage kreativ zu bespielen, öffnete das Klinikum in Gestalt des kunstverrückten Qualitätsmanagementbeauftragten Kamran Salimi verblüffend flott und freigiebig seine Türen. „Die Zusammenarbeit“, schwärmt das Organisatoren-Trio, „ist absolut fantastisch.“ Fehlt noch eine OP-Lampe für den (vom Team des Babylon betriebenen) Barbereich? Steht noch irgendwo ein alter Sessel? Kein Problem für Salimi.

Und was bezweckt dies alles? Wer kreativ unterwegs ist, als Maler etwa, als Fotograf, Journalist oder Architekt, bekommt bei Clinc Gelegenheit, für einen bestimmten Zeitraum sein Schaffen öffentlich zugänglich zu machen; die gähnend leeren Behandlungs- und Krankenzimmer sind mietbar zum Selbstkostenpreis. Von „Messecharakter“ spricht Krutein.

„Leeres Zimmer“ heißt im Clinc-Jargon übrigens „Kreativ–Kunst-Kontor“, je nun. In fünf Kontoren im Erdgeschoss — dort, wo irrwitzige Orange- und Grau-Töne für handfestes Sixties-Feeling sorgen — gehen die Eingeclincten am Clinc-Eröffnungswochende an den Start. Malerin Birgit Maria Götz gehört zu ihnen, sie wird für die Dauer des „made in...“-Festivalzeitraums (bis 17. April) ein Atelier beziehen. Ein paar Türen weiter baut Martin Ellrodt seinen Erzähl-Kiosk auf. Der alte Gymnastikraum wird zum Clinc-Vortragssaal. Am kommenden Dienstag etwa spricht hier um 18 Uhr Eike Krause zum Thema „Architektur hat nichts mit Geschmack zu tun“. Stimmt. Und auf der Terrasse, die neuerdings „Kreativplattform“ heißt, wird sich unter anderem Graffiti-Künstler Andreas Zeug regelmäßig austoben. Noch sind die Mauern einladend unbefleckt.

Ein Blick in den Keller, ein Meer aus blassgrauen Kacheln. Die ehemalige Milchküche des Kinderklinikums hat alles, was ein Club braucht, sogar eine gläserne „Kommandozentrale“ für die DJs. Samstagabend ab 22 Uhr soll es hier erstmals rundgehen.

Diddlmaus wartet in Etage sechs — und mit ihr 15 Künstler, die die alten Behandlungszimmer mit ihren Arbeiten bespielen. „Der Besuch“ ist der Titel der Ausstellung, die ebenfalls am Samstag Vernissage hat. Fotografin Susa Schneider ist dabei, Betonskulpturen-Fachmann Franz Janetzko, Malerin Karin Waßmer mit ihren garstigen Alptraum-Gemälden. Ein weiteres Clinc-Schmankerl betreut Künstlerin Anja Schoeller. Ebenfalls in der sechsten Etage ist die „Sammlung Kinderklinik — mit freundlicher Leihgabe“ zu sehen. 50 Fürther Mitmenschen sind dem Aufruf gefolgt, ihre Lieblings-Kunststücke für den „made in...“-Festival-Zeitraum zur Verfügung zu stellen.

„made in...“ wird Mitte April enden, Clinc nicht. Da das Klinikum vorerst keine konkreten Pläne für den alten Bau und sein Abriss daher noch Zeit hat, steht einer Zwischennutzung durch die Kreativen für die Dauer von „mindestens zwei bis drei Jahren“ (Krutein) nichts im Weg. Aus den fünf Kontoren im Erdgeschoss werden bis Jahresende — dann sind hier auch die letzten, aktuell noch schmerztherapeutisch genutzten Räumlichkeiten geräumt — 15. Die Warteliste der Kreativen ist schon jetzt erfreulich lang. Clinc (Jacob-Henle–Straße 1) ist vom 3. bis 17. April täglich offen — montags bis samstags von 15 bis 20, an Sonntagen zwischen 13 und 20 Uhr. Der Eintritt ist frei. An den Samstagen pendelt von 22 bis 1 Uhr ein Achtsitzer-Shuttle vom Roten Kreuz zwischen Klinikum, Hauptbahnhof und Babylon (Nürnberger Straße 3).

Clinc eröffnet Oberbürgermeister Thomas Jung am Samstag um 19 Uhr, es folgen Performances von Countertenor Johannes Reichert und Dobs Brugal. „Der Besuch“-Vernissage ist um 20 Uhr, um 21 Uhr bittet Anne Devries zur Feuershow auf der Kreativplattform. Ab 22 Uhr startet, musikalisch befeuert von Plattenkellner Armando Murolo, der „Tanz der Bunten Hunde“.

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