Die Frauen schweigen oft jahrelang

13.6.2013, 09:00 Uhr
Die Frauen schweigen oft jahrelang

© Hans-Joachim Winckler

Manchmal reicht es schon, wenn das Bier nicht kalt gestellt wurde. Oder der Rock zu kurz ist. Der Auslöser für Aggression kann so banal sein. Annegret Steiger weiß das mittlerweile, sie ist Beauftragte für Frauen und Kinder beim Polizeipräsidium Mittelfranken.

Sie weiß auch, dass die Frauen die Gewalt meist lange ertragen. „Wir schätzen, dass es mindestens drei bis vier Jahre dauert, bis sie sich bei uns melden“, sagt Steiger. Die Gründe sind vielfältig: Manche geben sich die Schuld. Viele fühlen sich finanziell abhängig; wissen zu wenig über die Hilfen, die sie in Anspruch nehmen könnten. Dazu kommen die emotionale Bindung an den Partner und die Angst, das soziale Umfeld zu verlieren. „Eine Frau lag mit gebrochenem Jochbein im Krankenhaus“, erzählt Steiger, es war nicht der erste Klinikaufenthalt. „Dann kommt der Ehemann zu Besuch, frisch rasiert, mit Blumen, und verspricht, so etwas nie wieder zu machen.“ Oft verzeihen die Frauen in solchen Situationen, „die kippen uns dann weg“, ziehen die Aussage zurück: „Sie sind dann doch die Treppe runtergefallen.“

„Es gibt ein kleines Zeitfenster nach der Tat“, sagt Wolfgang Baer von der Fürther Polizei, „in dem sich die Frau beraten lässt. Wenn wir sie da erreichen, gibt es die Chance, dass sie da herauskommt.“ Baer leitet die sogenannte Ermittlungsgruppe der Fürther Polizei. Zu seinem Team gehören vier Beamte, die sich fast ausschließlich mit Fällen von häuslicher Gewalt befassen. Rund 280 Anzeigen nehmen sie pro Jahr auf. „Das zieht sich durch alle Schichten und alle Altersgruppen“, sagt Georg Hirn. Er und seine Kollegen wissen, dass sie keine Zeit verlieren dürfen. Möglichst rasch müssen die Frauen nicht nur vernommen, sondern auch über Hilfsangebote und Anlaufstellen informiert werden. Mitunter begleiten die Beamten die Frauen über Monate hinweg.

Oft passieren die Auseinandersetzungen abends, häufig ist Alkohol im Spiel. Die Streife, die nach dem Notruf zum Geschehen eilt, muss sich einen genauen Überblick verschaffen: Sind Kinder anwesend? Wie geht es ihnen? Wie verhält sich der Mann, die Frau? Wie sieht die Wohnung aus?

Die Kinder leiden am meisten

Die Eindrücke können entscheidend sein, wenn der Fall später vor Gericht landet. In 30 Prozent der Fälle haben Kinder die brutalen Szenen miterlebt. „Die leiden am meisten“, sagt Baer, auch wenn sie nicht selbst geschlagen wurden. Seit 2002 ermöglicht das Gewaltschutzgesetz es den Beamten, den Schläger aus der Wohnung zu verweisen. Früher musste oft das Opfer fliehen. Auch ein Kontaktverbot können die Polizisten erlassen. Mehrere Tage oder Wochen darf sich der Mann dann seiner Familie nicht mehr nähern. Die Maßnahme könne sehr wertvoll sein, sagt Baer: „So kann sich die Frau in Ruhe weitere Schritte überlegen.“

So schnell wie möglich wollen die Beamten auch mit dem Täter sprechen, ihm die Konsequenzen klarmachen. Manche zeigen sich reumütig, weinen sogar, sagt Reinhold Hacker. Das Kontaktverbot mache auf einige Eindruck, ergänzt Hirn, zumal wenn sie die Nacht vielleicht in einer Zelle verbringen mussten.

Häufiger als früher erfährt die Polizei von häuslicher Gewalt. Auch in Migrantenfamilien sei die Bereitschaft gewachsen, die Straftaten anzuzeigen. Doch die Dunkelziffer ist weiter hoch.

Unter den schweigenden Opfern ist offenbar — das jedenfalls legt eine jüngst veröffentlichte Studie des Robert-Koch-Instituts nahe — eine überraschend große Zahl von Männern, die aus Scham stillhalten. Bei der Befragung berichteten mehr Frauen als Männer, dass sie gegen ihren Partner körperliche Gewalt ausüben. Die Polizei erfährt selten davon, sagt Annegret Steiger. In Erinnerung geblieben ist ihr ein Fall aus Südbayern, „da war der Mann grün und blau geschlagen und hatte Knochenbrüche“. Die Ehefrau sei nicht sehr kräftig gewesen – sie hatte Schlagwerkzeuge benutzt.

Beauftragte der Polizei für Frauen und Kinder, Tel. 2112-1331, Frauenhaus Fürth, Tel. 729008.

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