Durchgeschüttelt vom Bahnhofs-Wahnsinn

23.1.2012, 19:30 Uhr
Durchgeschüttelt vom Bahnhofs-Wahnsinn

© Uwe Anspach/dpa

Ein Berliner Blatt rief ihn vor wenigen Tagen zum „führenden deutschen Frauenschwarm der Kategorie nobler Graukopf“ aus. Walter Sittler, in TV-Deutschland bekanntgeworden unter anderem mit Serien wie „Girlfriends“ und „Nikola“, hätte es wahrscheinlich auch im Ranking um das „wärmste Stimm-Timbre in allen Lebenslagen“ mühelos auf die vorderen Plätze gepackt. Bei ihm klingt selbst ein Satz wie „Das ist doch alles Irrsinn, deprimierend und beschämend“ noch elegant und sehr gesittet.

Bevor der 59-Jährige seinem Ärger über das Stuttgarter Bahnhofs-Spektakel Luft macht, geht es erst einmal um Erich Kästner. Vor sechs Jahren startete Sittler mit „Als ich ein kleiner Junge war“ seinen Solo-Abend über die Jugend des Autors. Im Stadttheater wird er am 29. Januar mit „Vom Kleinmaleins des Seins“, der Fortsetzung von Kästners Lebensgeschichte, auf der Bühne stehen. Insgesamt hat er die beiden erfolgreichen Produktionen bereits 300-mal gespielt. Die Lust an Leben und Werk des Schöpfers von „Pünktchen und Anton“ oder „Fabian“ ist ihm unvermindert geblieben.

„In Kästners Werk tut sich eine Welt auf“, sagt Sittler. Erstaunlicherweise gelinge das in einer einfachen, für jeden verständlichen Sprache. Vor allem aber sei der Autor niemals tendenziös gewesen: „Er hat einen klaren Blick, beschreibt, was wirklich da ist, tut seine Figuren aber niemals in Schachteln.“

Walter Sittler kam in Chicago zur Welt, deshalb besitzt er auch einen US-Pass. Von seinem Wahlrecht habe er Gebrauch gemacht, als sich George Bush um das Präsidentenamt bewarb („Es hat nichts geholfen, aber ich habe es wenigstens versucht.“) Zweimal war der Grimme-Preisträger hierzulande Mitglied der Bundesversammlung, die den Bundespräsidenten wählt. Auch das ist keine befriedigende Erinnerung für ihn: „Ich bin kein Mensch, der Schadenfreude hegt, aber dieses Amt sollten die Besten bekleiden, die wir haben.“ Das sei bei den vergangenen beiden Wahlen nicht der Fall gewesen. Mit einer dritten Berufung in die Bundesversammlung rechnet der Darsteller nicht. Schließlich waren die beiden ersten auf Vorschlag der SPD Baden-Württemberg erfolgt: „Die werden mich nicht mehr wollen“, resümiert Sittler.

Womit das Thema „Stuttgart 21“ angeschnitten ist. Die SPD habe sich in Sachen Bahnhof als „beratungsresistent erwiesen“, bedauert er. „Aber es erschüttert einen doch, wenn man so einen Wahnsinn erlebt.“ Daten, Fakten, Gutachten — Sittler ist hervorragend informiert. Nach und nach sei er zu seinem Engagement gegen das Bauvorhaben gekommen. Bald sei ihm klar gewesen: „Ich muss mich engagieren, ich kann nicht anders.“

„Ich gebe nicht auf“

Einen Ausweg aus der Stuttgarter Bahn-Posse sieht er im Moment nicht. „Aber ich gebe nicht auf. Ohne Hoffnung geht es nicht.“ Projekt und Protest haben sein Leben und sein Bewusstsein verändert. Aber selbst daraus kann er einen optimistischen Schluss ziehen: „Für den Beruf ist das gut, weil es einen durchschüttelt, wenn man so einen Wahnsinn erlebt.“

Dass Fürth ein weiteres Mal auf seinem Tour-Kalender steht, freut ihn. Der Grund liegt eigentlich nahe: „Da ist noch einiges an Bausubstanz vorhanden.“ Außerdem mag Sittler „das schöne, gut geführte Theater, die freundlichen Leute und den fränkischen Wein“. Und zum Abschied klingt sein sanfter Tenor noch eine Spur sympathischer, wenn er sagt: „Ich bin gerne in Fürth.“

„Vom Kleinmaleins des Seins“: 29. Januar, Stadttheater, 18 Uhr. Karten (11–37 Euro) beim FN-Ticket-Point (Rudolf-Breitscheid-Straße 19).

 

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