Ein spannender Abend mit Kirchenmusik

16.11.2009, 00:00 Uhr

Das Motto der Kirchenmusiktage, «Der König tanzt», wird hier sehr greifbar, sehr plastisch in künstlerisches Tun und ästhetischen Anspruch umgesetzt. Vier zeitgenössische, in der Region verwurzelte Komponisten liefern das musikalische Material: Stücke, die den ausgiebigen Gebrauch von Schlagwerk gemeinsam haben.

Nicht die schlechteste Idee, wenn man den Bogen von den Anfängen des christlichen Glaubens vor 2000 Jahren bis ins Heute spannen will. Die Rückbesinnung auf archaische Musikformen und -strukturen verstärkt das Gefühl der Unmittelbarkeit. So müssen sich die Kompositionen dieses Abends auch nicht anbiedern, müssen sich nicht des wohlfeilen Pop-Idioms der Minimal Music bedienen, um mitzureißen.

Uwe Strübings Meditation «Und ihnen ward Macht gegeben» über die Reiter der Apokalypse (Opus 103 von 2009) verschmilzt Musik und Tanz beinahe untrennbar. Während sich Axel Dinkelmeyer vor dem Altar und Radek Szarek auf der Orgelempore ein frenetisches Perkussions-Fernduell mit martialischen Rhythmen liefern, winden sich schwarze Schatten die Wände entlang, sich krümmend in Seelenagonie.

Manuela Liszewski und Dirk Lambrecht geben dem Jüngsten Gericht ein menschliches Antlitz. Der abstrakte Weltuntergang, dessen düstere Farben Sirka Schwartz-Uppendieck am Flügel und Thomas Schumann an der Orgel zum Leuchten bringen, gewinnt eine zutiefst humane Dimension.

Emotionaler Aufruhr

Menschliches Leid thematisiert auch Bernhard Matthias Hoffman mit der Suite «Ausgelöscht sei der Tag, an dem ich geboren bin . . .» über den Tanz der Tochter des Gileaditers Jephta: Im Namen des Glaubens opfert ein Vater sein einziges Kind.

Hoffmann entwirft vom Schlagzeug getragene Seelenwelten, die durch die ungewöhnlichen Valeurs des präparierten Klaviers und abgrundtief grollender Orgel-Prinzipalpfeifen Textur bekommen. Der verstörende Ruf einer von Ralf Bauer geblasenen Schofar sorgt auch bei den Zuhörern für emotionalen Aufruhr.

Verbindlicher, schlicht freundlicher gerät Ralf Bauers «Tanz der Erde um die Sonne», der mit reduzierten Ausdrucksmitteln spielt, ohne sich den Minimalisten tatsächlich anzubiedern. Eher flirtet Bauer ironisch und intelligent mit den Ideen des Jazz – und sorgt mit dieser Intellektualität für ein Lächeln.

Ein vielschichtiges Beziehungsdrama inszeniert Volker Felgenhauer mit seinen Biblischen Szenen über «Das Erste Gebot» (Opus 37): Der Mensch soll nur noch einen Gott anbeten – doch schnell wendet er sich anderen, vermeintlich attraktiven Götzen zu. Den wiederum von wuchtigen Schlagzeug-Schlägen vorangetriebenen «Tanz ums Goldene Kalb» deutet das Tänzerpaar in eine Parabel über erotische Anziehungskraft und Abstoßung um. Anrührend und nah am wirklichen Leben. HANS VON DRAMINSKI