Eine köstliche Erfrischung im Hinterhof für „a Zehnerla“

20.8.2005, 00:00 Uhr
Eine köstliche Erfrischung im Hinterhof für „a Zehnerla“

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Es war in den Wirren des Ersten Weltkrieges. Nicht nur viel Leid kam damals nach Fürth, sondern auch eine kulinarische Neuentdeckung: Erfrischendes Speiseeis nach italienischem Rezept, das zahllose Gäste auf dem Weg ins Flussbad aus dem Waffelhörnchen schleckten.

Im Hinterhof der Wasserstraße 19—21 verkaufte Georgio Pietro Fortunato Mulini ab 1915 sein Gefrorenes. Für ein „Zehnerla“ drückte der Italiener eine recht ansehnliche Menge des kühlen Genusses auf ein Waffelhörnchen. Mit einer Spatel schabte er das Eis großzügig aus dem Behälter; Kugelportionierer, wie es sie heute gibt, waren ihm fremd. Und wenn einer seiner Kunden knapp bei Kasse war, drückte er auch mal ein Auge zu und gab eine Portion aus.

Interesse an Geschichte

Harald Schiener, ein Urenkel Mulinis, fand die überlieferten Geschichten über seinen Urgroßvater so interessant, dass er mehr wissen wollte. Schiener lebt ebenso wie seine Oma, Marianna Richter, geborene Mulini, noch in Fürth. Um mehr über seine Wurzeln zu erfahren, versuchte er, noch lebende Mulinis in Bagni di Lucca aufzuspüren. Von diesem kleinen aber einst mondänen toskanischen Ort aus war Georgio Mulini 1908 nach Europa gereist. Über Frankreich, Dänemark, Berlin und Frankfurt kam er nach Fürth. Dort hielten ihn zwei Dinge: Zum einen machten ihm die wegen des Ersten Weltkrieges geschlossenen Grenzen die Rückkehr nach Italien unmöglich, zum anderen fand er in Babette Heinrich die große Liebe seines Lebens.

Schieners Suche nach verbliebenen Verwandten in Italien war nach mehreren Versuchen schließlich von Erfolg gekrönt. Nachdem er den Bischof von Bagni di Lucca kontaktiert und um Hilfe gebeten hatte, antwortete ihm eine Familie Mulini, die noch immer dort lebt. „Es handelt sich um Nachfahren des Onkels von Georgio Mulini“, sagt Schiener. Mit ihnen steht er nun in Kontakt, wobei er für die auf Italienisch verfassten Briefe einen Übersetzer braucht.

Schoko, Vanille, Zitrone

Diese Sprache ist auch Marianna Richter immer unverständlich geblieben; ihr Vater hat sie ihr nicht beigebracht. Dafür war sie schon als Kind mit der Eiszubereitung vertraut. Schokolade, Vanille und Zitrone waren die Standardsorten. Hergestellt wurden sie in einer sich drehenden Schüssel, die mit Roheis gekühlt wurde.

„Wenn ich oder meine Freundinnen ein Eis wollten, haben wir immer eines bekommen“, sagt die 85-Jährige. Dafür musste sie aber auch mit anpacken. In einem Leiterwagen schaffte sie frühmorgens das Gefrorene in die Erlanger Straße. Dort verkaufte ein Händler Mulinis Eis.

Georgio Mulini war über die Stadtgrenzen hinaus bekannt. „Sogar aus Nürnberg sind die Kunden gekommen“, erinnert sich Richter. Die meisten zogen auf dem Weg zum Flussbad bei ihrem Vater vorbei, um sich eine kühlende Erfrischung zu genehmigen.

Um auch im Winter unbeschwert über die Runden zu kommen, schaffte sich der findige Italiener ein zweites Standbein. In einer weiteren Hütte im Hinterhof fertigte er Heiligenfiguren und Kruzifixe aus Gips. Mit einem großen Rucksack machte sich Mulini dann zu Fuß bis in die Fränkische Schweiz auf, wo er die Sachen verkaufte.

Als Georgio Mulini 1951 mit 72 Jahren starb, führte seine Frau Babette das Geschäft noch bis 1955 weiter. Danach war Schluss mit der Hinterhof-Eisdiele in der Wasserstraße. Ganz abschließen möchte Harald Schiener das Kapitel allerdings noch nicht. Momentan tüftelt der selbstständige Industriekaufmann an einer Idee für einen mobilen Eiswagen. „Mulinis Eis“ könnte das Konzept heißen und Groß und Klein auf dem Weg ins Freibad mit erfrischendem Gefrorenem erfreuen.