Fall Mollath: "Man kann nicht hineinschauen"

30.11.2013, 07:55 Uhr
Fall Mollath:

© Hans-Joachim Winckler

Wie wären die Reaktionen ausgefallen, wenn Gustl Mollath ein Pädophiler mit paranoiden Zügen gewesen wäre? Ein Kinderschänder, der sich der Begutachtung verweigerte? Mit diesem Gedankenspiel kontert Andreas Rose (58) gerne kritische Fragen nach der Rolle der Gutachter und der Zuverlässigkeit ihres Urteils. Die Öffentlichkeit hätte nämlich in keinster Weise empört reagiert, wenn ein pädophiler Patient nicht aus der Forensik des Bayreuther Bezirkskrankenhauses entlassen worden wäre.

Schwierigkeit der Beurteilung

Der psychologische Psychotherapeut Rose will damit aber keineswegs Fehlverhalten, Versäumnisse und Irrtümer im Fall des Nürnbergers Mollath beschönigen. Rose geht es vielmehr darum, die Schwierigkeiten zu verdeutlichen, vor denen Sachverständige für Forensische Psychologie stehen — besonders, wenn der Straftäter und Patient zu keinem Gespräch, zu keinem Test bereit ist. Mehr noch: "Eine solche Verweigerungshaltung kann bereits Symptom einer Diagnose, etwa auf paranoid-querulatorische Wahnvorstellungen, sein", sagt Rose im Gespräch mit unserer Redaktion.

Das Entscheidende ist laut Rose, der vor seinem Studium selbst als Pfleger in der Psychiatrie gearbeitet hat: "Ich muss Ja sagen können auf die Frage: Ist er nicht mehr gefährlich? Verweigert sich ein Patient, ist es den Fachleuten fast unmöglich, Ja zu sagen. Was es sehr, sehr schwierig macht, ist die Unberechenbarkeit. Salopp formuliert: Man kann nicht in einen Menschen hineinschauen, wie der Volksmund sagt."

Mollath-Verteidiger Gerhard Strate spricht von "hanebüchenen" Attesten; er fordert ärztliche Fehlerkultur und prangert die "Ignoranz der Richter" an. "Knackerlgesund" sei Mollath nun mal nicht, wenngleich wohl nicht mehr gefährlich, kontert Professor Hans-Ludwig Kröber, Psychiater an der Berliner Charité, der dem Nürnberger 2008 allein nach Aktenlage die Freilassung verweigert hatte. Krank seien viele, so Kröber, entscheidend sei, ob sie handeln, etwa gegen eingebildete Verfolger.

Wie notwendig sind Reformen?

Zu viele Menschen sitzen zu lange im Maßregelvollzug, in den erkrankte Straftäter kommen, wenn ihnen die Verantwortlichkeit für ihre Taten fehlt, da sind sich beide Kontrahenten einig bei einer Veranstaltung der Brandenburgischen Kriminalpolitischen Vereinigung.

Während aber Strate auf größere Reformen verzichten will, rügt Kröber Kliniken, deren Ärzte nur Textbausteine in Gutachten setzen statt eigener Analysen, und Richter, die dies klaglos durchgehen lassen. Gefälligkeitsgutachten, die dem Richter ins Konzept passen, Sachverständige, die weitere Aufträge wollen und nach dem Mund reden — dies ist nach Ansicht fast aller Experten Alltag.

Psychologen contra Psychiater

Andreas Rose, der auch ein Institut, eine staatlich anerkannte Ausbildungsstätte für Therapeuten leitet, macht Verbesserungsvorschläge. Juristen vertrauen in der Regel mehr den Psychiatern, also den Fachärzten mit Medizinstudium, als den Psychologen, obwohl sie genauso Diagnosen stellen. Hilfreich wirken noch ein Doktortitel oder langjährige Reputation — bei Rose ist beides der Fall. Experten spotten, ein forensischer Psychiater dürfe quasi alles können; der Psychotherapeut hingegen hat sich spezialisiert.

In Nordrhein-Westfalen hat die Justiz mit dem Maßregelvollzugsgesetz eine gute Lösung gefunden. Patienten dort werden alle drei Jahre (nicht erst nach fünf) neu begutachtet, im Wechsel von Psychologen und Psychiatern. So wird der Sachverstand zweier kompetenter Berufsgruppen genutzt, meint Rose. Hinzu kommt die Fortbildungspflicht, pro Jahr rund 50 Fortbildungseinheiten. Der Fürther hat an der Ausarbeitung einer Fortbildungsrichtlinie zur gutachterlichen Tätigkeit im Bereich der Forensik mitgewirkt, die das bayerische Gesundheitsministerium in Kraft gesetzt hat.

Letztes Mittel: Ein Patient, der sich durch ein Gutachten vergewaltigt fühlt, kann sich bei den zuständigen Kammern beschweren. Immerhin verdienen Sachverständige nicht schlecht. Sie bekommen 100 Euro pro Stunde Aufwand. Insider erzählen, mitunter kämen bei einem Gutachten sogar 6000 bis 8000 Euro zusammen.

Unter dem Titel „Der Fall Mollath — Versuch einer Aufarbeitung mit forensisch-psychiatrischem Fokus“ diskutieren am 13. Dezember an der Münchner Universität unter anderem die kritische Gutachterin Hanna Ziegert und Mollath-Unterstützer Wilhelm Schlötterer.

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