Freiheit, schöner Götterfunken

5.5.2013, 12:00 Uhr
Freiheit, schöner Götterfunken

© Martin Bartmann

Ist die Katze aus dem Haus, tanzen die Mäuse auf den Tischen. Oder? Manche Denkmuster sind derart fest eingefahren, dass seelisch-mentale Ketten fester halten als solche aus Eisen. Ödön von Horváth beleuchtet in seinem letzten Stück „Ein Sklavenball“ solche Abhängigkeiten und Ausbruchsversuche.

Zeit und Ort sind klar: Antike, irgendwo bei Pompeji, vom Vesuv ist kurz die Rede. Braut sich da eine Katastrophe zusammen? Nein, auf den Vulkanausbruch als Deus ex Machina, der Oben und Unten durcheinanderwirbelt, verzichtet Horváth, das wäre als Problemlösung zu simpel. Indes, Zeit und Ort erlauben, dass sämtliche Protagonisten Masken tragen, sogenannte Larven.

Doch anders als die antiken Larven, die mit sprechender Mimik einen bestimmten Charakter vorspiegeln, tragen alle weiße, ausdruckslose Masken, wobei die Herren Vollmasken, die Sklaven nur Halbmasken tragen, die Stirn und Wangenknochen verdecken, die Mundpartie jedoch frei lassen. Dieser Kunstgriff erlaubt den Sklaven mehr Freiheit zur Mimik und verleiht ihnen mehr Menschlichkeit als ihrer Herrschaft.

Die Herren spielen in dem Stück sowieso nur eine kleine Rolle. Bereits nach zehn Minuten verabschieden sich Geldsack K. R. Thago samt Tochter Idiotima und deren Liebhaber in die Sommerfrische nach Kreta. Die Sklaven und Lustgespielen bleiben in der Obhut des Oberkammersklaven Toxilus (Alex Werner) zurück. Der ist im Machtgefüge Herr und Knecht zugleich. Während Toxilus mit der Macht der Worte und der Fügung ins Geschick die Sklaven in Banden hält, sorgt ein Kapo (Bernd Ruhnau) mit dem Knüppel für Disziplin. Die Knechte fügen sich, kennen sie es doch eh nicht anders. Allein die Hetäre Lemnis Selenis (Karin Schwalme), deren Verbleib gefährdet ist, sucht nach Auswegen. Nur der Tod des Herrn ermöglicht ihre Freiheit. Oder aber ein Freikauf zu einer stattlichen Summe.

Es kommt, wie es kommen muss: Toxilus verliebt sich in Lemnis und hadert mit dem Schicksal. Diebe brechen in die Villa ein und überlassen Toxilus die nötigen 600 Silberlinge zum Freikauf. Doch dazu müsste Toxilus selbst ein freier Mann sein. Oder soll man die Gunst der Stunde nutzen, das Geld aufteilen und das Weite suchen, solange noch Zeit ist? Gerade dann, wenn die Tür offen steht, wagen sich die Gefangenen nicht hinaus. „Frei, wie geht das?“, lautet die Kardinalfrage.

Brigitte Dörings Inszenierung arbeitet mit so einfachen wie überzeugenden Mitteln. Sämtliche Sklaven – barfuß und in schwarzem Gewand – bewegen sich in einem begrenzten Aktionsradius, behindert durch lange Leinen an Hand oder Fuß. Auf diese Weise können Toxilus und Lemnis, an entgegengesetzten Enden der Bühne festgekettet, höchstens Händchen halten. Doch die Sklaven haben gelernt, ihren Aktionsradius zu nutzen und mal diesen, mal jenen Partner in den eigenen Kreis zu ziehen. Das erlaubt immer neue Gruppierungen zwischen den Hauptdarstellern, während die Knechte als lebendes Tableau die Szene betrachten.

Die Musikeinspielung erheitert mit russischen Revolutionsliedern und Partisanengesängen, kennzeichnet die Dekadenz der Herren mit süßlichen Klängen aus dem „Nussknacker“, lässt die Einbrecher zum „Pink Panther“-Motiv in die Villa schleichen und lässt die Sklaven Georg Herweghs Lied „Brot und Arbeit“ anstimmen.

Am Ende macht es sich Ödön von Horváth allerdings zu einfach. Das Schiff der Herrschaft geht im Meer unter, die Sklaven sind somit frei. Einem ersten Jubelausbruch folgt die Angst vor Strafe. Trifft der Hammer der Götter womöglich auch sie? Kracht da ein Gewitter oder doch der Vesuv? Selbst der Zuschauer traut dem Glück nicht und erwartet in jedem Moment die Rückkehr der Totgeglaubten. Gerade wo es wirklich spannend wird, wenn die ersten Schritte in die Freiheit gewagt werden, bricht das Stück ab.

So erschöpft sich die Freiheit in der lustvollen Plünderung der Kleiderkammer.

„Ein Sklavenball“: Theater in der Kofferfabrik (Lange Straße 81). Weitere Termine: heute und morgen sowie 10., 11. 12. Mai, jeweils 20 Uhr. Tickets (12/8 Euro) unter Tel. 706806 und an der Abendkasse.
 

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