Gähnische Literatur

9.9.2008, 00:00 Uhr
Gähnische Literatur

© de Geare

Willkommen, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich begrüße Sie zu einer Sondersendung des Literarischen Quartetts, der einzig wahren Literatursendung im Fernsehen. Da anscheinend nichts ohne mich funktioniert und die Belletristik in der letzten Dekade so unerträglich belanglos geworden ist, habe ich mich dazu überwunden, ein letztes, aber ebenso wichtiges Mal meinem Auftrag innerhalb der Kultur dieses Landes gerecht zu werden, wobei ich Karasek, Löffler sowie den Gast von vorneherein gebeten habe, daheim zu bleiben. Und auch eine zweite Neuerung wird es geben: In den folgenden Minuten werden wir uns lediglich einem einzigen Werk eines zeitgenössischen Schriftstellers widmen - und ich darf Ihnen im Vertrauen schon einmal sagen, dass es absolut miserabel ist.

Hier hätten wir also das Buch eines jungen Dänen, eines 27-jährigen Burschen, frühreif, könnte man meinen, der eine Heimkehrergeschichte geschrieben hat. Doch bei näherer Betrachtung ist das Buch von vorne bis hinten eine einzige Peinlichkeit: Ich habe mich von der ersten Seite an durch das gesamte Buch gequält. Es interessiert mich nicht im Geringsten, ob ein heimkehrender Bauer auf einem dänischen Feld eine Erektion bekommt, weil er an seine erste Liebe denkt. Es interessiert mich nicht wie die gesamte isländische, norwegische, finnische, schwedische und gähnische Literatur. Diese Nordlichter, alles düster. Kein Wunder, dass in diesen Ländern so häufig Selbstmord begangen wird, wenn schon die Literatur so miserabel ist.

Aber wollen wir fair bleiben: Schauen wir uns das Werk doch einmal genauer an! Auch bei Thomas Mann, meine sehr verehrten Zuschauer, den wir huldigen und verehren, auch bei Thomas Mann dachte ich, unter uns gesagt: Ein rechter Langweiler! Soviel Bürgertum, soviel Wilhelminismus und diese ganze artifizielle Prosa, kurz: diese künstlich zum Leben erweckten, chauvinistisch eingefärbten Probleme der Haute Volée. Doch dann entdeckte man seine Tagebücher.

Und plötzlich bekam ich einen Zugang zu diesem Menschen, der ja wie die meisten meiner Generation wie ein Hund gelitten hat. In seinen Tagebüchern steht es schwarz auf weiß: Ich bin schwul, ich bin schwul, ich bin schwul. Und tragischerweise hieß er dann auch noch «Mann» mit Nachnamen. Daraufhin habe ich sein gesamtes Œuvre an einem Wochenende nochmal gelesen, und jetzt verstand ich, worum es ging und ich begann ihn zu mögen. - Ganz anders bei unserem Dänen, mit dem ich noch lange nicht fertig bin. Auch wenn man ihm gewisse, stilistische Fähigkeiten nicht absprechen kann, so darf man doch dieses banale, von meinen Kollegen vollkommen überschätzte Werk nicht nur deshalb kaufen, weil es von mir besprochen wurde. -

Ein ohnehin schwieriges Problem meiner gesamten Arbeit seit über fünfzig Jahren. Es sind nicht die Schriftsteller, die ich verreiße, die mir ellenlange Schmähbriefe in meine Wohnung senden, die Theophila jeden Morgen erst einmal sortieren und abheften muss. Es sind immer die Schriftsteller, die ich nicht bespreche, die mir beständig vorwerfen: «Reich-Ranicki! Sie ignorieren mich! Warum?»

Ich weiß, dass ich Autoren, Lyriker gar, zu Millionären machen kann, doch man muss mich beeindrucken, wie es dieses Nordlicht mit keinem einzigen Satz geschafft hat. Sein Machwerk ist literarischer Fastfood und bestenfalls mit weiblichen Dramatikern zu vergleichen. Ja, Sie können mich dafür steinigen oder vierteilen, Sie können mich dafür erhängen, erschießen oder von einem Hochhaus stürzen, ich sage es noch einmal in aller Deutschlichkeit: Es gibt Unterschiede zwischen Männern und Frauen! Und es gibt Dinge, die Frauen besser und Männer schlechter machen - aber leider auch umgekehrt. Frauen schreiben wunderbare Lyrik, wundervolle Romane, doch sie sind unfähig, auch nur ein einziges gutes Theaterstück auf die Bühne zu bringen! Moment, sagen die einen: Es gibt doch Marieluise Fleißer! Wohl wahr - und sie hat zwei großartige Dramen verfasst, doch lediglich in der Zeit, als sie mit Bertolt Brecht im Bett war.

Aber wir schweifen ab! Kommen wir ein letztes Mal zu unserem Bauern, der sich immer noch keine Aufenthaltsgenehmigung im literarischen Olymp verdient hat. Bitte kaufen Sie dieses Buch nicht! Es langweilt! Es quält sich nur so dahin, es wird viele weitere Erektionen geben, doch keine einzige hocherotische Liebesszene. - Es ist ja nicht der Vorgang der Penetration, der schriftstellerische Probleme mit sich bringt. Die physische Interaktion zwischen Mann und Frau ist ja so, als würde man einen Bleistift in ein Federmäppchen geben. Nein, es sind die dabei beschriebenen Gefühle, die die guten von den schlechten Autoren scheiden.

Fazit: Dieser Däne bietet das Miserabelste, was ich in den letzten achtzig Jahren gelesen habe. Ich frage mich, warum dieses Buch überhaupt übersetzt wurde, zumal auch der Übersetzer das düstere Skandinavien nicht erhellen konnte. Lassen Sie die Finger davon! Und meiden Sie alle Bücher dieses Verlages!

Und so sehen wir betroffen, den Vorhang zu - und alle Fragen offen!