Happy End

26.5.2010, 00:00 Uhr
Happy End

© ts

Julian konnte süß sein. Er vergaß nie ihren Hochzeitstag. Und manchmal schrieb er ihr ein Gedicht oder brachte Blumen mit, sorgte für einen Babysitter und lud seine Frau ins Kino ein. Julian konnte romantisch sein und er wollte, dass es seiner Familie richtig gut ging. Er ist reizend, hatte ihre Mutter gesagt, und ihr Vater mochte ihn, weil man mit ihm auch reden konnte, obwohl er mit cum laude studiert hatte. Er hat mit summa cum laude studiert, erzählte seine Schwiegermutter den Nachbarn und sie freute sich, ihm das erste Stück des Kuchens, den sie extra für den Besuch des jungen Paares gebacken hatte, auf den Teller zu legen. Sie schenkte ihm gerne Kaffee ein und Lydia liebte seinen Geruch. Wenn sie miteinander geschlafen hatten, schnupperte sie über seine Brust, und eine Gehaltserhöhung stand auch bevor. Sie glaubte sogar, sie sei wieder schwanger.

Als Niclas, ihr Sohn, eines Nachmittags von der Schule mit verweinten Augen nach Hause kam und ein Bügel der Brille herunterhing, konnte ihn nur sein Vater trösten. Sein Vater spielte Fußball mit ihm, und er musste ihm nichts beweisen und wenn er danebenschoss, lachten beide. Und sie hätten auch dann gelacht, wenn er bei einem großen Fußballturnier danebengeschossen hätte, an dem alle Eltern des Stadtviertels auf einer riesigen Tribüne dabei gewesen wären. Sein Vater stand ihm immer in Mathematik und in Heimat- und Sachkunde zur Seite, aber nie in Deutsch. Deutsch kann man, sagte er, oder man kann es nicht, und in gewisser Weise hatte er damit Recht, doch sein Sohn konnte es und er brachte jeden Schulaufsatz mit einer Eins nach Hause. Also nach dir geht er nicht, lachte Lydia und entkorkte die Rotweinflasche. Sie dachte in diesem Moment: Mein Leben ist ein einziges Happy End. Es darf nicht aufhören. Es muss immer so weitergehen.

Und es ging so weiter, als sie sich einen neuen Wagen kauften und von der Wohnung in ein Reihenhaus mit einem winzigen Garten zogen. Und sie dachte: Vielleicht bekommt er in den nächsten Jahren noch eine Gehaltserhöhung. Und dann würden sie sich wieder ein neues Auto kaufen oder endlich im Keller die Sauna ausbauen. Nur manchmal, nicht oft, etwa zweimal im Jahr, kam er ins Kinderzimmer und misshandelte seinen Sohn, der nicht mehr zu atmen wagte.

»Möchtest du noch ein Spiegelei«, fragte Lydia am nächsten Morgen am Frühstückstisch.

»Bin schon satt«, antwortete Niclas und verschwand, um die Schulsachen einzupacken. Währenddessen strich sie ihrem Mann über die Haare, die heute ein wenig zerzauster waren als am Tag zuvor. Er muss zum Friseur, beschloss sie und gab ihm einen Kuss auf die rasierte Wange.

Als ihre beiden Männer gegangen waren, übergab sie sich in der Toilette. Sie weinte vor Glück, während sie sich sauber machte. Ich möchte, dass es wieder ein Junge wird. Lieber Gott, mach, dass es wieder ein Junge wird! Es ist so schön, wie er sich immer um Niclas kümmert.