Hubertus Jennerwein darf nicht sterben

22.4.2013, 00:00 Uhr
Hubertus Jennerwein darf nicht sterben

© Martin Bartmann

Autoren haben es gar nicht so leicht. Die Bücher verkaufen sich nicht von allein, da muss der Autor kräftig ankurbeln und vorlesen. Am besten persönlich, im direkten Kontakt zum Publikum. Doch nicht jeder Autor hat die richtige Stimme oder Sprache, seine qualitätsvolle Literatur dem Leser schmackhaft zu machen. Selbst ein Thomas Mann nahm Nachhilfe in Sachen Vorlesen.

Krimiautoren haben es doppelt schwer. Denn sie dürfen nicht zu viel vom Plot verraten, sie dürfen ihrem Publikum nur wenige auserwählte Appetithappen vorwerfen und gerade bei den spannendsten Stellen müssen sie abbrechen, wollen sie nicht auf ihren Bücherstapeln sitzenbleiben.

Glücklicherweise verfügt Jörg Maurer sowohl über eine angenehme Erzählerstimme als auch über das Talent, die spannenden Lichtungen im „Unterholz“ theatralisch auszukosten. Doch noch mehr verfügt er über die Gabe, sich in Andeutungen zu ergehen, aus der Werkstatt zu plaudern oder mit makabren Gstanzeln am Klavier zu unterhalten.

Die Crux jedes Autoren: Wie lautet der erste Satz, der erste Absatz? Von dem hängt alles ab, nach dessen Eindruck entscheidet der Kunde im Buchladen, ob er den Krimi kauft oder liegen lässt. Wie wäre es damit: „Der dünne Stahldraht um seinen Hals zog sich immer enger zusammen.“ Hubertus Jennerwein liegt gefesselt auf dem Waldboden, jede Bewegung schnürt die Schlinge enger zu und vor ihm marschieren Kolonnen von Aaskäfern auf, bereit zum Mittagsmahl.

Psychologisch durchdacht


Eingeweihte wissen Bescheid: Hubertus Jennerwein darf nicht sterben, denn er ist schließlich der Kommissar im Revier von Garmisch-Partenkirchen. Aber wie kommt er raus aus der Falle? Rettet ihn vielleicht die Polizeipsychologin Maria, von der viele Leser sich ein Techtelmechtel erhoffen? Kommt ein Wandersmann vorbei oder ein Jäger? Jörg Maurer verrät es nicht, und hat damit schon einmal Pluspunkte gesammelt. Überhaupt: Hubertus Jennerwein. Was derart hinterwäldlerisch klingt, ist in Wahrheit psychologisch durchdacht. Da schwingt die Legende vom Wildschützen Jennerwein mit — ein Gesetzeshüter mit dem Namen eines Kriminellen ist ein Widerspruch in sich. Ein Widerspruch, der sich im Vornamen fortpflanzt: Hubertus ist nämlich der Patron der Tiere wie der Jäger. Ja, also auf wessen Seite steht nun der arme Kommissar? Da, wo die interessantesten Helden stehen: zwischen allen Fronten.

„Unterholz“ ist bereits der fünfte Roman um den Kommissar Jennerwein, dessen Serie einen kuriosen Höhenzug im Genre des Heimatkrimis markiert. „Oft fragen mich die Leser, ob ich der Begründer des Heimatkrimis sei“, erzählt Jörg Maurer, um bescheiden auf schwergewichtige Vorgänger zu verweisen: auf Thomas Manns „Tod in Davos“ (1922), den der Verleger in „Der Zauberberg“ umänderte, auf „Tod in St. Petersburg“ von Dostojewski, besser bekannt als „Schuld und Sühne“, sowie Flauberts „Tod in Rouen“, der unter dem bescheideneren Titel „Madame Bovary“ firmiert.

Natürlich lebt der Krimi nicht allein vom geplagten Kommissar, dessen seelische und körperliche Wehwehchen bis ins kleinste ausgebreitet werden (Jennerwein leidet unter Aussetzern der Wahrnehmung), sondern vom Mörder. „Zu jedem Krimi gehört eine dunkle Seele“, weiß Jörg Maurer, um sogleich eine solch dunkle Seele zu skizzieren: etwa eine frustrierte Gattin, die nach Jahren der Ehe genug hat von ihrem Mann, der beim Zeitunglesen mit den Lippen widerliche Schmatzgeräusche von sich gibt. Solch stille Ehehöllen à la Loriot vermutet Maurer tausendfach hinter den anständigen Fassaden. Damit die dunkle Seele den Leser nicht gar zu sehr in die Tiefe zieht, benötigt der Autor einige Aufheller. So wie Jörg Maurer am Klavier Chopins Trauermarsch mit Mozart kollidieren lässt, so setzt er im Krimi Nebenfiguren wie die Polizeipsychologin Maria und die Polizisten Hölleisen und Ostler ein, die mehr zur Verwirrung als zur Aufklärung beitragen, aber vor allem zur Erheiterung.

Und nicht zu vergessen: ein wohl dosierter Ekelfaktor fürs Gruseln. In diesem Falle haben diverse Aaskäfer — „Knöcherlputzerl“ genannt — dem Mordopfer das Gesicht weggefressen, was beim Bestatterehepaar außer Dienst Grasegger auf höchstes Interesse stößt.

So, jetzt ist das Publikum ordentlich heiß aufs „Unterholz“. Jörg Maurer hat nicht zu viel verraten und dabei blendend unterhalten. Gäbe es doch mehr Autoren, die sich so süffisant zu verkaufen wissen!

 

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