Im Dienst der Überlebenden

6.12.2012, 22:00 Uhr
Im Dienst der Überlebenden

© Rieger

Als in Fürth die Synagoge brannte, war Franz Heß noch keine sechzehn. In einer kalten Novembernacht trieben Nazis die jüdischen Fürther aus ihren Häusern, nachdem sie zuvor das Feuer gelegt hatten.

Um 3 Uhr morgens schlug die SA auch an die Tür der Familie Heß. Wie alle anderen Juden mussten sie stundenlang im Freien ausharren, wurden beschimpft und gedemütigt. Nach Stunden der Angst und der Misshandlung durften Frauen, Kinder sowie junge Männer, die noch keine 16 Jahre alt waren, nach Hause. Der Vater von Franz, Jacob Heß, im Ersten Weltkrieg für seinen Dienst fürs Vaterland ausgezeichnet, wurde inhaftiert und später in das Konzentrationslager Dachau gebracht.

Um ihren Ehemann auszulösen, ging Martha Heß auf das perfide Angebot ein, den Spielzeugladen der Familie und das Auto für geradezu beschämende 20 Reichsmark zu verkaufen. Jacob Heß verließ das KZ im Dezember als gebrochener Mann. Erst mit der Reichspogromnacht hatte die Familie erkannt, dass für sie kein Platz mehr war in Deutschland.

Der inzwischen 16-jährige Franz gelangte Anfang 1939 dank einer internationalen Hilfsorganisation mit einem Kindertransport nach Holland und von dort weiter nach England, wo er seine Eltern und seine ältere Schwester Bella wiedersah. Als der Zweite Weltkrieg bereits Teile Europas in Flammen aufgehen ließ, trat die Familie Heß ihre Reise in die USA an. Am 2. Oktober 1940 erreichten sie New York. Auf Franz Heß wartete ein neues Leben, sein altes ließ er zurück wie seinen Namen.

Am morgigen Freitag kann Frank Harris aus Fürth in New York seinen 90. Geburtstag feiern. Sein Leben hat der kleine Nürnberger Testimon-Verlag jetzt in einer Biografie zusammengefasst. Es ist kein dicker Wälzer, wie ihn manch Prominenter hinterlässt. Das Werk umfasst lediglich zwölf Seiten, doch für die Autoren Gerhard Jochem und Susanne Rieger von Testimon ist es ein weiteres Mosaiksteinchen für das kollektive Gedächtnis. Beide stehen seit vielen Jahren mit Frank Harris in Kontakt, inzwischen erwuchs daraus eine Freundschaft. Doch das ist nicht der Grund, weshalb für das Schreiben der Biografie kein Honorar floss.

Für Jochem, Mitarbeiter des Nürnberger Stadtarchivs, ist es schlichtweg eine „Notwendigkeit“, dass die Erinnerungen von NS-Verfolgten – jüdische Emigranten wie Zwangsarbeiter – schriftlich überdauern müssen und für die Öffentlichkeit im Internet einsehbar sind. Mittlerweile hat der Testimon-Verlag fast hundert Lebensgeschichten nachgezeichnet.

Treffen in New York

Frank Harris, der sich 1943 als Freiwilliger zur US-Armee meldete und zwei Jahre später als Soldat nach Deutschland zurückkehrte, genießt für Jochem eine besondere Bedeutung: Ende der 70er Jahre gründete Harris die „Nürnberg-Fürth Survivors Group“, ein weltweites Netzwerk von mittelfränkischen Juden, die den Holocaust überlebt haben. Jährlich verschickt er einen Newsletter, in regelmäßigen Abständen lädt er in der Nähe von New York zur sogenannten Reunion, zu einem Treffen, ein.

Eine Fürtherin, die schon an diesen Zusammenkünften teilgenommen hat, ist Gisela Naomi Blume, die frühere Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde in Fürth. Sie beschreibt Frank Harris als „unsagbar warmherzigen Menschen“, der sich unermüdlich für die Überlebenden aus dem Großraum Nürnberg einsetzt – sogar mit einer Stiftung. Mehrere hundert Menschen aus drei bis vier Generationen kommen bei den Reunions zusammen. „Ich hoffe, dass die jüngeren Generationen sein Erbe fortführen, so wie er sich das wünscht“, sagt Blume.

Obwohl sich Frank Harris geschworen hatte, Deutschland nicht mehr zu betreten, kam er doch noch einmal in das Land seiner Geburt: als 1997 in der Aussegnungshalle des neuen jüdischen Friedhofs die Gedenktafel mit den Namen jener Fürther enthüllt wurde, die den Holocaust nicht überlebt hatten. Morgen will Gisela Blume in New York anrufen, um Frank Harris persönlich zum Geburtstag zu gratulieren. Ein Geschenk, ein Buch über Fürth, hat sie bereits per Post auf den Weg gebracht.

„Meine wichtigste Lehre ist, dass wir es niemals zulassen dürfen, dass unsere Nachbarn in den Tod getrieben werden, und wenn es nur durch unser Schweigen ist“, wird Frank Harris in seiner Biografie zitiert. Die Menschen, sagt er, müssten Brücken bauen, keine Mauern.

Die Biografie von Frank Harris findet sich in der Rubrik „Fürth“ — verfasst in englischer Sprache — auf der Internetseite rijo-research.de 

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