Man lebt nur zwei Mal

3.6.2005, 00:00 Uhr
Man lebt nur zwei Mal

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Der Tag, der Peter Helds Leben auf den Kopf gestellt hat, liegt acht Jahre zurück. Pünktlich um 7 Uhr war der Weckruf von der Rezeption gekommen. Held lag in seinem Hotelbett, nahm den Hörer ab und wollte sich bedanken, doch er lallte nur. Wieder und wieder versuchte er einen vernünftigen Satz zu formulieren, es gelang ihm nicht. Peter Held hatte im Alter von 52 Jahren über Nacht einen Schlaganfall erlitten.

Um wieder sprechen zu können, übte Held stundenlang. Er machte Fortschritte, nur mit dem „Sch“ klappte es nicht. Er las laut die Zeitung, machte Sprechübungen, und als an einem Abend laut und deutlich das Wort „Scheiße“ über seine Lippen kam, weinte er vor Freude, weil er endlich sagen konnte, was er damals so häufig dachte.

Das Herz war zu groß

Doch Peter Helds Leidensweg ging weiter. Die Ärzte im Krankenhaus stellten fest, dass sein Herz zu groß geworden war und zu wenig pumpte. Man gab ihm noch drei Jahre, wenn es gut gehe, fünf.

Er bekam einen Herzschrittmacher, doch sein Zustand verschlechterte sich: Kammerflimmern, Wasser in der Lunge. Ein zweiter Schlaganfall folgte. Schließlich bekam er ein Spenderherz. Seine Nieren versagten, er erkrankte an Diabetes, aber das neue Herz schlug. Es ging aufwärts, bis ein Arzt feststellte, dass die Herzklappe kaputt war. Die gerade verheilten Narben wurden wieder geöffnet. Held erkrankte an einem Virus, er bekam eine Lungenentzündung und hohes Fieber. „In diesen Jahren bin ich mindestens drei Mal gestorben“, erinnert er sich.

Peter Held ist heute 60 Jahre alt. Fragt man ihn, wie es ihm geht, sagt er freundlich: „Danke, ich fühle mich wohl.“ Er ist gesund, weil er gelernt habe, auf seinen Körper zu hören. Von einst 28 Medikamenten nimmt er nur noch vier, weil die Nebenwirkungen ihm mehr schadeten, als die Medikamente nützten.

Den Kopf auslüften

Peter Held hat die Krankheit gemeistert, aber sie ließ seine Welt aus den Fugen geraten. In seinem „letzten Leben“, erzählt Held, hat er für einen großen Konzern gearbeitet, Menschen geführt, Führungskräfte ausgebildet. Jetzt lebt er im Vorruhestand. Held widmet sich der Malerei, er studiert Kunst an der Akademie Faber-Castell in Stein.

Die Erfahrungen der vergangenen Jahre hat er in einem Buch verarbeitet. „Lebe — solange du nicht stirbst“ lautet der Titel, der seit diesen Tagen im Handel erhältlich ist. Geschrieben hat er vor allem nachts. Tagsüber verließ er das Haus, „um den „Kopf auszulüften“, wie er sagt. Er sah sich um, nahm die Menschen mit anderen Augen wahr als bislang. Er hörte die Alten sprechen und die Jungen und stellte für sich fest, dass sie zwar reden, aber nicht miteinander.

Er wollte wissen, was junge Menschen denken und sprach sie einfach an — im Zug, im Park, in der Fußgängerzone. Er bat sie, drei Fragen schriftlich zu beantworten. Was denkst du gerade? Was sind deine Wünsche und Ziele an dich selbst? Was wünscht du dir von der Schule, von zu Hause, der Politik, der Welt?

150 Beiträge von Mädchen und Jungen im Alter von zwölf bis 18 Jahren hat Held auf diese Weise gesammelt. Er war erstaunt, wie sehr sich die jungen Leute ihm öffneten. „So etwas hat mich noch nie jemand gefragt“, hörte er immer wieder.

Sein Fazit: Viele Jugendlichen sind orientierungslos, sehen keine Perspektive. Weil sie zu Hause und in der Schule keine Anerkennung bekommen, holen sie sich diese über ihr Äußeres oder durch Konsum. Ein tolles Handy, das neueste Computerspiel. „Eine Welt, die niemanden erfüllen kann“, sagt Held. Der Cadolzburger will helfen. Man müsse sich Zeit nehmen für die Kinder, vor allem zuhören. Wer sich nicht mit ihnen unterhalte, erfahre auch nicht, was sie wirklich für Probleme haben.

Auch deshalb engagiert er sich beim Projekt „Schülercoach“, das in diesem Sommer in Cadolzburg anlaufen soll. Held will Hauptschüler, die Probleme in der Schule haben, auf ihrem Weg zum Quali begleiten, sie motivieren und ihnen eine Chance geben, „sich zu echten Persönlichkeiten“ zu entwickeln. Jahrelang hat Held Erwachsene geführt, jetzt will er seine Erfahrung an die Jugendlichen weitergeben.

Die Gesellschaft muss sich ändern, sagt Peter Held, und er will in seinem Rahmen etwas dafür tun: „Die Zeit, die mir verbleibt, will ich in einer lebenswerten Gesellschaft verbringen.“

Peter Held, „Lebe — solange du nicht stirbst“, R. G. Fischer Verlag 16,90 Euro.