Mit der Museumsbahn durch die Sechziger

5.3.2014, 00:00 Uhr
Mit der Museumsbahn durch die Sechziger

© Tim Händel

Der Schriftzug am Gebäude ist immer noch unverkennbar. Einst liefen in der „Camera“ in der Schwabacher Straße Western und Tarzanfilme. In den sechziger Jahren machte das Kino dicht, dafür zogen ein Musik-Club und eine Discothek ein. Dort spielten die Lords und die Boots, dort guckte sich ein Rudi Madsius seine ersten Akkorde ab. Längst vorbei. Heute beherrscht ein Supermarkt die heiligen Hallen.

Ein Treffen der Altvordersten in der Stadthalle, kann das gutgehen? Säuft nicht alles in Nostalgie ab? Wirkt ein Auftritt alter Herren nicht doch irgendwie peinlich? Nein, der Abend klang überhaupt nicht nach „Rudis Resterampe“, eher nach einem sorgfältig gepflegten Dampfzug der Museumsbahn mit Ernst Schultz (Ihre Kinder) als Schaffner. Die Lokomotive keucht, schnauft und schwitzt Teer, die Wagen ruckeln und krachen, aber die Kolben stampfen mit Macht, die Räder rattern tadellos.

Die Passagiere präsentieren ihre Glatzen, grauen Matten und Falten im Gesicht mit Stolz und Verachtung. Selten sah man so viele Großeltern auf einmal, die in trauter Eintracht mit ihren staunenden Enkeln die selbe Musik genossen, wenn auch zum Teil mit Ohrenschützern. Kein Plastik- und Computergefiepe, sondern handgemachte Musik mit Sax, Orgel und Gitarren.

Alles einsteigen, Türen schließen! Rudi Madsius und seine Genossen ließen die Fahrt ganz gemütlich angehen mit langsamem genüsslichen Groove und Rhythm and Blues. Als dann Jockel Schulte-Eckel und Bob Bresser, die letzten beiden Überlebenden der einst fünfköpfigen Boots, zu Madsius stießen und It ain’t necessarily so“ langsam zerdehnten, befand sich der Dampfzug in einem geradezu orgiastischen Keuchen und Schnaufen; eine Spannung, die sich dann in „Gloria“ und danach in einem funkigen Schweinsgalopp entlud, stilecht mit der Flasche auf dem Gitarrenbrett.

Altgediente Coverband

Erster Halt, Wasser fassen und Bier tanken, dann ging es weiter durch die Landschaft der Sechziger. The Quiets, eine altgediente Fürther Coverband, ließen die Orgel heulen. „You keep me hangin’ on“, aber nicht von den Supremes, sondern in der Version von Vanilla Fudge. Das musste man dem Sänger Helmut Otto lassen, er passte sich stimmgerecht so gut wie möglich an seine Vorbilder Roger Daltrey („Substitute“), Ray Davies („Waterloo Sunset“) und sogar Justin Hayward („Nights in White Satin“) an. Bloß Gary Brooker („A whiter Shade of Pale“) packt er nicht, aber bei Procol Harum achtet sowieso jeder nur auf die grummelnde Kirchenorgel. Und bei Joe Cocker („With a little Help from my Friends“) wird es dann nur noch lustig. Cocker kann man nicht erreichen; den kann man nur gewollt oder ungewollt persiflieren.



Und nun also die Lords, eine der dienstältesten Truppen der Welt. Kulturelle Mauerbrecher, die erste Beatgruppe, die im Ostblock auftrat. Drei Mann der Urbesetzung sind noch übrig, der Schlagzeuger sichtlich jünger. Die Prinz-Eisenherz-Frisuren sind vom Sturmwind der Jahrzehnte zerzaust wie Zuckerwatte, was den Herren Lord Leo, Lord Bernd und Lord Jupp einen geradezu akademisch-professoralen Touch verleiht. Und dann geht es mit Schmackes zur Sache mit neuem Material, mit alten Sachen von T. Rex („Spitfire Lady“), über einem krachenden „Greensleeves“ bis zu einem verrockten „Que sera sera“. Der Dampfzug passiert sogar einen so gewagten Viadukt über schwindelnden Geschmacks-Abgründen wie ein Medley aus „Halleluja“ und „Ja, mir san mitm Radl da“. So erreichen wir endlich den Zielbahnhof „Poor Boy“ und singen in treudeutschem Englisch mit: „Mother and Father and Son, Sister and Uncle have Fun.“

 

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