Nicht real, doch wahr

12.1.2015, 11:00 Uhr
Nicht real, doch wahr

© Foto: Horst Linke

Die Versuchung lauert in der Beletage. In den feudal inszenierten Räumen der Villa verführt Oliver Boberg den Besucher im ersten Augenblick zum großzügigen Abnicken: Kenn’ ich, war ich, hab’ ich selbst gesehen. Das zumindest meldet das Hirn aus der Abteilung, die fürs Wiedererkennen zuständig ist. Wer wollte den zuständigen Neuronen Vorwürfe machen? Vollkommen vertraut scheint, was der 49-Jährige uns präsentiert.

Dieser Lüftungsschacht, zum Beispiel. Jeder weiß wahrscheinlich genau, wo sich diese Stelle trostloser Beton-Architektur befindet, die Boberg virtuos in einem Leuchtkasten gebannt hat. Die Sache ist klar. Bis auf einen winzigen Makel. Nichts hier ist real. Tatsächlich ist die Fiktion komplett. Statt konkreter Schauplätze sehen wir Modelle, geplant, gebaut, bemalt und fotografiert.

Wer nun auf der Hut ist, wird zum Seh-Schüler. Er erkennt plötzlich, dass hinter dem perfekten Schein eine doppelbödige Welt beginnt. Die allerdings zieht mit Macht jeden an. Unwillkürlich spinnen sich im Kopf Geschichten zusammen. Erdachte Menschen bevölkern die unbelebten Räume. Nichtexistente Biografien erwachen allen Zweifeln zum Trotz und erzählen vom Dasein in dieser Welt, die es ja eigentlich gar nicht gibt – von der wir aber absurderweise zu wissen glauben, dass sie existiert . . .

Das ist ein wunderbarer Dreh, der einen Teil jener Kunst ausmacht, die Oliver Boberg so faszinierend beherrscht. Er ist der Meister der Un-Orte, führt uns dahin, wo wir nicht sein wollen. Die Holzwege der Illusion, die wir dabei unausweichlich beschreiten, münden keineswegs im Nichts. Sondern exakt im Abseits unserer Welt.

Ein großer Reiz geht von diesen Arbeiten aus. Diffizil und unendlich subtil setzt Boberg das Licht ein. Jede Stimmung, jedes Gefühl kann er damit hervorrufen. Der Einfall des Tageslichts aus einem U-Bahn-Schacht lenkt den Blick und stimuliert unverhofft die Gedanken. Schlicht „Schacht 1 – 4“ sind die jüngsten Arbeiten aus 2013/2014 tituliert. Wie stets ging ihnen gründliche Recherche voraus. Oliver Boberg, der Kunstlehre an einem Gymnasium in Forchheim unterrichtet, in Nürnberg sein Atelier hat und in Fürth wohnt, stieg dafür sogar abseits der Gleise in den Bauch der U-Bahn.

In den Räumen von Sabine Pillensteins „Bühlers“ haben die Werke einen gewieften Mitspieler gefunden. Während Bobergs Bilder nicht selten an Kulissen erinnern, hat die herrschaftliche Wohnung in der Neorenaissance-Villa von 1894 ihr Filmdebüt bereits hinter sich. Szenen des Spielfilms über Kurt Landauer, des Fußballfunktionärs der den FC Bayern groß machte, wurden hier gedreht und waren vor kurzem im Ersten zu sehen. Die Tapeten, die das Filmteam an die Wände klebte, sind noch da. Trickreich wurden sie mit Patina versehen und geben dem Ambiente jetzt einen Stich ins Morbide.

Was wiederum aufs Delikateste mit der aktuellen Ausstellung zusammengeht. Eine Ahnung von undefinierbarem Schrecken klingt in manchen Arbeiten an. Selbst im Bewusstsein, dass der Künstler mit trivialen Materialien Szenerien geschaffen hat, denen weder Ereignis noch Erinnerung anhängen kann – beim Betrachter stellt sich ein vage mulmiges Gefühl ein, das sich nicht vertreiben lässt.

Unweigerlich ploppen Gedanken an Situationen hoch, die wir ganz automatisch mit den Boberg’schen Kulissen verbinden. Dieses Beton-Monster von einem Treppenabgang etwa. Steigt uns da nicht sofort ein widerlicher Geruch in die Nase, verbunden mit der Frage, ob da unten jemand mit fiesen Absichten wartet? Und wieder ist es unser Kopf, der sich locken lässt, über jene Un-Orte nachzugrübeln, deren Existenz wir so liebend gerne verdrängen.

Oliver Boberg hat Werke von 1999 bis heute mitgebracht in diese Schau, die den Titel „,meanwhile“ trägt. So ist eine spannungsreiche Auseinandersetzung mit den verschiedenen Themengruppen möglich, die ihn beschäftigen. Allerdings sollte man sich nichts vormachen. Am Ende wird nicht der Besucher dem Künstler auf die Finger geschaut haben. Es ist viel mehr Oliver Boberg, der den Betrachtern seiner Arbeiten zu Erinnerungen und Gedanken an höchstpersönliche Un-Orte geschickt hat. Und diese Erkenntnis fühlt sich plötzlich vollkommen real an.

Die Ausstellung im Bühlers, Königswarterstraße 22, ist bis 6. März geöffnet. Mi. bis Fr., 11 bis 15 Uhr, und auf Anfrage. www.buehlers-fuerth.de

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