Noch älter als wir

13.2.2010, 00:00 Uhr
Noch älter als wir

© Edgar Pfrogner

Nichts ahnend hat sich Hanneluise Hofmann zur Führung angemeldet. Nun findet sie sich plötzlich auf der Bühne neben einem lässigen Typen mit grauem Wallehaar und Nickelbrille wieder. Udo Martin, der seit drei Jahren Pächter der Kofferfabrik in der Lange Straße ist, hat sich für seine einführenden Worte Hilfe in Gestalt der ehemaligen Mitarbeiterin der Kofferfirma Bermas geholt. «Sie kann am besten erzählen, wie es in den Jahren nach dem Krieg bis 1997 hier war», sagt Martin, der mit allem gerechnet hat, nur nicht mit dem Erscheinen von Beschäftigten aus alten, sehr alten Zeiten.

Hofmann hat 1957 hier ihre Lehre begonnen und lange Zeit in dem Familienbetrieb gearbeitet. Jetzt will sie sich «einfach mal wieder umschauen». Auch Monika Schneider aus der Familie der damaligen Fabrikbesitzer ist mit dabei, um zu erfahren, «wie es jetzt hier aussieht». Was sich alles hinter den alten Mauern mit ihrem rustikalen Charme befindet, zeigt Martin den rund 30 Besuchern bei einer Führung durch die Räume der Firma, die seit 1997 Kult(ur)- und Gaststätte ist.

Da gibt es den Couch-Club, einen Raum für Veranstaltungen von der privaten Feier bis zu Lesungen, die Musikbühne, auf der jährlich über 100 Konzerte - die übrigens, so Martin, «nicht immer laut sind» - stattfinden, das kleine Theater, drei Schreinereien. «Wir gehören zwar angeblich zur so genannten Subkultur», erklärt Martin, «aber wir legen uns nicht fest. Wir sind für alles offen.» Die Bandbreite der Konzerte liege zwischen Jazz und Hard-Rock, auch bei den Besuchern kommen Mitmenschen im Alter zwischen 8 und 100, vom Azubi bis zum Studienprofessor.

Die «Koffer», ein Hort der linksalternativen Jugendkultur? Dieses Stigma gehört der Vergangenheit an. «Wir hatten sogar mal einen Stammtisch aus der Sadomasoszene», erfahren die staunenden Senioren. Das Leben hält doch immer wieder Überraschungen bereit - übrigens in jedem Alter. svo