Ohne Obdach: Adenaueranlage hat einen Bewohner

19.8.2014, 16:00 Uhr
Ohne Obdach: Adenaueranlage hat einen Bewohner

© Foto: Berny Meyer

Sein kostbarstes Stück ist vielleicht die Gitarre, auf der er gerne spielt. Meist ist es dasselbe Musikstück, manchmal bittet er Zuhörer und Passanten danach um etwas Geld. Aber kostbar ist auch der Rest, den er mit sich herumschleppt: der kleine Rucksack; das Kissen und die Decke, die ihn nachts im Pavillon wärmen; eine grüne Isomatte, die die Kälte des Steins erträglich macht. Und die Kleidung, die er am Leib trägt.

Die Adenaueranlage ist für diesen Mann mittleren Alters – laut Polizei stammt er aus Ungarn – in den vergangenen drei Wochen zum Zuhause geworden. Bei Sonnenschein sah man ihn häufig in seinen Jeans und dem graublauen Pullover auf einer Bank neben anderen sitzen, die auch nicht mehr viel, aber wohl immerhin noch ein Dach über dem Kopf zu besitzen scheinen. Entschied er sich hingegen für die Stufen des Pavillons, merkte man, dass die, die sonst hier sind – Kinder, die spielen, Erwachsene, die ihre Mittagspause verbringen – einen Bogen um ihn machten. Obwohl er nie aggressiv, nie laut war. Abends lag das Bündel Mensch im Pavillon. Aus der Anlage bewegte er sich meist nur einige Schritte: zum benachbarten griechischen Restaurant hinkend, wo er bei den sichtlich irritierten Gästen um Münzen oder Zigaretten bettelte.

Es ist ein ungewöhnlicher Fall, nicht nur weil es in Fürth in jüngerer Zeit nach Erkenntnis von Experten keine Menschen mehr gab, die dauerhaft im Freien lebten. Auch weil man sich in anderen Großstädten zwar an Obdachlose gewöhnt hat, sie von zentralen Stellen jedoch meist rasch vertrieben werden. „Aber ihn zu vertreiben, löst das Problem ja nicht“, sagt Fürths Polizeichef Peter Messing, der zugibt: Bei diesem Fall stoße man an Grenzen.

Begrenzte Kapazitäten

Ein besorgter Anruf aus der FN-Redaktion nach den ersten Tagen war Anlass für die Polizei, die Personalien des Mannes festzustellen. Als EU-Bürger darf er sich hier frei bewegen – was ihn nach Fürth trieb, wissen die Beamten nicht. Er spricht kaum deutsch, einen Dolmetscher haben sie bislang nicht besorgt. Aber: Sie haben das Sozialamt verständigt.

Auf FN-Nachfrage macht allerdings auch Amtsleiterin Michaela Vogelreuther rasch klar, dass die Kapazitäten, zu helfen, begrenzt sind – auch weil sich der Mann, wie sie sagt, offenbar nicht helfen lassen wolle. So habe ihm Thomas Bergsch, der Leiter des Sachgebiets Wohnungsfürsorge, bereits den Weg zur Bahnhofsmission in der Ottostraße gezeigt, die Notschlafplätze anbietet. Dort habe er an jenem Nachmittag zunächst auch seine Sachen gelassen, doch am Abend sei er nicht aufgetaucht. Hat er nicht verstanden, dass er hier schlafen kann? Doch, das hat er, meint Bergsch.

Vielleicht sei er einer von den Obdachlosen, die nicht gerne in Gemeinschaftsunterkünften sind, weil sie die Gesellschaft nicht mögen – oder sich nicht an die Regeln – Alkohol ist verboten – halten wollen. In der Ottostraße könnte der Mann einige Tage bleibe, von dort würde er zur Beratung ins Sozialamt geschickt werden.

In Sichtweite eines Kinderspielplatzes

„Zur Not würde er von uns ein Zugticket nach Hause bekommen“, sagt Vogelreuther. Kein Mensch müsse auf der Straße schlafen. Wenn er jedoch Hilfe nicht annehme, könne man ihn weder dazu zwingen noch ihn „zwangsverhaften“: „Wir sind kein Kindermädchen.“ Es handle sich immer noch um einen freien, erwachsenen Mann, den man nicht entmündigen dürfe, der sich, wenn er dies wolle, auch totsaufen dürfe. Nur wenn er den Eindruck erwecken würde, dass er sich oder andere gefährdet, könnte man ihn ordnungsrechtlich unterbringen.

Beunruhigend findet Vogelreuther die Situation nicht: Es habe schließlich draußen nicht minus 20 Grad. Ihre Erfahrung sei: Wenn Menschen in Not sind, wüssten sie, wo sie Hilfe bekämen. „Dann würde der hier auf der Matte stehen.“ Dass er sich an zentraler Stelle und in Sichtweite eines Kinderspielplatzes niedergelassen habe, sei nicht für jeden schön – doch das könne vermutlich allein die Polizei mit mehr Präsenz verhindern.

Platzverweise, bestätigt Messing, könne man zwar aussprechen, wenn man ihn in der Anlage Alkohol trinken oder übernachten sieht. Doch verhält er sich dann nicht mehr auffällig, seien auch den Beamten die Hände gebunden. Uferlos scheine das Ganze. Wie zum Beweis lag der Mann auch Sonntagnachmittag auf einer Bank, die Gitarre lehnte daneben.

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