Triebe und Liebe

3.8.2013, 12:38 Uhr
Triebe und Liebe

© Thomas Scherer

Das Bühnenbild gibt den dramatischen Dreischritt vor: links zwei Liegestühle zum Entspannen und Anbandeln. In der Mitte zwei Hocker am Stehtischchen zum Turteln, rechts das Bett für alles weitere. An Auswahl für alles weitere herrscht auch kein Mangel, denn Mirandolina, die fesche, stramme und patente Florentiner Wirtin (Tanja Busch) steht im Visier gleich vierer Herren: der Graf wie der Marquese haben nur fleischliche Gelüste im Sinne. Der Kellner Fabrizio hingegen will mittels Heirat lieber gleich den ganzen Laden übernehmen; er kümmert sich um die Finanzen, sie ums Essen, das ist doch nur gerecht, oder?

Der Vierte im Bunde hingegen, der Cavaliere von Rippafratta, will von Frauen im Allgemeinen („Ein Weib ist eine Krankheit, die sich ein vernünftiger Mann von der Nase hält“) und von Mirandolina im Besonderen nichts wissen: „Sie hat lange Haare, eine hohe Stimme, zwei Brüste und wird stinken wie jede Frau.“ Doch es ist wie eh und je: Je tiefer die zur Schau gestellte Verachtung, umso stärker der uneingestandene Drang, mit Mi-randolina zu turteln. Liebe mit umgekehrtem Vorzeichen also.

Die Lage ist verzwickt. Um die Dinge ins Rollen zu bringen, engagiert Fabrizio zwei Schauspielerinnen, die als vorgebliche Adelige den Graf samt Marquese auf ihre landschaftlichen Reize, auf ihre nördlichen Hügel und südlichen Feuchtgebiete lenken. So hat Fabrizio freie Bahn für Mirandolina; die jedoch sieht sich durch Rippafratta in ihrer Ehre als Weib herausgefordert.

Mehr als 250 Jahre hat das Stück von Carlo Goldoni auf dem Buckel, und es funktioniert immer noch. Das liegt daran, dass Goldoni zwar manche Figuren und Handlungsabläufe der Commedia dell’arte noch beibehielt, doch das komische Konfliktpotenzial psychologisch auflud und die Fassaden der Charaktermasken sprengte. Regisseur Markus Nondorf trägt dem Rechnung, indem er die typischen schablonisierten Commedia-Figuren — die immergeilen Herren Graf und Marqese und die dauerturtelnden Kurtisanen — weiß geschminkt auf die Bühne schickt, wogegen das teuflische Dreieck der Liebesmacht — Mirandolina, Fabrizio und der Cavaliere — ungeschminkt als psychologisch fundierte Figuren-Crew auftritt.

Servile Knechtsseele

Denn bei diesen Figuren geht es nicht um die Befriedigung sexueller Gelüste, sondern um weiterreichende Dinge. Mirandolina geht ihre Freiheit, Selbstständigkeit und Macht über alles, dafür lässt sie jede gute Partie sausen. Im Bett gibt sie den Ton an und sonst keiner. Fabrizio will hingegen nur sein Schäfchen ins Trockene bringen, will versorgt sein und selbst den Ton angeben. Bernd Ruhnau spielt ihn als Maulhelden, hinter dessen Fassade als Draufgänger und Schürzenjäger eine servile Knechtsseele steckt. Karsten Kunde schlägt sich mit der anspruchsvollsten Rolle herum: Hinter der Maske des starren Cavaliere lässt er den Triebstau versagter Leidenschaft bedenklich hervorquellen und verleiht der vorgeblichen Witzfigur Züge der Tragik.

Am Ende bekommt jeder sein Fett weg und das Publikum überraschende Nachhilfe im Mandolinenuntericht: „Wissen Sie, dass die kleinsten Löcher die größte Resonanz erzeugen? Erst mit dem Finger, dann mit dem Stäbchen hübsch gleiten lassen, und dann Tempo, Tempo!“

„Mirandolina“: Theater aus dem KulturKammerGut (TKKG) auf

der Freilichtbühne im Stadtpark (Eingang via Engelhardtstraße). Weitere Termine: Heute, morgen, 5./6. und 21./22. August, jeweils 20.00 Uhr. Tickets gibt es an der Abendkasse oder unter Telefon 7236026.

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