Unterdrückung aus Tradition

7.12.2011, 10:41 Uhr
Unterdrückung aus Tradition

© Hans–Joachim Winckler

Herr Krugmann, Sie sind 1994 als 57-jähriger jüdischer Kontingentsflüchtling nach Fürth gekommen. Haben Sie nie Heimweh gehabt?

David Krugmann: Ich habe mich spontan in Fürth verliebt und bin dankbar, hier leben zu können. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich keinen Hunger, habe ordentliche Kleidung und kann mich künstlerisch frei entfalten. Niemals würde ich freiwillig nach Russland zurückkehren.

Trotz Perestroika und Glasnost?

Krugmann: Die Unterdrückung ist zwar nicht mehr so schlimm wie in den 70 Jahren UdSSR, doch das Volk lebt weiterhin in Angst. Es wird in der Tradition des Zarenreiches in Unselbstständigkeit gehalten. Die Polizei geht mit voller Härte gegen Kritiker vor. Putin-Gegner, wie der Oligarch Michail Chodorowski, werden einfach ins Gefängnis gesperrt.

Sie haben in der monatlich in Nürnberg erscheinenden russischen Zeitung Rubezh einen Leserbrief zur Wahl in Russland geschrieben, was kritisieren Sie konkret?

Krugmann: Es hat sich prinzipiell nichts geändert in Russland. Regiert wird weiterhin diktatorisch. Auch Gorbatschow und Jelzin wollten keine wirkliche Systemwende. Jelzin hat den KGB-Mann Putin aus dem Hut gezaubert, den vorher niemand kannte, und der bedient sich nun der Marionette Medwedew. Nach außen hin gibt er sich als Demokrat, doch er regiert mit Angst und Schrecken. Nicht einmal Merkel und Sarkozy haben den Mut, ihn zu kritisieren. Das Volk ist unselbstständig und arm geblieben. Es hat eben eine andere Mentalität als etwa die Aufständischen in Ägypten, Libyen und Syrien.

Haben Sie auch noch Angst, wenn Sie auf Russland schauen?

Krugmann: Ein bisschen schon. Mir geht es wie vielen Flüchtlingen — der Körper ist hier, aber die Seele noch in Russland. Ich habe keine Hoffnung, dass sich etwas ändert. Putin wird die Macht nie mehr abgeben. Das Internet als Sprachrohr der Demokratiebewegung ist vor allem auf dem Land noch viel zu wenig verbreitet, um eine machtvolle Opposition organisieren zu können. Mit Putin kommt auch Europa nicht voran. Russland lebt von der Substanz seiner Bodenschätze und nicht von der Wertschöpfung seiner Fabriken.

Auch als Künstler sehen Sie keine Zukunft in Russland?

Krugmann: Nachdem ich 1968 die Kunsthochschule Muchina in St. Petersburg absolviert habe, konnte ich nie frei arbeiten. Ich habe mich immer gegen den sozialistischen Realismus gewehrt und wurde deshalb verfolgt. Es waren deutsche und italienische Touristen, die meine Bilder gekauft haben und mich zur Emigration bewogen. Seit der Grenzöffnung gehen viele russische Künstler ins Ausland. Aber die meisten kopieren nur, was sie dort sehen. Ich will mich aber als Künstler selbst entwickeln. Und weil es mich zu sehr an die lange Zensur in Russland erinnert, überlasse ich meine Arbeiten auch niemals einer Jury zur Bewertung. Es macht mich glücklich, wenn ich einem armen Kunstliebhaber einmal ein Bild schenken kann. In Russland kann ich mit meinen Werken nichts bewegen. Das Land hat sich künstlerisch kaum weiterentwickelt.

 

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