Wie das Fürther Rathaus einem NS-Verbrecher half

3.2.2019, 11:04 Uhr
Wie das Fürther Rathaus einem NS-Verbrecher half

Die Mappe trägt den unaufgeregten Namen "Unterstützungen H-J", doch sie hat es – im Wortsinn – in sich. Auf den ersten Blick sieht man städtische Korrespondenz mit Menschen, denen das Rathaus in der Nachkriegszeit einmal oder auch häufiger mit Geld ausgeholfen hat. Der zweite Blick offenbart einen Namen mit Sprengkraft unter den Empfängern: Franz Jakob, Nationalsozialist und Oberbürgermeister der Stadt Fürth von 1933 bis 1939.

Die Akten belegen, dass Fürths damaliger Rathauschef Hans Bornkessel (SPD) ab 1959 mindestens dreimal im Jahr Briefe mit Geld an Jakob, der inzwischen in Gaimersheim bei Ingolstadt lebte, schicken ließ. Dabei überging der Sozialdemokrat offenbar auch den Fürther Stadtrat, der sich dagegen ausgesprochen hatte, Jakob zu unterstützen.

Rund 60 Jahre später kommt das eher zufällig ans Licht. Im Stadtarchiv sichteten ehrenamtliche Helfer diese Mappen, um sie "nachzuverzeichnen". Das soll es Besuchern erleichtern, gezielt nach Informationen über bestimmte Persönlichkeiten zu suchen. Einem Mitarbeiter fiel dabei der umfangreiche Schriftverkehr mit Franz Jakob auf.

Der Inhalt überraschte auch den Archivleiter. "Ausgesprochen erstaunlich" nennt es Martin Schramm, dass ein SPD-Oberbürgermeister einem Nationalsozialisten wie Jakob half, der in seiner Amtszeit in Fürth in vielfacher Hinsicht negativ aufgefallen war.

Anfang der 30er Jahre ist Bornkessel berufsmäßiger Stadtrat in Fürth, die Nazis entfernen ihn 1933 aus dem Dienst. 1940 muss der Sozialdemokrat mehrere Monate im KZ Sachsenhausen verbringen. Jakob hingegen lebt in der NS-Zeit auf großem Fuß, fördert die Enteignung von jüdischen Mitbürgern und bereichert sich auf Kosten der eigenen Partei. Er gilt als "Lüstling", hat Liebschaften mit Personal des Stadttheaters und wird diverser "Sittlichkeitsverbrechen" angeklagt. Sein Verhalten stößt auch Parteifreunden auf, weshalb er 1939 in die von Nazi-Deutschland besetzte polnische Stadt Torun wechselt, wo er ebenfalls das Amt des Oberbürgermeisters übernimmt.

Nach dem Krieg wird sein Vermögen eingezogen, Jakob wird – wegen seiner Rolle in der Pogromnacht 1938 – zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Das Gericht sieht es als erwiesen an, dass er vorab davon gewusst hatte, dass die SA die Fürther Synagoge in Brand setzen wollte und dass er dieses Verbrechen – auch durch seine Anwesenheit am Tatort – billigte. Außerdem habe er befohlen das benachbarte Hausmeisterhaus niederzubrennen.

Nachdem er die Haftstrafen verbüßt hat, lebt Jakob mit seiner Frau Anna in Gaimersheim, wo ein Bruder eine Gastwirtschaft führt. Dem Ehepaar bleibt nur eine kleine Rente, die sich Ende der 50er Jahre auf etwas mehr als 200 DM beläuft. Offenbar ist die Not groß, denn 1959 bittet Jakob den Fürther Oberbürgermeister schriftlich um eine "wohlfahrtliche Zuwendung", er habe seine Strafe schließlich verbüßt.

"Ich habe in den Jahren viel über Sie gehört und nicht nur Ungünstiges", antwortet Bornkessel und lässt ihm 200 DM zukommen – "aus meinen Verfügungsmitteln". Der Oberbürgermeister will nun den Stadtrat dazu bewegen, die Rente des früheren Rathauschefs mit einer "fortlaufenden freiwilligen Beihilfe" auf 300 DM aufzustocken. Die Mehrheit lehnt das ab.

Am Stadtrat vorbei schickt Jakob trotzdem regelmäßig Geldscheine aus der Stadtkasse: zu Ostern, Weihnachten und zur Kirchweih jeweils 150 oder 200 DM. Dann und wann gibt es noch eine Art "Erholungsgeld" in ähnlicher Höhe. Jakob bedankt sich jedes Mal mit ein paar handschriftlichen Zeilen. Als 1964 Kurt Scherzer (FDP) das Ruder im Rathaus übernimmt, setzt er die Zahlungen fort. Im September 1965 wird Jakob von einem Zug erfasst und kommt ums Leben, das Geld aus Fürth fließt nun an seine Witwe Anna, bis diese Anfang der 70er Jahre ebenfalls stirbt.

Offen bleibt, warum Bornkessel das tat, denkbar wäre Mitleid. Archivleiter Schramm sagt zu dieser Frage: "Aus heutiger Sicht ist das alles kaum erklärbar."

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